05.01.2011
Deutschland/Ägypten: Schrift steht gegen Gewalt
Wollten die Ägypter den Anschlag auf die Kopten nicht verhindern? Von Christine Schirrmacher
Deutschland/Ägypten: Schrift steht gegen Gewalt
Wollten die Ägypter den Anschlag auf die Kopten nicht verhindern? Von Christine Schirrmacher
Schrift steht gegen Gewalt Wollten die Ägypter den Anschlag auf die Kopten nicht verhindern? Von Christine Schirrmacher
Noch ist ungeklärt, ob die Attentäter von Alexandria, die mehr als zwanzig christliche Kopten auf dem Gewissen haben, Al Qaida zuzurechnen sind. Die ägyptische Staatsmacht beteuert, dass Al Qaida in Ägypten keine Basis besitze. Aber wenn es sich um einheimische Dschihadisten handelt, wäre das für Ägypten wohl noch verheerender.
Verheerend ist ein solcher Anschlag in jedem Fall: für das Zusammenleben von Christen und Muslimen, weil er die schon lange schwelenden Spannungen und das Misstrauen erneut verstärken wird; aber auch deshalb, weil er der Minderheit das Gefühl gibt, recht- und schutzlose Opfer in einem skrupellosen Machtpoker zu sein, der gerade die christlichen Feiertage zu Einschüchterung und Gewalt nutzt.
Das Empfinden der Rechtlosigkeit bei den christlichen Kopten in Ägypten wird nicht nur durch singuläre Ereignisse wie dieses genährt, sondern vor allem durch mancherlei Diskriminierungen im Alltag, gegen die es keine Berufungsmöglichkeit gibt, aber auch durch die Unfähigkeit oder den fehlenden Willen der Behörden, Angreifer auf die koptische Minderheit wirksam zu bestrafen. Bei der Gewalt gegen die christlichen Kopten in Ägypten, aber auch in Ländern wie dem Irak oder Nigeria treffen verschiedene Faktoren zusammen.
Zunächst die Geschichte: Als Muhammad seit etwa dem Jahr 610 auf der Arabischen Halbinsel den Islam zu verkündigen begann, predigte er vor allem den arabischen Stämmen, hoffte aber auch auf Anerkennung bei Juden und Christen, die er zunächst als „Gläubige“ und „Gottesfürchtige“ (Sure 5,82; 3,110) recht positiv beurteilte. Ihnen präsentierte er sich als letzter Prophet der Geschichte, als Nachfahre von Abraham, Moses und Jesus.
Als weder Juden noch Christen Muhammads Sendungsanspruch akzeptierten (Sure 2,111; 5,15), begann Muhammad die Juden in Medina seit 622 militärisch zu bekämpfen und die Christen im Laufe der Jahre immer stärker theologisch zu verurteilen, bis er sie schließlich hauptsächlich wegen ihrer Verehrung von „drei Gottheiten“ (Gott, Sohn und Mutter Gottes) als „Ungläubige“ (2,116; 5,72-73) verurteilte. So betrachtete die islamische Theologie den Islam als einige, reine, verlässlich überlieferte Religion, unverfälscht und mit dem Verstand vereinbar, die alle anderen früheren Religionen korrigiert und überragt.
Dieses Überlegenheitsgefühl der islamischen Theologie allen anderen Religionen gegenüber führt dazu, dass die „Schriftbesitzer“ der Juden und Christen zwar nicht als Heiden gelten; aber sie stehen im Ruf, den berechtigten Sendungsanspruch Muhammads willentlich abzulehnen und einer minderwertigen Religion anzugehören.
Reden verboten
Rechtlich waren und sind Christen in islamischen Gesellschaften nachgeordnet, benachteiligt, Bürger zweiter Klasse. Ihnen sind höhere Posten in der Armee und dem Staatsdienst, an der Universität und bei den Sicherheitskräften grundsätzlich verwehrt. Dadurch, dass in Ägypten die Religionszugehörigkeit im Pass vermerkt ist, kommt es im Alltag zu vielen Diskriminierungserfahrungen. Dabei geht es nicht nur um Ägypten. Diese mit dem Koran begründete
Überlegenheit findet auch Ausdruck in modernen Rechtserklärungen wie etwa der „Kairoer Erklärung für Menschenrechte“ von 1990, die von 57 islamisch geprägten Staaten getragen wird und nur Muslimen volle Menschenrechte zubilligt, die ihr Leben nach der Scharia gestalten.
Die Situation aus koranischer Zeit wirkt bis heute nach. Seit unter Präsident Anwar al-Sadat 1980 die Scharia zur einzigen Gesetzesgrundlage Ägyptens erklärt wurde, drängen islamistische Gruppen immer stärker auf eine gesellschaftliche und rechtliche Islamisierung Ägyptens. Die christlichen Minderheiten werden dabei geduldet und müssen nicht zum Islam konvertieren. Aber sie unterliegen in ihrer Religionsausübung manchen Beschränkungen, beispielsweise, wenn es um die Reparatur ihrer Kirchenbauten geht. Der Staat steckt den Rahmen ihrer religiösen Bewegungsfreiheit ab und kontrolliert dessen Einhaltung. So können aufgrund des strikten Missionsverbots Gespräche von Priestern mit Muslimen schwer geahndet werden.
