21.03.2011
Deutschland: Einigkeit trotz Streitgesprächs
Vertreter von Kirchen, Muslimenverbänden und Politik zählen den Islam zu Deutschland Von Dirk Johnen und Achim Schmid (epd)
Deutschland: Einigkeit trotz Streitgesprächs
Vertreter von Kirchen, Muslimenverbänden und Politik zählen den Islam zu Deutschland
Von Dirk Johnen und Achim Schmid (epd)
Tutzing (epd) - 21. März 2011 - Man war sich einig: Der Islam ist Teil Deutschlands. Einzig der frühere Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin störte die wohlgesitteten Debatten auf der Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing. Sein Streitgespräch mit dem Publizisten Johano Strasser löste so heftige Reaktionen aus, dass sogar SPD-Politiker Hans Eichel, der seine letzte Tagung als Leiter des Politischen Clubs moderierte, eingreifen musste, um die Wogen zu glätten.
Sarrazin verteidigte seine umstrittenen Thesen über die historisch nicht begründete Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland und betonte, die Bundesrepublik brauche qualifizierte Einwanderer. Unter den zugewanderten Muslimen bestehe aber eine "besondere Neigung" zur Bildungsferne und zum Ausbau von Parallelgesellschaften. Die Einladung Sarrazins war im Vorfeld der Tagung scharf kritisiert worden.
Strasser warf Sarrazin ein "unerträgliches Menschenbild" vor. In einem demokratischen Wertesystem dürfe der Mensch nicht nur als wirtschaftlicher Nutzfaktor gesehen werde. Es gehe Sarrazin nicht um Integration, sondern um Selektion.
Ansonsten ging es im idyllischen Schloss am Starnberger See vor allem um Integrationsprobleme und -möglichkeiten. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, plädierte vor den rund 200 Teilnehmern für die Auseinandersetzung mit konkreten Fragen des religiösen Alltags der Muslime wie dem Schächten oder dem in Deutschland geltenden Sargzwang.
Der CDU-Politiker Rupert Polenz forderte die Kirchen auf, den Muslimen mehr beizustehen. Um das "Gift" aus der aktuellen Debatte zu nehmen, sollten die Kirchen als "Leumund bürgen", wenn der Islam als politisch gewaltsame Ideologie diffamiert werde.
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, betonte, dass der Islam durch die vier Millionen Muslime nicht mehr aus Deutschland wegzudenken sei. Die Frage sei eher, ob Deutschland den Muslimen eine Chance gebe oder "sie direkt auf die Anklagebank schiebe und einen konstruktiven Dialog aus dem Wege gehe". Eine erfolgreiche Integration sei nicht von Religion oder Nation abhängig. Entscheidend sei, dass jeder, der in Deutschland leben wolle, das Grundgesetz akzeptiert und die Gesetze achtet.
Der SPD-Bezirksbürgermeister des sozialen Brennpunkts Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, schilderte Beispiele aus der Praxis. Nach seiner Erfahrung sei frühkindliche Bildung die beste Chance für eine gelungene Integration. In bildungsfernen Familien könnten die Eltern die Erziehung allein nicht leisten, weshalb Ganztagsschulen und eine Kindergartenpflicht vom ersten Lebensjahr an das Gebot der Stunde seien.
Wie weit der Weg zu einem vorurteilsfreien Miteinander noch ist, zeigte der Religionssoziologe Detlef Pollack. Nach einer repräsentativen Umfrage steht nur ein Drittel der deutschen Bevölkerung Muslimen positiv gegenüber. Die Mehrzahl verbinde mit dem Islam Benachteiligung der Frau, Fanatismus und Gewaltbereitschaft. Lediglich die Hälfte aller Befragten gestehe Muslimen dieselben Rechte zu wie Deutschen, sagte Pollack.
www.ekd.de/aktuell_presse/news_2011_03_21_1_tutzing_islamdebatte.html