02.01.2011

Deutschland: Ist der Glaube "nur" Privatsache?

FDP-Generalsekretär stellt christliche "Leitkultur" für Deutschland in Frage

Deutschland: Ist der Glaube "nur" Privatsache?

 

FDP-Generalsekretär stellt christliche "Leitkultur" für Deutschland in Frage

 

Artikel des Evangeliumsrundfunks Deutschland  vom 19.10.2010:


Seit der Rede des deutschen Bundespräsidenten am 3. Oktober ist die Integrationsdebatte in vollem Gange. Jetzt hat sich FDP-Generalsekretär Christian Lindner in diese Debatte eingeschaltet. Doch diesmal geht es nicht um den Islam sondern vor allem um das Christentum. Und so schreibt Lindner an diesem Tag in der FAZ: „Das Christentum ist nicht die Deutsche Staatsreligion sondern allein ein persönliches Bekenntnis der Bürger.“

Kai-Uwe Wytschak hat darüber mit Chefredakteur von ERF Radio, Andreas Odrich gesprochen:


K.-U. Woytschak: Die These klingt, als wolle Lindner provozieren. Aber hat er mit seiner Aussage nicht einfach Recht?

A. Odrich: Im Prinzip hat Lindner mit seiner Aussage natürlich Recht. Religion ist in Deutschland nicht die Angelegenheit des Staates. Dieser Umstand wurde in Deutschland 1918 endgültig abgeschafft. Und deshalb weist Lindner auf etwas anderes hin: Die Wurzeln unserer Verfassung reichten nach Athen und Rom zurück. Ihre Prinzipien seien in der französischen Revolution erkämpft worden und das sogar oft gegen den Widerstand der Kirchen. Zu den Bürgertugenden hingegen gehöre es, den Staat, seine Gesetze und seine Repräsentanten zu akzeptieren.

Den letzten Satz kann sicher jeder unterschreiben. Was macht die Aussage von Lindner problematisch?

Mich stört immens der Gegensatz, den Lindner aufbaut: Auf der einen Seite der staatstragende und staatsfördernde Demokrat, der Republikaner, und auf der anderen Seite quasi das Christentum und die Kirchen, die die demokratischen Werte torpedieren. Für Lindner sind die christlichen Kirchen in dieser Aussage reduziert auf die Rolle des Bremsers, der die demokratischen Prozesse behindert. Folglich ist es bei dieser Sicht der Dinge natürlich besser, wenn Religion zur Privatsache wird und im stillen Kämmerlein stattfindet.

Was würdest du dieser These denn entgegensetzen?

Natürlich haben die christlichen Kirchen in ihrer 2000jährigen Geschichte oftmals versagt, natürlich ging es den Kirchen als Institutionen oftmals um Machterhalt. Doch leider wirft Lindner damit alles über Bord, was Kirchen und Christen Positives zu unserer Gesellschaft und Kultur beigetragen haben. Ich erinnere zunächst an die Reformation, die sehr deutliche Fragen gestellt hat und selbstkritisch am Machtanspruch der Kirchen gerüttelt hat. Dann haben die Kirchen in Deutschland die Tradition der Aufklärung durchlaufen. Es folgen Diakonie und Caritas, ein aktiver gesellschaftsprägender Beitrag zur Nächstenliebe, die Bekennende Kirche im Dritten Reich, sowie der kritischer Umgang mit den medizinethischen Herausforderungen unserer Zeit. Dies sind alles Werte, die unser Land positiv geprägt haben. Und das fällt bei Lindner völlig unter den Tisch. Für mich bedient er hier unausgesprochen ein altes Klischee: Religion und Christentum sind bestenfalls etwas Weltfremdes. Nur damit wird man einen radikalen Islam nicht abschrecken.

Was wäre deine Lösung?

Ich will keine Staatskirche. Ich wünsche mir aber eine kritische und wache Kirche. Eine Kirche, die sich von Jesus Christus getragen weiß, eine Kirche, die sich traut, davon zu sprechen, dass Christus die Erlösung für die Menschen ist. Eine Kirche die von dort ihre Maßstäbe bezieht und sich kritisch einmischt, die Kanten und Profil zeigt und nicht irgendein Wischiwaschi Christentum verkündet mit ein paar religiösen Übungen. Ich meine: eine profilierte Kirche ist für die Demokratie nötiger denn je. Der Glaube an Jesus Christus ruft immer in die positive gesellschaftliche Verantwortung mit Respekt gegenüber denen, die in politischen Ämtern stehen. Und solche Verbündete braucht die Politik in diesen Tagen mehr denn je.