27.01.2010

Ägypten: "Wir werden dir zeigen, wie Islam geht"

KiN, München/Wien, 27.1.2010 - Das Europaparlament hat in der vergangenen Woche die jüngsten Überfälle  auf Christen in Ägypten und Malaysia scharf verurteilt. In diesem  Zusammenhang veröffentlicht das weltweite katholische Hilfswerk "Kirche  in Not" ein Interview mit dem in Deutschland lebenden koptischen Bischof  Anba Damian. Er erhebt darin schwere Vorwürfe gegen die islamischen  Führer und die Behörden in Ägypten. In der Nacht vom 6. auf den 7.  Januar, dem Weihnachtsfest der koptischen Christen, hatten Islamisten  vor drei Kirchen in der südägyptischen Stadt Nag Hammadi gezielt das  Feuer auf Gottesdienstbesucher eröffnet. Sieben Kopten und ein  muslimischer Wachmann waren bei dem Anschlag gestorben.

Das Interview führte Berthold Pelster.

KIRCHE IN NOT (KIN): Herr Bischof Damian, wann haben Sie von dem  Anschlag erfahren?  DAMIAN: Ich hatte das Weihnachtsfest in Berlin zusammen mit dem ägyptischen Botschafter und anderen hohen Diplomaten gefeiert. Es war  eine sehr freundliche Atmosphäre, aber kaum hatten wir unsere Gäste  verabschiedet, klingelte mein Telefon und ich erfuhr, was geschehen war.  Mich hat besonders betroffen gemacht, dass die meisten Opfer Jugendliche  waren, die sich nach der Christmette vor der Kirche miteinander  unterhalten hatten. Es wurde auch ein muslimischer Wachmann erschossen,  der nur mit einem Holzknüppel bewaffnet gewesen war. Man kann also nicht  von einem Polizeischutz sprechen, wie er sonst in der Region üblich ist.  Merkwürdigerweise hatte auch kein Vertreter der Politik oder des  öffentlichen Lebens an der Messe teilgenommen, wie es sonst üblich ist.  Unser Bischof vor Ort war auch gebeten worden, die Messe vorzeitig zu  beenden, weil die Lage zu unsicher sei.

KIN: Hatte der Bischof vor dem Anschlag Drohungen erhalten?

DAMIAN: Ja. Er hatte Morddrohungen per SMS erhalten und das auch an die  Polizei weitergegeben. Doch leider gab es keine Reaktion von Seiten der  Behörden. Der Bischof hatte mit solchen Drohungen schon gerechnet, weil  er seinen Mund aufgemacht und auf die schlimme Situation der Christen in  seiner Diözese aufmerksam gemacht hatte. Aber dass ein so grausam  geplanter und umgesetzter Anschlag folgen würde, damit hat keiner gerechnet.

KIN: Was weiß man inzwischen über die Attentäter?

DAMIAN: Die drei mutmaßlichen Täter, die auf die Jugendlichen geschossen  hatten wurden schnell festgenommen. Doch sie sind nur Werkzeuge anderer,  die in der hinteren Reihe sitzen und planen. Dieser Mordanschlag war  kein Zufall, sondern von langer Hand geplant. Es gibt Menschen, die den  Bischof hassen und die Christen der Diözese ins Herz treffen wollten.  Was die Attentäter angeht, kam von offizieller Seite die übliche  Aussage, die lautet: "Ach, da handelt es sich um psychisch Kranke." Dazu  kann ich nur sagen: Die Märchen hören nicht auf, denn diese immer  gleiche Geschichte hören wir immer wieder. Wir haben die Nase voll und  halten es nicht mehr aus. Die Kopten haben nichts Böses getan und  niemanden verletzt. Wir haben nur den unverschämten Anspruch, als  gleichberechtigte Mitbürger leben zu wollen. Aber das ist nur ein Traum,  von dem wir weit entfernt sind.

KIN: Sie fordern also eigentlich nur Religionsfreiheit – ist diese  Religionsfreiheit für die Christen in Ägypten denn nicht gegeben?

DAMIAN: Im Augenblick ist es in Ägypten beinahe schon kriminell, wenn  man in einer privaten Wohnung beten will. Wer als Christ eine Wohnung  oder ein Haus kaufen will, muss unterschreiben, dass er diese Immobilie  niemals als Gebetsraum nutzen wird. So weit sind wir in Ägypten! Wir  bekommen keine Genehmigung, Kirchen zu bauen oder zu erweitern. Und wenn  einer auf die Idee käme, sein Haus zu einer Kirche zu machen, dann muss  er damit rechnen, dass es in Brand gesteckt wird. Denn es gibt  niemanden, der uns in Schutz nimmt.

KIN: Kommen wir noch einmal konkret auf den Mordanschlag zurück – in  Deutschland war zu lesen, dass es sich um einen Racheakt für die  Vergewaltigung eines muslimischen Mädchens durch einen Christen  gehandelt habe. Was halten Sie von dieser Erklärung?

