07.03.2011

Indonsien: Inseln der Intoleranz

 von Bettina David 

Zenith, 7.3.11 - Im vermeintlich toleranten Indonesien gibt es keinen Platz mehr für die religiöse Minderheit der Ahmadiyah. Der Staat lässt die Hetzer gewähren, legitimiert die Diskriminierung und verrät dabei seine rechtsstaatlichen Grundsätze. 

Auf äußerst brutale Weise wurden am 6. Februar drei Anhänger der Ahamdiyah-Gemeinschaft in einem Dorf in der an Jakarta angrenzenden westjavanischen Provinz Banten von einem hasserfüllten Mob ermordet.

Angeführt von radikalen Islamisten der FPI (»Front der Verteidiger des Islams«),  stürmten rund 1.000 mit Stöcken und Macheten bewaffnete Männer ein Haus der islamischen Sekte.

Ein im Internet zirkulierendes Handy-Video zeigt nicht nur die hilflosen Opfer, die, umkreist von einer gaffenden, filmenden und »Allahu Akbar« schreienden Menschenmasse, Tieren gleich totgeprügelt werden.

Unmissverständlich sichtbar wird auch das vollkommene Versagen der staatlichen Ordnungshüter: Die wenigen anwesenden Polizeikräfte zeigten nur vereinzelt halbherzige Versuche, durch vorsichtiges Zureden den wütenden Mob aufzuhalten. Das Video machte somit vor allem eines

deutlich: das fatale Versagen eines Staates, der seine Bürger nicht schützen konnte.

Doch ist er überhaupt willens, diese Aufgabe zu erfüllen? Hier sind zunehmend Zweifel angebracht. Die Verfassung des südostasiatischen Vielvölkerstaates garantiert Religionsfreiheit, das bevölkerungsreichste muslimische Land gilt als Vorzeigedemokratie für die islamische Welt.

Doch Toleranz und Pluralismus haben in den letzten Jahren zunehmend gelitten. Zumindest für die kleine islamische Sekte der Ahmadiyah scheint nun endgültig Schluss mit Religionsfreiheit zu sein. Der barbarische Vorfall in Banten war nur der jüngste Höhepunkt einer Reihe von gewaltsamen Übergriffen und staatlichen Diskriminierungen.

2008 erließ die Regierung unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono auf Drängen von radikalen und orthodoxen islamischen Kräften einen Anti-Ahmadiyah-Erlass, der den Ahmadis die öffentliche Ausübung und Verbreitung ihrer Religion untersagte. Kritiker befürchteten, diese Verordnung könnte in Verbindung mit einem Blasphemie-Gesetz, das die Verbreitung aller von der Orthodoxie abweichenden Glaubensinterpretationen verbietet, islamischen Hardlinern als Rechtfertigung dienen, eigenhändig für die »Umsetzung« dieser Gesetze zu sorgen. Wie sich seitdem zeigte, war diese Sorge mehr als berechtigt.

Verbot der Minderheit als Lösung für Übergriffe auf die Minderheit?

Jeder Übergriff auf Ahmadis führt seitdem zu immer lauter werdenden Rufen nach einem vollständigen Verbot und Auflösung der Sekte. Schon im Herbst 2010 sprach sich der Religionsminister Suryadharma Ali für ein endgültiges Verbot aus. Die Morde von Banten haben die indonesische Öffentlichkeit zwar schockiert, dennoch wird den Opfern weiterhin indirekt die Schuld für die eigene Verfolgung gegeben: Die Ahmadis beleidigten mit ihrem Glauben an einen weiteren Propheten nach dem Propheten Mohammed den Islam, sie sollten daher entweder zum »wahren« Islam zurückkehren oder eine eigene Religion gründen und sich nicht mehr Muslime nennen.

Mit ihrer »Irrlehre« verstörten und provozierten sie die Muslime, es sei also kein Wunder, wenn sie die Wut derer auf sich zögen, die den Islam besonders ernst nehmen und sich in ihrem Glaubenseifer eben leicht manipulieren ließen – so lautet der oft gehörte, rechtfertigende Tenor erstaunlich vieler gläubiger Mainstream-Muslime. Die Gewalt wird missbilligt, die Lehre der Ahmadis jedoch auch. Dass Pluralismus, Toleranz und Religionsfreiheit darin besteht, das Recht des Andersgläubigen auf seinen Glauben zu verteidigen, gerade auch wenn dieser Glaube dem eigenen Glauben widerspricht, scheint allerdings kein weit verbreiteter gesellschaftlicher Konsens zu sein.

