13.08.2011

Deutschland: Esoterik, Kirche und Fundamentalisten

Weltanschauung: Evangelische Zentralstelle kritisiert „Schwarzbuch Esoterik“

Deutschland: Esoterik, Kirche und Fundamentalisten

Weltanschauung: Evangelische Zentralstelle kritisiert „Schwarzbuch Esoterik“

 

Berlin (idea) – Für heftige Diskussionen sorgt das jüngst erschienene „Schwarzbuch Esoterik“ der Fachreferentin für neureligiöse Gemeinschaften und Psychogruppen der Stadt Hamburg, Ursula Caberta. Darin warnt die 61-Jährige, die durch ihren Kampf gegen die Scientology-Bewegung bekannt wurde, vor selbsternannten Wunderheilern und Seelenfängern. Mit esoterischen Angeboten würden allein in Deutschland rund 20 Milliarden Euro pro Jahr erzielt. Vor fünf Jahren seien es noch sechs Milliarden gewesen, so Caberta bei ihrer Buchpräsentation in Hamburg. Heftige Kritik übt sie am früheren evangelischen Fernsehpfarrer Jürgen Fliege (Tutzing am Starnberger See), der den Anbietern der Szene unkritisch eine Plattform geboten habe: „Über Jahre hinweg präsentierte Jürgen Fliege in seiner gleichnamigen Fernsehsendung in der ARD alles, was Rang und Namen hat an Geistheilern, Seherinnen, Familienstellern oder anders okkult geschultem Personal.“ Fliege sei „ohne Hemmungen vom evangelischen Pastor zum Esoteriker mutiert“, so Caberta. Der Theologe bietet auf seiner Internet-Seite gegen Bezahlung ein Heilwasser mit der Bezeichnung „Fliege-Essenz“ an, über die er nach eigenen Angaben „gebetet“ habe wie über Weihwasser. Mancherlei „esoterischen Unsinn“ bietet laut Caberta auch der Deutsche Evangelische Kirchentag. Eine Bedrohung sieht die Autorin ferner in einem „fundamentalistischen Christentum“: „Die vielen akzeptierten und politisch hoffähig gemachten esoterischen Lehren können in Verbindung mit einer immer mehr erstarkenden fundamentalistischen Auslegung christlicher Glaubenssätze leicht zu einer intoleranten Gesellschaft führen, die nichts mehr mit freiheitlicher Demokratie zu tun hat.“ Nach Ansicht Cabertas distanzieren sich die Kirchen zu wenig von esoterischen Gruppen und fundamentalistischen Christen.

EZW: Schwarzbuch ist „enttäuschend“

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW/Berlin) bezeichnet Cabertas Buch als enttäuschend und die Darstellungsweise als pauschalisierend. Es sei ein „Rundumschlag“ gegen „verschiedenste Formen vereinnahmender Religiosität“, so EZW-Leiter Reinhard Hempelmann. In entscheidenden Passagen seien Cabertas Ausführungen von „der Vision einer staatlichen Weltanschauungskontrolle“ bestimmt. Hempelmann: „Tatsächlich tut Aufklärung not. Wenig gedient ist dieser Aufgabe allerdings mit einem alarmisierenden Rundumschlag.“ Nach kulturellen Bedingungen moderner Esoterikfaszination werde in dem Buch nicht gefragt. Die wissenschaftliche Forschung zum Thema werde „so gut wie nicht zur Kenntnis“ genommen.

Kritik an Fliege trifft „wunden Punkt“

Cabertas Kritik an Fliege treffe aber einen „wunden Punkt“. Dieser scheine mit seinen Stellungnahmen, Aktivitäten und Produkten selbst Teil einer facettenreichen Esoterikszene geworden zu sein. Im Blick auf den Fliege-Kongress „Wörishofener Herbst“ vom 28. Oktober bis 1. November erklärt Hempelmann: Wenn Pfarrer Fliege dort „morgens Andachten in einer Kirche hält und anschließend einen Esoterikkongress mit christlichen Elementen organisiert“, liege das zwar im Trend, stehe aber in einem Spannungsverhältnis zum kirchlichen Auftrag. „Kirchliche Aktualitätssicherung durch Aufnahme esoterischer Angebote setzt falsche Akzente. Wer als ordinierter Geistlicher öffentlich auftritt, sollte sich auch den Aufgaben religiöser Aufklärung und einer kritischen Auseinandersetzung mit esoterischer Spiritualität verpflichtet wissen“, so Hempelmann.

„Medienwirksame Gegnerschaft“ von Caberta und Fliege

Letztlich glichen sich Caberta und Fliege darin, dass sie durch Vereinfachungen, Provokationen und durch einen geschickten Umgang mit den Medien das Licht der Öffentlichkeit suchten. Im „Zusammenspiel medienwirksamer Gegnerschaft“ verhülfen sie sich zu wechselseitiger Popularität. Der EZW-Leiter: „Statt Distanzlosigkeit auf der einen und pauschaler Kritik auf der anderen Seite sollte eine sachbezogene, differenzierte Auseinandersetzung mit moderner Esoterik erfolgen, zur Stärkung der Urteilsbildung und der Orientierungsfähigkeit in einer durch weltanschaulichen Pluralismus bestimmten Gesellschaft.

„Flieges Segen kostet nichts extra“

Fliege wies unterdessen den Vorwurf zurück, mit seiner „Essenz“ Geld zu verdienen: „Die Essenz gibt es mit meinen Gebeten zum gleichen Preis wie ohne. Flieges Segen kostet also nichts extra.“ Dass Caberta ihr Buch auf seinem Rücken verkaufe, nimmt der Theologe nach eigenen Angaben „gelassen“. Er habe in einem Gottesdienst auf Sylt gesungen, dass zum Glauben auch das Verspotten gehöre: „Da ward ich getröstet.“ Fliege kündigte an, dass er „trotz vernichtender Anschuldigungen“ im Dialog bleibe.