28.01.2011
Deutschland: Bundesjustizministerin - "Religion ist gesellschaftliche Ressource"
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat vor
Vorurteilen gegenüber Muslimen und vor einem "Kampf der Kulturen" gewarnt.
Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hingegen hat erneut in einem Vortrag
einen frauenfeindlichen Islamismus angeprangert. Den Islam sollte man eher
als Chance denn als Problem betrachten, sagt der Jurist Mathias Rohe. "Das
Kopftuch ist die Flagge des Islamismus", sagt Frauenrechtlerin Alice
Schwarzer
Pro/js
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| 27.01.2011 - Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat
laut Welt.de eine vorurteilsfreie Diskussion über Religion und ihre Rechte
"statt Angstdebatten" angemahnt. Äußerungen über den Islam etwa blieben viel
zu oft "unbeschwert von Sachkenntnis". Die Ministerin warnte vor den Folgen
einer "Stigmatisierung". Sie führe zu Ausgrenzung, Ausgrenzung führe zu
Fundamentalismus.
Jede Religion müsse innerhalb der Grenzen der Grundordnung "die gleichen
Chancen erhalten, soll Gehör für ihre Anliegen zu finden", so
Leutheusser-Schnarrenberger. Für sie sei etwa das Recht der christlichen
Kirchen zum morgendlichen Läuten der Glocken genauso schützenswürdig wie der
Bau vom Moscheen.
Auch der Jurist Mathias Rohe vom Erlanger "Zentrum für Islam und Recht in
Europa" plädierte laut der "Welt" dafür, den Islam in Deutschland stärker
als Chance denn als Problem zu sehen und mehr Offenheit zu zeigen. Religion
sei prinzipiell eine positive gesellschaftliche Ressource. "Dieses Land
braucht kulturelle Vielfalt", so Rohe. Doch das Recht selbst sei nicht
multikulturell. Grundsätzlich gelte, dass der Rechtsstaat, religiös offen
und säkular, heute "gut aufgestellt" sei. Es müsse den Menschen möglich
sein, ihre Religiosität innerhalb des geltenden Rechts zu leben. Dabei müsse
man einräumen, dass es unter den Muslimen in Deutschland sicher auch
Extremisten gebe; das sei eine kleine, aber gefährliche Zahl.
Korn: Von der "Leitkultur" zur "Kulturdiktatur"
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn,
hat es in einem Interview mit der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung"
abgelehnt, von den "christlich-jüdischen Wurzeln des Abendlandes" zu
sprechen. Damit binde man Juden "in eine gemeinsame Front gegen die Muslime"
mit ein, so Korn. "Manche Umarmungen, die wir derzeit von einem Teil der
nichtjüdischen deutschen Gesellschaft erfahren, sind mit Vorsicht zu
genießen. Solche Gesten könnten auch funktionalistisch motiviert sein." Es
sei schwer, in der Geschichte der Juden in Deutschland wirklich
"christlich-jüdische Wurzeln" zu finden, stattdessen sähe man "Verfolgungen,
Ausgrenzungen und Massenmord" gegenüber Juden. Korn fügt jedoch hinzu: "Es
gibt natürlich jüdische Wurzeln in diesem Land, vor allem in der Religion,
beispielsweise im - aus christlicher Sicht - Alten und Neuen Testament.
Der Begriff "Leitkultur" sei zudem "irreführend": "Kultur ist per se
ubiquitär und, wenn sie befruchtend und lebendig bleiben soll, immer auf
Austausch mit anderen Kulturen angewiesen." Der 67-jährige Architekt und
Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main fügte hinzu: "Kulturen,
die keine Einflüsse mehr von außen zulassen, erstarren." Beispiele dafür
seien das "Dritte Reich", die Sowjetunion und die DDR. "Kultur muss, um sich
entwickeln und erneuern zu können, offen und veränderbar bleiben. Von
'Leitkultur' zur 'Kulturdiktatur' ist es daher nur ein kleiner Schritt."
"Das Kopftuch ist die Flagge des Islamismus"
Die Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer indes hat in einer
Vorlesung im Rahmen ihrer Gastprofessur der Stiftung Mercator an der
Universität Duisburg-Essen vor der weltweiten Gefahr eines wachsenden
Islamismus gewarnt. "Islamisten gehe es um Macht und nicht um den Glauben",
sagte Schwarzer laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Der
Islamismus sei "das neue Sammelbecken der selbstgerechten Weltverbesserer".
Gleichzeitig rief auch sie zu einer differenzierten Sichtweise auf: "Der
Islam ist der Glaube und der Islamismus die Politisierung dieser Religion."
Das Kopftuch sei die "Flagge der Islamisten", so Schwarzer. Es sei
"körperlich einengend und sozial ausgrenzend". Allerdings würden durch die
Medien auch falsche Klischees verbreitet. Sieben von zehn muslimischen
Frauen hätten noch nie ein Kopftuch getragen. Mehr als 80 Prozent der rund
vier Millionen Muslime in Deutschland seien nicht in den Verbänden
organisiert, die öffentlich als ihre Sprecher aufträten, sagte Schwarzer.
"Justiz und Medien haben einen großen Nachholbedarf", meinte die
Frauenrechtlerin mit Blick auf die Wahrnehmung von Islam und Islamismus. So
hätten etwa auch Gerichte zur Diskriminierung von islamischen Mädchen
beigetragen, indem sie eine Befreiung vom Schwimmen in der Schule, von
Sexualkunde oder Klassenfahrten genehmigt hätten. Hier sei eine langsame
Veränderung zu beobachten, meinte Schwarzer. "Was Sie für Ihre Frau, Ihre
Schwester, Ihre Mutter wichtig finden, das sollte auch einer Muslima
zustehen", appellierte die Frauenrechtlerin. (pro)
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