08.01.2011

Südsudan: "Jetzt geht es um Leben und Tod"

Referendum im Südsudan Aus Juba berichtet Horand Knaup

Südsudan: "Jetzt geht es um Leben und Tod"

Referendum im Südsudan

Aus Juba berichtet Horand Knaup

 

Ganz Afrika schaut auf diese Entscheidung - der Südsudan will per Referendum zum eigenen Staat werden, die christlichen Einwohner hoffen nach jahrzehntelanger Unterdrückung endlich auf Freiheit. Doch sie riskieren viel: einen Grenzkrieg, wirtschaftliches Chaos und noch tiefere Armut.

Sabri reichen zwei kleine Koffer und eine Plastiktüte, um mit seinem bisherigen Leben abzuschließen: Der 26-jährige Student hat sein bestes Hemd angezogen, das Gepäck genommen und sich an einem Donnerstag in Khartum, der Hauptstadt des Sudan, in ein Flugzeug gesetzt.

Zwei Flugstunden weiter südlich, in Juba, ist er ausgestiegen, und nun sitzt er vor dem Flughafengebäude im Schatten und wartet. Auf einen Bekannten, einen barmherzigen Chauffeur oder überhaupt eine glückliche Fügung. Sabri hat noch umgerechnet fünf Euro in der Tasche, zu wenig für ein Taxi zum Haus seiner Mutter.

Seit fünf Jahren hat er seine Heimatstadt nicht mehr gesehen. Aber Sabri kennt das Warten. In Khartum haben sie ihn, den Studenten aus dem Süden, zuletzt oft und gerne warten lassen. Sie haben ihn gehänselt, gepiesackt, schikaniert. Als er sich vor ein paar Tagen das Einwegticket nach Juba gekauft hat, gab es den üblichen Studentenrabatt für ihn plötzlich nicht mehr.

Südsudan: Auf gepackten Koffern

Sabri bekam Drohungen: "Wenn ihr euch abspaltet, bringen wir euch um." Regierungszeitungen haben Leute wie Sabri als "unwillkommen" und "illegale Ausländer" bezeichnet. Sabri nimmt die Hinweise ernst: Schon zweimal, 1964 und zuletzt 2005, wurden in Khartum Menschen aus dem Süden gejagt. Sabri hat Forstwirtschaft studiert, aber am Ende haben sie ihm das Abschlusszeugnis nicht gegeben. Weil er aus dem Süden stamme, weil er ja nur verreise, um für die Unabhängigkeit des Südens zu votieren. "Wirst schon sehen, was du davon hast", haben sie ihm hinterhergerufen.

Hunderttausende sitzen auf gepackten Koffern

Viele Südsudanesen haben sich auf den Weg gemacht, mit dem Flugzeug wie Sabri, in Bussen, auf Frachtkähnen den Nil hinauf. Umgekehrt sind Tausende Muslime in Richtung Norden aufgebrochen.

Doch der eigentliche Exodus steht noch bevor: Rund zwei Millionen Südsudanesen leben noch im Norden. Hunderttausende von ihnen sitzen auf gepackten Koffern. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen rechnet mit knapp 400.000 Flüchtlingen, die demnächst in den Süden ziehen werden.

Die Stimmung ist angespannt im Sudan, Afrikas größtem Flächenland. Vom kommenden Sonntag an, eine Woche lang, entscheidet der Süden in einer Volksabstimmung, ob er sich abspalten will vom Norden. Und wenn nicht alles täuscht, ist der Südsudan dann der 55. Staat Afrikas.

Ganz Afrika schaut auf die Entscheidung. In dieser Woche noch waren die Staatschefs Husni Mubarak (Ägypten), Muammar al-Gaddafi (Libyen) und Mohamed Ould Abdel Aziz (Mauretanien) in Khartum, um die Lage zu sondieren und vor allem zwei Dinge zu vermeiden - einen neuen Krieg und weitere Abspaltungen im Sudan.

40 Jahre lang führten der muslimische Norden und der eher christliche Süden gegeneinander Krieg. Es war stets auch ein Konflikt zwischen den arabischstämmigen Völkern und den Niloten. Jahrhunderte lang hatte der Norden im Süden Sklaven gejagt und auch später nie etwas zu seiner wirtschaftlichen Erstarkung getan. Vier Dekaden, die über zwei Millionen Menschen das Leben kosteten. 40 Jahre, die den Süden, der mit viel Wasser, fruchtbaren Böden und vor allem Erdöl gesegnet ist, in eine der tristesten Elendsregionen der Welt überhaupt verwandelt hat. 2005 schlossen beide Seiten ein Friedensabkommen. In dem Vertrag einigten sich beide Seiten auf eine Volksabstimmung im Süden, sollte es nicht Fortschritte in Richtung Einheit geben.

Staatschef al-Baschir rechnet mit einer Abspaltung des Südens

Doch die gab es nicht, im Gegenteil. Der Norden tat nichts, um dem Süden den Gesamtstaat schmackhaft zu machen. Straßen, Brücken, Bildung, Gesundheit: Der Süden blieb sich selbst überlassen. Auch die Besuche von Staatschef Umar al-Baschir blieben eine Rarität.

Nun also wird das Volk befragt, und die Stimmung ist eindeutig. Selbst al-Baschir hat das erkannt. Bei einem Besuch Anfang der Woche in Juba erklärte er, er würde eine Abspaltung des Südens bedauern - aber er würde sie akzeptieren. Und er ließ ungewohnte Einsicht erkennen: "Der Versuch, die Einheit mit Gewalt zu bewahren, ist gescheitert."

Das klingt recht friedfertig. Und doch sind, obwohl seit Monaten zwischen Nord und Süd verhandelt wird, entscheidende Fragen noch längst nicht geklärt: Wie sieht es künftig aus mit der Staatsangehörigkeit, mit den Wanderrechten für die Nomaden, wer darf das Nilwasser nutzen, wer muss die Altschulden übernehmen, vor allem aber: Wo verläuft die Grenze, und wie werden die Öleinnahmen geteilt? Ja, auch der Name eines neuen Südstaates steht noch nicht fest.

Insbesondere in der Region Abyei droht die Situation zu eskalieren. Abyei liegt ziemlich genau auf der Grenze und Norden und Süden erheben gleichermaßen Anspruch - nicht zuletzt, weil es dort Ölfelder gibt. Die Lage ist verzwickt, denn in Abyei wohnen mehrheitlich christliche Dinkas, aber auch die Misseryia-Nomaden mit ihren Viehherden und traditionellen Bindungen in den Norden ziehen regelmäßig durch die Region. Es gab ein Übereinkommen, dass die Bewohner der Region selbst über ihre Zukunft entscheiden sollen - bis der Norden sich daran nicht mehr halten wollte. Nun ist das Referendum in Abyei ausgesetzt, aber viele im Süden, insbesondere die Dinkas, die dominierende Ethnie des Südens, wollen Abyei auf keinen Fall preisgeben.
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