08.03.2011

Türkei: Recht auf Gottesdienststätten massiv eingeschränkt

keine Religionsgemeinschaft hat eine eigene Rechtspersönlichkeit - der Staat hat absolute Kontrolle

Türkei: Recht auf Gottesdienststätten massiv eingeschränkt

keine Religionsgemeinschaft hat eine eigene Rechtspersönlichkeit - der Staat hat absolute Kontrolle

AKREF/JJ – 4.3.2011 – Das Recht, Gottesdienststätten zu errichten, zu besitzen und zu erhalten ist wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Religions- und Glaubensfreiheit. Dies ist in den internationalen Menschenrechtsnormen ganz klar verankert, so z.B. in Artikel 18 des auch von der Türkei ratifizierten internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Dennoch werden die Religionsgemeinschaften in der Türkei bei der Ausübung dieses Rechts massiv behindert. So kann z.B. nur das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet), das dem Büro des Premierministers untersteht, Moscheen eröffnen.

Zu diesen Hindernissen kommt noch hinzu, dass keine Religionsgemeinschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit hat, d.h. weder Moslems, Juden, griechisch Orthodoxe, Katholiken, Protestanten oder irgend eine andere Gemeinschaft. Dies führt zu zahlreichen Problemen im Zusammenhang mit Besitz und Verwaltung der von den Gemeinschaften benutzten Gebäude.

Die größte Gemeinschaft, die nunmehr die Beseitigung der Hindernisse im Zusammenhang mit ihren Gottesdienststätten fordert, sind die Aleviten (Schätzungen zufolge ein Drittel der Bevölkerung, verlässliche Zahlen gibt es nicht, zumal sich viele Aleviten nicht öffentlich als solche bekennen). Im Vorfeld der allgemeinen Wahlen am 12. Juni haben sie gefordert, dass ihre Gottesdienststätten, Cemevi genannt, vom Staat anerkannt werden. Staatsminister Faruk Celik hat angekündigt, dass eine Lösung im Rahmen der „Öffnung für die Aleviten“ durch die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) in Sicht sei. Doch der Vorsitzende der alevitischen Cem Stiftung möchte konkrete Ergebnisse sehen.

Auch die dem schiitischen Islam nahe stehenden Caferi haben vergleichbare Schwierigkeiten. Die Beschränkung der islamischen Religionsausübung ausschließlich auf von der Diyanet verwaltete (sunnitische) Moscheen wirft ernsthafte Fragen bezüglich der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen der Türkei auf, unparteiisch gegenüber den verschiedenen Religionen und Glaubensgemeinschaften zu sein. Die Entscheidung, wer wo Gottesdienst feiert, kann keine Entscheidung des Staates sein.

Was in den öffentlichen Debatten in der Türkei kaum beachtet wird, ist, dass andere Gemeinschaften, wie Protestanten und Zeugen Jehovas ernsthafte Probleme bei der Errichtung von Gottesdienststätten haben. Katholiken, griechisch Orthodoxe und andere Gemeinschaften haben Schwierigkeiten, ihre Kirchen zu erhalten. Allgemein bekannt sind auch die Versuche der AKP Regierung, den Grundbesitz des syrisch orthodoxen Klosters Mor Gabriel zu enteignen.

Rein rechtlich ist es seit 2003 aufgrund von Gesetzesänderungen wegen des Beitrittsprozesses zur Europäischen Union theoretisch möglich, Gottesdienststätten, die keine Moscheen sind, zu errichten. Doch haben die örtlichen Behörden einen weiten Ermessensspielraum bei der Erteilung von Genehmigungen. So fordern z.B. die Richtlinien der Großgemeinde Izmir für Gottesdienststätten ein Grundstück von mindestens 2.500 Quadratmetern in Neubaugebieten. Dies geht weit über die finanziellen Möglichkeiten kleiner Religionsgemeinschaften und normalerweise wollen diese ohnehin keine so großen Gebäude. Und da Religionsgemeinschaften keine Rechtspersönlichkeit haben, wie können sie Gründstücke kaufen und Gebäude errichten?

Protestantische Gemeinschaften, die vor allem seit 1980 gegründet wurden, würden gerne rechtlich anerkannte Gottesdienststätten bauen oder einrichten. Seit 2003 wurde einer einzigen protestantischen Stiftung (nicht „Kirche“) in Istanbul für ihr Gebäude der Status einer Gottesdienststätte zuerkannt.  Der Antrag der protestantischen Gemeinde in Adana auf Genehmigung eines Gebäudes als Gottesdienststätte wird seit 2005 verschleppt. Die einzige (mündliche) Mitteilung eines Beamten: „Das ist ein moslemisches Viertel. Sie können hier keine Schnecken verkaufen“ (eine Anspielung, da Schnecken nach islamischen Speisegeboten verboten sind).

Ein eingeschränktes Recht

Es ist ungewöhnlich, dass ein grundlegendes Menschenrecht, wie das Recht auf Religions- oder Glaubensfreiheit so eingeschränkt ist, wo es doch durch internationale Menschenrechtsverträge und Artikel 24 der türkischen Verfassung („Religions- und Gewissensfreiheit“) geschützt wird. Das Recht aller auf Errichtung von Gottesdienststätten ist massiv eingeschränkt durch politische Untätigkeit und willkürliche Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung. Die Unwilligkeit der Türkei, ihre internationalen Verpflichtungen umzusetzen und die Untätigkeit gegen willkürliche Entscheidungen von Beamten ist weiterhin ein Nachteil, unter dem die verwundbaren Religionsgemeinschaften in der Türkei zu leiden haben.

Die internationalen und nationalen Menschenrechtsverpflichtungen der Türkei, darunter die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Bestrebungen der Türkei, Mitglied der Europäischen Union zu werden, verlangen, dass dieses Recht aus seiner derzeitigen Umklammerung befreit wird.

Quelle: Forum 18 News Service, Oslo

Deutsche Fassung: AK Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz