20.06.2012

Ägypten: Droht jetzt eine noch stärkere Unterdrückung?

Wie Christen die Ära Mubarak bewerten - Experten: Das Verhältnis war zwiespältig

Ägypten: Droht jetzt eine noch stärkere Unterdrückung?

Wie Christen die Ära Mubarak bewerten -

Experten: Das Verhältnis war zwiespältig

Kairo/Frankfurt am Main/Wiesbaden (idea) – Der einst mächtigste Mann Ägyptens, der 84-jährige Hosni Mubarak, liegt offenbar im Sterben. Fast 30 Jahre hat er das islamisch dominierte Land mit harter Hand regiert – bis zum Volksaufstand Anfang 2011. Er musste zurücktreten und wurde Anfang Juni wegen seiner Verantwortung für die Tötung hunderter Demonstranten zu lebenslanger Haft verurteilt. Heute gilt er als der meistgehasste Mann Ägyptens. Wie ist die Ära Mubarak aus der Sicht von Christen und Menschenrechtlern zu bewerten? Dazu hat die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) Experten der Evangeliumsgemeinschaft Mittlerer Osten (EMO/Wiesbaden) – sie ist in Ägypten tätig – und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM/Frankfurt am Main) befragt. EMO-Leiter Reinhold Strähler zufolge sehen Christen die Regierungszeit von Mubarak zwiespältig. Einerseits habe auch die christliche Minderheit – sie stellt etwa zehn Prozent der 83 Millionen Einwohner – unter ihm gelitten. Das Verhältnis zur Regierung sei „äußerst delikat“ gewesen. Die Kirchen – allen voran die koptische – hätten versucht, „den dringend benötigten Freiraum in der Gesellschaft und Gleichberechtigung für ihre Mitglieder zu bewahren“. Ziel der Regierung sei es dagegen gewesen, den Christen nicht zu viel Freiheit zu gewähren. Strähler: „So fühlten sich viele Christen als ‚Bürger zweiter Klasse‘.“ In den vergangenen Jahren sei es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen gekommen. Dabei seien oft falsche Gerüchte gegen Christen benutzt worden, um eine muslimische Volksmenge gegen sie aufzuhetzen. „Bei solchen Übergriffen erlebten die Christen immer wieder, dass die staatlichen Sicherheitsorgane wenig zu ihrem Schutz taten“, so Strähler.

Das Regime erwartete von Christen Loyalität

Andererseits habe das Mubarak-Regime der Kirche einen gewissen Schutz zugesprochen. Im Gegenzug habe die Führung erwartet, dass sich die Christen ihr gegenüber loyal verhalten. Im Blick auf die Zukunft der christlichen Minderheit erklärte Strähler: „Angesichts des zunehmenden Einflusses der konservativen islamischen Gruppen und der Hassparolen der Salafisten könnte der Freiraum der Christen in Zukunft möglicherweise noch enger werden als zuvor unter Mubarak.“ Gerade für Bürger, die aus islamischem Hintergrund zum Glauben an Jesus Christus kämen, „dürfte es unter einer von Moslembrüdern geführten Regierung noch schwieriger werden“. Ein Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion sei nach der Sichtweise der Moslembrüder und Salafisten rechtlich nicht möglich und müsse als Verbrechen bestraft werden.

Zum inneren Zirkel der Macht gehörten auch reiche Christen 

Nach Einschätzung der IGFM war das Ägypten Mubaraks ein „Polizei- und Folterstaat“. Es habe sich um eine Diktatur in der Hand weniger Familien gehandelt, die ihre Herrschaft auf Korruption und Einschüchterung gestützt hätten, so der Ägypten-Experte der IGFM, Max Klingberg. Das Verhältnis Mubaraks zu den Christen sei vom Ziel bestimmt gewesen, die eigene Macht und die Ruhe im Land zu erhalten. Zum inneren Zirkel der Macht hätten auch einige „reiche und superreiche Christen“ gehört. Für sie hätten andere Maßstäbe gegolten als für die große Masse der Kopten. Christen seien unter Mubarak strukturell in vieler Hinsicht diskriminiert worden. Staatliche Verfolgung habe sich aber nicht gegen die Kopten gerichtet, sondern vor allem gegen einen politischen Islam sowie Konvertiten, Atheisten und Anhänger der Bahai-Religion. Kopten hätten vor allem darunter gelitten, dass die Behörden den Übergriffen durch islamische Extremisten weithin gleichgültig gegenübergestanden hätten. Zudem sei im Staatsapparat die Zahl muslimischer Fundamentalisten gewachsen, „die freie Hand hatten, willkürlich Christen zu benachteiligen und zu schikanieren“. Klingberg zufolge sahen viele Kopten – genau wie Mubarak – im erstarkenden politischen Islam ihre größte Bedrohung: „Die Angst vor der Muslimbruderschaft war für viele Christen noch größer als die Leiden durch das Regime.“ Teile der koptischen Kirche sähen im Säkularismus allerdings eine ebenso große Bedrohung. Klingberg: „Die Situation der Christen in Ägypten war komplex, und sie ist es geblieben.“