19.01.2011
Iran: Christen in Iran Die Glaubensdiebe
Viele Iraner fühlen sich zum Christentum hingezogen. Doch für die Herrscher in Iran ist die Apostasie, der Abfall vom Islam, ein schweres Vergehen. So entwickelt sich eine Untergrundreligion für Iraner, die konvertieren wollen. Von Amir Hassan Cheheltan
Iran: Christen in Iran Die Glaubensdiebe
Viele Iraner fühlen sich zum Christentum hingezogen. Doch für die Herrscher
in Iran ist die Apostasie, der Abfall vom Islam, ein schweres Vergehen. So
entwickelt sich eine Untergrundreligion für Iraner, die konvertieren wollen.
Von Amir Hassan Cheheltan
FAZ.NET - 20. Januar 2011 - In der politischen Sphäre Irans herrscht nach
wie vor die
Gewalt. Für manche derjenigen, die um ihres Seelenfriedens willen
moralischer Grundsätze bedürfen, sind christliche Lehren, die
Selbstbeherrschung, Toleranz und Friedfertigkeit bekräftigen,
außerordentlich ansprechend. Im islamischen Strafrecht steht auf Apostasie,
das heißt Abfall vom Islam, die Todesstrafe. Insofern ist das Christentum
für Muslime ein verbotenes Thema.
Allerdings gibt es in Iran für jede verbotene Angelegenheit geheime Orte.
Verbotene Bücher findet man in den Hinterzimmern der Buchhandlungen, und
Satellitenschüsseln werden in abgelegenen Abstellräumen außerhalb der Stadt
gelagert. Für Alkoholika kann jeder abgedeckte Bereich als Versteck dienen,
seien es die Kofferräume der Autos oder die großen Kühlschränke der
Restaurants. Allerdings gibt es auch hier eine Ausnahme: Prostituierte kann
man tatsächlich an jeder Straßenecke finden. Nur enthüllen sie ihre wahre
Identität einzig ihren Kunden. Im Zuge dieser Entwicklung haben wir
mittlerweile Untergrund-Diskos, Untergrund-Musik und sogar
Untergrund-Kirchen in Iran!
Tatsächlich haben iranische Regimeangehörige in den vergangenen Monaten von
einem Netzwerk von Untergrundkirchen berichtet. In Iran entgeht nichts dem
wachsamen Auge der Obrigkeit, jede unabhängige Aktivität ist verdächtig,
sogar die Anbetung Gottes.
Seit Weihnachten hat es in der Islamischen Republik eine Welle der
Verhaftungen von Christen gegeben. Berichten zufolge sind das Hauptziel
dieser Verhaftungen evangelikale Christen, die nach Angaben der Behörden
ihre Aktivitäten neuerdings verstärkt haben. Die Verantwortlichen haben
betont, dass die Umtriebe dieser Evangelikalen auch in anderen Ländern des
Nahen Ostens Probleme heraufbeschworen haben. In amtlichen Verlautbarungen
bezeichnen sie diese als "zionistische Christen" und als korrupte Bewegung,
die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien unterstützt werde,
weswegen sie als leuchtendes Beispiel für die "kulturelle Invasion des
Feindes" gilt. Die Festgenommenen sind meist konvertierte Muslime oder
Christen, die versucht haben, Muslime zur Konversion zu ermutigen.
Ein iranischer Pastor, der außerhalb Irans lebt, reagierte auf diese
Festnahmen folgendermaßen: "Die Menschen suchen uns auf und erklären, dass
sie an kirchlichen Zeremonien teilnehmen oder sich sogar taufen lassen
wollen, um zum Christentum überzutreten." Ein anderer Pfarrer sagte: "Es ist
unsere Pflicht, die Heilige Schrift allen zu verkünden."
Um die Menschenrechtsorganisationen zu entwaffnen, die berichten, in Iran
gebe es keine Gesinnungsfreiheit, haben die staatlichen Propagandaorgane
jene, die in der Stadt Hamadan im Westen Irans verhaftet wurden, als
"Glaubensdiebe" verleumdet. Iranische Christen berichten, sie hätten kein
Recht auf Besitz und Mitnahme der Bibel - ein Buch, das es nirgendwo im Land
zu kaufen gibt. Einige von ihnen haben nach der Freilassung ausgesagt, dass
sie während ihrer Inhaftierung versprechen mussten, an keiner kirchlichen
Zeremonie mehr teilzunehmen. Außerdem mussten sich manche Kirchenvorsteher
verpflichten, Muslimen den Zutritt zur Kirche zu verweigern.