Wenn es dann zu Übergriffen oder Ausschreitungen gegen Christen kommt, dann befürworten im eigentlichen Sinne weder der Koran noch die Überlieferung Rechtsverletzungen gegen die christliche Minderheit. Auf der anderen Seite schafft die grundsätzliche Haltung der Überlegenheit und die staatlich-rechtliche Bevorzugung der muslimischen Mehrheit ein Klima, in dem gegen Übergriffe nicht immer mit aller zur Verfügung stehenden staatlichen Härte vorgegangen wird. Strafverfahren werden teilweise halbherzig betrieben oder verlaufen im Sande, wie zum Beispiel die Ermittlungen gegen 89 Extremisten wegen deren Übergriffen gegen Kopten im Dorf Kusheh im Jahr 2000, die ohne Prozess wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.
Anlässlich der Anschläge von Alexandria wurde nun bekannt, dass in der Nacht des Anschlags – ebenso wie vor dem Anschlag in Nag Hammadi 2009 – vor dem Attentat und trotz der großen Zahl von rund zweitausend Gottesdienstbesuchern die Polizei ihre Sicherheitskräfte auf fünf Personen reduzierte und nichts unternahm, als ein Skoda gut sichtbar direkt gegenüber dem Kirchengebäude parkte, von dem aus die Bombe gezündet wurde.
Saat der Worte
Der politische Islam, der Islamismus und Extremismus, hat sich die koranischen Grundlagen für die Nachrangigkeit von Christen und Juden und deren gesellschaftlich-rechtliche Benachteiligungen in den vergangenen vierzig Jahren massiv zunutze gemacht. Der Dschihadismus knüpft an die Koranverse an, die vor dem Unglauben der „Schriftbesitzer“ warnen, verknüpft sie mit politischen Ereignissen wie dem Irak-Krieg oder den Folterskandalen von Abu Ghraib und stellt alles Westlich-Christliche als verdorben, verfälscht und zerstörerisch dar, dessen man sich erwehren müsse. Hassprediger in Moscheen und im Internet, in Veröffentlichungen und im Unterricht von Jugendlichen halten Hetzreden gegen die „Ungläubigen“, den Westen, die zionistische Verschwörung und das Christentum, das gekommen sei, den Islam zu zerstören. Das erzeugt in Kombination mit der eigenen desolaten wirtschaftlichen Lage Zorn gegen den Feind da draußen.
Natürlich gibt es im Islam oder auch im Koran keine Anweisung, Juden und Christen zu töten und ihre Gotteshäuser in die Luft zu sprengen. Viele Prediger rufen zur Mäßigung und zum Frieden auf. Aber neben den Theologen, die die Anschläge verurteilt haben, gibt es Hassprediger, die in staatlich gelenkten theologischen Ausbildungsstätten und Moscheen etabliert sind und im Internet und Fernsehen etwa Selbstmordattentate in Palästina rundheraus rechtfertigen (wie etwa der wohl derzeit einflussreichste islamische Theologe Yusuf al-Qaradawi) und zum Dschihad aufrufen.
Von einflussreichen Gelehrteninstitutionen wie der Al-Azhar etwa sind gemäßigte Stellungnahmen zu hören, aber auch Fatwas, die die Tötung von Apostaten fordern und die Brandmarkung von Juden und Christen als „Ungläubige“ mit Koranversen untermauern. Niemand braucht sich zu wundern, wenn diese Saat der Worte dann auch aufgeht. Neben der ja nur begrüßenswerten Verurteilung der Anschläge durch islamische Theologen gibt es natürlich auch Muslime, die auf den Straßen „Allahu akbar!“ („Allah ist groß!“) skandieren.
Nicht zuletzt sind die Anschläge auch eine Botschaft an die westliche Welt, denn nicht nur die verwundbare Minderheit der Christen vor Ort soll mit den Anschlägen eingeschüchtert werden. Die Botschaft der Extremisten richtet sich zugleich an den Westen und die dortige Bevölkerung und deren Regierungen, die weiterhin im Fokus der Dschihadisten stehen.Die „Saat der Worte“ (Hrant Dink) geht auf, im Guten wie im Schlechten. Nicht umsonst hat Yusuf al-Qaradawi selbst gelehrt, dass die „Macht der Schreibfeder“ viel größer sei als die Macht, die durch Gewalt oder durch Kriege ausgeübt werden kann. Es ist Zeit, nicht nur die Anschläge selbst zu verurteilen, sondern auch die ideologischen Grundlagen islamistischer Wortführer und Scharia-Befürworter aufzudecken, um den Wurzeln für solche Taten zu Leibe zu rücken.
Christine Schirrmacher ist Professorin für Islamische Studien an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Löwen (Belgien) und wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Islamfragen der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Evangelischen Allianz. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 05.01.2011 Seite 29