Entsprechend leicht fiel es daher in den letzten Wochen nach dem Vorfall von Banten lokalen Regierungen, so in den Provinzen Ost- und Westjava, eigenmächtig Ahmadiyah-Verbote zu erlassen. Die verstoßen zwar gegen die Verfassung, wie Menschenrechtsaktivisten und liberale muslimische Persönlichkeiten wie Azyumardi Azra, Rektor der Staatlichen Islamischen Universität in Jakarta, betonen.

Doch dem Druck von FPI und anderen orthodoxen Kräften beugen sich mehr und mehr Distrikt- und Provinzregierungen und verbieten den Ahmadis unter anderem »religiöse Aktivitäten«, Verbreitung ihrer Lehre und öffentliche Schilder, die auf ihre Moscheen und von ihrer Gemeinschaft genutzte Gebäude hinweisen. Der indonesische Innenminister Gamawan Fauzi erklärte Anfang dieser Woche, die neuen Verordnungen seien legale Umsetzungen des Anti-Ahmadiyah-Erlasses von 2008 auf lokaler Ebene.

Regierung gibt grünes Licht für dubiose Diskriminierungsgesetze in der Provinz

Die Welle von Ahmadiyah-Verboten findet nicht nur Zustimmung von Hardlinern. Längst sind es nicht nur radikale Gruppierungen wie die FPI, die Jagd auf die kleine religiöse Minderheit machen. Auf der Insel Lombok östlich von Bali wurden schon 2006 Ahmadiyah-Familien von ihren Dorfnachbarn gewaltsam vertrieben, ihre Häuser zerstört. Über hundert Flüchtlinge hausen bis heute in einem provisorischen Lager in der Inselhauptstadt Mataram.

Vor einem halben Jahr kam Zaini Arony, dem zuständigen Distrikt-Rat, eine Idee, das lästige Problem mit der ungeliebten Minderheit auf vermeintlich einfache Weise zu lösen: Man könnte die Ahmadis »zu ihrem eigenen Schutz« auf noch unbewohnte Inseln verteilen. Rund 20 aus seinem Distrikt vertriebene Familien sollen nun den Anfang machen und auf die kleine, Lombok vorgelagerte Insel Teluk Sepi umgesiedelt werden.

Dass die Flüchtlinge lieber in ihre Heimatdörfer zurückkehren möchten, statt auf einer unbewohnten, geographisch vollkommen isolierten Insel – Teluk Sepi bedeutet bezeichnenderweise »einsame Bucht« – in einer Art staatlich verordneter Quarantäne Land urbar zu machen, wird ihnen als Undankbarkeit ausgelegt. Aus Sicht der verantwortlichen Regierungsvertreter handelt es sich bei der Umsiedlung gar um eine humanitäre Hilfsmaßnahme. »Da gibt es genug Land, das sie bewirtschaften können. Das ist eine bessere Lösung, als dass sie attackiert oder getötet werden«, sagte ein Sprecher der Distriktverwaltung gegenüber dem Jakarta Globe.

Das Opfer ist schuld – denn ohne das Opfer würden die Täter nicht zu Tätern. Mit dieser menschenverachtenden Flucht aus der Verantwortung demontiert die indonesische Regierung derzeit ihre rechtsstaatlichen Grundsätze. Die weiterhin unklare rechtliche Lage – es wird den Ahmadis zwar nicht verboten, Ahmadis zu sein, doch »religiöse Aktivitäten« und »Verbreitung ihrer Lehre« sind untersagt – mag den um ihre Mehrheiten besorgten Politikern als Kompromiss zwischen orthodox-fundamentalistischen Kräften und einem Lippenbekenntnis zur verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit gelten, die Ahmadiyah entlässt sie damit jedoch in einen potentiell rechtsfreien Raum.