DAMIAN: Dieses Märchen haben wir natürlich auch gehört. Das trifft  absolut nicht zu, es ist eine Verleumdung. Denn seien wir ehrlich: Wenn  das der Fall gewesen wäre, wäre der Vergewaltiger schon längst mitsamt  seiner ganzen Familie ermordet und sein Haus abgebrannt worden. Wir haben in Ägypten eine Kultur der Lügen. Das muss ich so deutlich sagen.  Denn es geschieht beinahe täglich, dass christliche Mädchen entführt  werden, dass ihnen Organe entnommen werden, dass sie vergewaltigt und in  die Prostitution geschickt werden. Davon redet keiner! Die Wahrheit  sieht vielmehr so aus, dass es schon seit geraumer Zeit in dieser Region  Gewalt gegen Christen gegeben hatte und dass der Bischof sich geweigert  hat, auf eine Aufklärung dieser Gewalt zu verzichten, so wie es die  örtlichen Behörden von ihm verlangt hatten. Der Bischof verlangte  Schadenersatz für die Menschen, die ihre Häuser und Geschäfte verloren  hatten. Er weigerte sich, das Geschehene zu ignorieren und vor den  Kameras zu lächeln. Daraufhin wurde ihm gesagt: "Wir werden dir zeigen,  wie Islam geht, wenn du nicht tust, was wir wollen!" Das ist die  Situation in Ägypten: Niemand wird davon abgehalten, Christen zu töten,  aber wir müssen dabei lächeln und zeigen, wie friedlich wir sind. Wir  müssen auf unsere Rechte verzichten. Genau dagegen hat sich der Bischof  aufgelehnt. Daraufhin war er persönlich das Ziel dieses Anschlags. Er  sollte getötet werden. Wenn Gott und seine Schutzengel ihn nicht unter  ihren Schutz genommen hätten, wäre er schon längst ermordet worden.

KIN: Geht die Gewalt nur von einer Minderheit aus oder haben sich  inzwischen starke radikale Kräfte im Islam entwickelt?

DAMIAN: Ich habe nach den Anschlägen von vielen weltlichen Institutionen  und auch von der ägyptischen Botschaft Kondolenzschreiben erhalten. Aber  kein Scheich, kein religiöser Führer des Islam hat sich von dieser Tat  distanziert. Auch aus Ägypten selbst höre ich nichts von Mitleid – die  muslimischen Führer schweigen, so weit ich das von hier aus beurteilen  kann, zu der Tat. Das ist allerdings nur mein Eindruck hier in  Deutschland und von dem, was ich von den Angehörigen der Christen aus  Nag Hammadi erfahre.

KIN: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Christen in Ägypten so  sehr unterdrückt werden? Hat das auch politische Gründe?

DAMIAN: Nicht so weit ich das sehen kann. Es geht schlicht und einfach  um die Religion. Wir sind keine politisch Verfolgten, wir werden  religiös verfolgt, obwohl wir nicht verstehen können, warum. Ich bin  nicht nur Ägypter, weil ich in diesem Land geboren wurde, sondern auch  aus Überzeugung. Wir Christen tun auch viel für Muslime. Hier in  Deutschland ist mein Kloster eine Anlaufstelle für Asylbewerber aller  Nationalitäten, und die meisten von ihnen sind Muslime. Wir erzählen  keine orientalischen Märchen, wir helfen unseren Mitmenschen. Wir teilen  unser Brot mit Muslimen, die bedrängt sind. Und das machen wir nicht als  "Öffentlichkeitsarbeit", sondern weil es die Forderung unseres Herrn  ist. Wenn wir helfen, dann helfen wir allen. Egal, ob Christen oder  Muslimen.

KIN: Woher kommt dann aber der Hass mancher Muslime auf die Christen?

DAMIAN: Das liegt an den Lehrern in den Moscheen. Die Ägypter sind von  Natur aus ein friedvolles Volk. Aber die Menschen lernen durchs Hören.  Und wenn die Freitagspredigt in der Moschee heiß ist von Hass, dann  gehen diese eigentlich friedlichen und einfachen Menschen auf uns los.  Es geht also um die Lehre, die von den Imamen gepredigt wird. Ich war  zum Beispiel einmal bei einem muslimischen Freund in Ägypten und hörte  mir in seiner Moschee die Freitagspredigt an. Ich war entsetzt! Das war  keine Predigt, sondern eine Kriegserklärung! Ich frage mich, was das  soll! Wir müssen in die Moschee gehen, um zu beten, und wir müssen sie  mit Frieden im Herzen verlassen.

KIN: Was wird in den Moscheen über die Christen gesagt?