Ermordete Pastoren
Schon vor zwei Jahren hatte eine Verhaftungswelle in Schiras die Christen in
Iran verängstigt. Man hatte zwei von ihnen in einem Park festgenommen und
sie nach Abschluss des Verhörs wegen Apostasie angeklagt; wenige Wochen
später waren zehn weitere christliche Konvertiten in derselben Stadt unter
einem vergleichbaren Vorwand verhaftet worden. Das Bemerkenswerte daran ist,
dass der Vorwurf der Apostasie stets von anderen Anschuldigungen wie
Propaganda gegen das Regime und Verunglimpfung der Obrigkeiten begleitet
wird. Im selben Jahr war ein weiterer Christ in Maschhad inhaftiert worden,
dessen Vater man zwanzig Jahre zuvor aufgrund eines vergleichbaren Vergehens
in derselben Stadt hingerichtet hatte, obwohl gegen ihn nie förmlich Anklage
erhoben worden war.
Es mag den Anschein haben, als seien nach den Bahai und Derwischen in den
vergangenen Jahren nunmehr die Christen an der Reihe, derlei Vorfälle haben
jedoch eine längere Geschichte: Anfang 1994 wurde ein Pastor, der im Rat der
protestantischen Kirchen tätig war, nach Erduldung einer neunjährigen
Haftstrafe und genau zu dem Zeitpunkt, als man ihn wegen Apostasie zum Tode
verurteilt hatte, aufgrund internationalen Drucks und ohne Angabe von
Gründen plötzlich aus der Haft entlassen. Ungefähr zur selben Zeit
verschwand der Leiter der Gotteskirchen (Dschama'at Rabbani) Irans, der die
internationalen Proteste organisiert hatte. Nur wenige Tage später fand man
seinen Leichnam; er war erstochen worden. Wenige Monate später wurde
außerdem ein anderer Pastor, der Leiter des protestantischen Pastorenrats
Irans war, im Haus eines Unbekannten erschossen. Bei der Durchsuchung der
Wohnung entdeckten die Beamten in der Tiefkühltruhe die Leiche des ersten
Pastors, jenes Mannes, der neun Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht
hatte.
Keine Religionsfreiheit
Der vom Fernsehen ausgestrahlte Prozess gegen drei junge Frauen, die man
dieser Morde beschuldigte, überzeugte die iranischen Christen nicht, obwohl
man alle drei zum Tode verurteilte. Im Verlauf späterer Enthüllungen zu
mehreren Morden, die im Herbst 1998 an Intellektuellen und Andersdenkenden
verübt worden waren, kamen Beobachter zu dem Ergebnis, dass die eigentlichen
Mörder der Pastoren andere Personen waren, die dieselben Geheimdienstagenten
damit beauftragt hatten.
Fromme Muslime sind überzeugt, wenn die Botschaft ihres Glaubens nach
Überwindung der Hindernisse, die die Feinde Gottes errichten, an die Ohren
der nach Wahrheit dürstenden Menschen gelangt, so würden diese in Scharen
ihre eigene Religion aufgeben und sich dem Islam zuwenden. Tatsächlich gibt
es für die islamische Obrigkeit Irans keine größere Niederlage als jene,
dass die Bevölkerung sich in ihrem unumschränkten Herrschaftsgebiet einer
anderen Religion zuwendet.
"Ich werde für Iran beten"
In Iran haben Hauskirchen Konjunktur. Diese Entwicklung resultiert aus der
Verwirrung der Jugendlichen, die die Wahrheit des Islams mit der Wahrheit
der Herrschenden gleichsetzen und sich deshalb entschließen, anderen
Glaubensrichtungen beizutreten. Liberale Muslime, die sich nach reformierten
Prinzipien definieren, beschuldigen die herrschenden Dogmatiker, dass ihre
Vorgehensweise zur massenhaften Abwendung der Bevölkerung, insbesondere der
Jugend,von der Religion geführt hat.
Der koreanische Pastor Lee, der neunzehn Jahre für die koreanische Kirche in
der Islamischen Republik tätig war und fließend Persisch spricht, hat
kürzlich erklärt: "Ich werde für Iran beten."
Amir Hassan Cheheltan wurde 1956 in Teheran geboren. Sein neuer Roman
erscheint im August im C.H. Beck Verlag in deutscher Übersetzung.
Aus dem Persischen von Susanne Baghestani.
Text: F.A.Z.