DAMIAN: Das ist ganz unterschiedlich und hängt vom Prediger, vom Imam,  ab. Die meisten unter ihnen sind vernünftig und bringen den Menschen das  Gebet, das Fasten und die Tugenden bei. Andere jedoch sprühen Hass. Und  die Zuhörer können das meist überhaupt nicht einordnen. Manche sind  Analphabeten und leicht beeinflussbar. Diese Menschen haben oft keine  Schulen besucht und vertrauen nur auf das, was sie mündlich überliefert  bekommen. Und sobald diese einfachen Menschen Hasspredigten mitbekommen,  reagieren sie entsprechend. Diese Menschen haben mein Mitleid. Ich bete  für all jene, die ihre Finger mit Blut beschmutzen. Die Ägypter sind von  Natur aus ein friedvolles, gastfreundliches und warmherziges Volk. Es  ist mir rätselhaft, warum man die Beziehungen zwischen Christen und  Muslimen zerstören will. Ich habe persönlich viele gute muslimische  Freunde. Wir haben schon als kleine Kinder in der Grundschule  miteinander gelebt, gespielt und gegessen. Wir haben diesen Hass nicht  gespürt. Diese religiöse Halluzination, die unser Land zurzeit  verschattet, ist alles andere als normal.

KIN: Sie würden also sagen, dass der Hass gegen Christen in Ägypten  während der vergangenen Jahrzehnte zugenommen hat?

DAMIAN: Das ist nicht mehr zu übersehen. Die Menschen würden mich  auslachen, wenn ich etwas anderes behaupten würde. Die Zeit, in der wir  die Fakten mit Geschenkpapier verpacken konnten, ist längst vorbei. Die  Welt ist wie ein Dorf geworden und durch die Medien erfahren die  Menschen unsere Realität – und die ist leider Gottes bitterernst geworden.

KIN: Was tut die Regierung in Ägypten gegen die muslimischen Extremisten?

DAMIAN: Normalerweise hat die Regierung in Ägypten drei wichtige Ziele,  die wir schon als kleine Kinder gelernt haben: Bekämpfung von Armut,  Krankheit und Ignoranz. Religion war niemals eine Aufgabe der Regierung.  Es hieß: Jeder soll seine Religion ausüben, so lange das die Einheit der  Nation nicht bedroht. Damit sind wir bisher immer gut gefahren. Aber  irgendwie scheint es inzwischen dazu gekommen zu sein, dass man die  Religionen gegeneinander ausspielt.

KIN: Was müsste sich in Ägypten ändern, um diese Tendenz aufzuhalten?

DAMIAN: Wir brauchen ein Gesetz, durch das alle Menschen in Ägypten  gleich behandelt werden. Im Augenblick besitzen wir Christen nur die  Gnade des Präsidenten. Die Scharia ist die Quelle der ägyptischen  Gesetzgebung und das bedeutet: Wenn ein Muslim einem Christen etwas  antut, darf der Täter nicht bestraft werden. Das heißt im Prinzip für  die Muslime: Grünes Licht für Gewalt gegen Christen. Wenn ein Kopte auf  die Idee käme, auf ein Polizeirevier zu gehen, weil seine Tochter  entführt wurde, dann muss er aufpassen, dass er nicht selbst ins  Gefängnis kommt. Das ist untragbar! Ich bin der festen Überzeugung, dass  die Situation sich ändern würde, wenn alle Menschen vor dem Gesetz  gleich behandelt werden müssten – unabhängig von ihrer Religion. Die  Religionsfreiheit ist eine Gnade Gottes, die uns niemand nehmen darf.  Menschen müssen ihre Religion wählen oder wechseln dürfen, ohne dafür  bestraft oder belohnt zu werden. Wenn das so wäre, würde sich die  Situation in Ägypten dramatisch ändern. Aber das Problem ist, dass der  Islam und die Politik in Ägypten voneinander untrennbar sind.

KIN: Sehen Sie unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt eine

Zukunft für die koptischen Christen?

DAMIAN: Wir werden aufgrund unserer Religion in Ägypten verfolgt. Da  brauchen wir keine blumigen orientalischen Märchen erzählen – das ist  einfach so. Darüber sind wir sehr traurig, denn Ägypten ist unser  Heimatland und inzwischen ist der Tag gekommen, an dem wir nicht einmal  mehr in unserem Vaterland in Frieden leben dürfen. Wir sind eine Kirche  von Märtyrern. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Kirche "aufblüht",  wenn ihr Blut vergossen wird. Wir erfahren täglich, dass die Kirche  wächst. Die Menschen, die uns ermorden und verfolgen, sorgen mit ihren  Taten für das Wachstum der Kirche. Wir haben keine Angst vor dem Tod des  Körpers und des Leibes. Wir sind Kinder der Märtyrer und die Kirche wird  bestehen. Wir sind nicht allein. Gott ist mit uns. Niemand auf dieser  Erde wird uns je in Angst versetzen.

KIN: Was können wir in Deutschland für die koptischen Christen tun?

DAMIAN: Mit uns beten. Gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die  Menschenwürde und die Menschenrechte in Ägypten eingehalten werden. Und  Sie können unsere Situation bekannt machen und damit dafür sorgen, dass  die Verantwortlichen endlich nicht mehr die Augen vor den Tatsachen  verschließen können.