15.05.2014

Deutschland: Nicht überall ist die Bibel erwünscht

(idea) Sie wurden auch die „Laufburschen Gottes“ genannt – die Gideons. Rund 21 Millionen Bibeln (Neues Testament, Psalmen und Sprüche Salomos) haben sie in Deutschland in den vergangenen 60 Jahren verteilt. Sie geben sie kostenlos in Arztpraxen, Hotels und an Schulen weiter. Aber der Gegenwind wird rauer. Ein Beitrag von idea-Redakteur Matthias Pankau.

Im April war Frankfurt am Main nicht nur Banken-, sondern auch Bibelmetropole Deutschlands. Rund 150 Mitglieder des Gideonbundes aus ganz Deutschland waren in die Stadt gekommen, um vier Tage lang kostenlos Bibeln zu verteilen. „Bibelblitze“ heißen diese Aktionen des evangelischen Missionswerks mit evangelikaler Ausrichtung, die zweimal jährlich stattfinden – im Frühjahr und im Herbst. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die Reise und Unterkunft übrigens aus eigener Tasche bezahlen, schwärmten im Großraum Frankfurt aus in 1.664 Arztpraxen, 54 Krankenhäuser, 148 Seniorenheime und Behinderteneinrichtungen sowie 448 Hotels. Insgesamt verschenkten sie dort mehr als 30.000 Exemplare der Heiligen Schrift.

Die Schultore blieben verschlossen

Ein Erfolg, sollte man meinen. Aber es gab auch einen Wermutstropfen. Denn die Gideon-Mitglieder durften an keiner der 112 Schulen in der Region Bibeln weitergeben. „In früheren Jahren konnten wir die Ausgaben häufig sogar im Unterricht verschenken“, berichtet der pensionierte Schulamtsdirektor Jürgen Thielmann (Breidenbach/Mittelhessen). Er organisiert und leitet diese Einsätze. „Diesmal führte kein Weg hinein, obwohl wir im Vorfeld alle Schulen angeschrieben und unser Anliegen dargestellt hatten“, sagt er. Die Kultusministerien der Länder begrüßen die Weitergabe von Bibeln an Schulen zwar grundsätzlich, die Entscheidung darüber fällt aber in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Schulleiters. Wegen des Verbots sei man auf die Bürgersteige vor den Schulen ausgewichen, erzählt Thielmann weiter. Einige Pädagogen hätten aber auch dort verhindern wollen, dass Schüler eine Bibel bekommen. „Eine Lehrerin kam heraus und fauchte mich an: ‚ Diesen Dreck nehme ich den Schülern wieder ab‘.“

„Die Bibel hat unser Zusammenleben grundlegend geprägt“

Aber woher kommt diese schroffe Ablehnung? Thielmann sieht vor allem zwei Gründe. Zum einen seien gerade im Großraum Frankfurt die islamischen Salafisten sehr aktiv. Wolle man die aber von den Schulen fernhalten, könne man nicht gleichzeitig zulassen, dass Bibeln verteilt werden. Das würde gegen das Gleichheitsprinzip verstoßen, so die Begründung. Zum anderen gelte an öffentlichen Schulen das Neutralitätsgebot. Das aber wird in Thielmanns Augen falsch interpretiert, wenn grundsätzlich untersagt wird, Bibeln zu verteilen. „Die Bibel hat unsere Verfassung und unser Zusammenleben grundlegend geprägt“, sagt er. „Allerdings geraten diese christlichen Wurzeln in der Gesellschaft immer stärker in Vergessenheit.“ Religion versuche man aus dem öffentlichen Leben so weit wie möglich herauszuhalten. Stattdessen solle jeder nach seiner Fasson selig werden.

Eine „Bannmeile“ für die Gideons

Jürgen Thielmann ist kein Eiferer. Er will seinen Glauben niemandem aufdrängen. Aber er möchte deutlich machen, wie sehr die Bibel die deutsche Gesellschaft mit geprägt hat. So leuchte etwa Paragraf 323c des Strafgesetzbuches (StGB) nicht ein, wenn man nicht über ein biblisches Grundwissen verfüge: „Dieser Paragraf, der die Strafe bei unterlassener Hilfeleistung regelt, hat seine Wurzeln ganz klar im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.“ Oder Paragraf 90 StGB: „Die Strafandrohung für Verunglimpfung des Bundespräsidenten wurzelt natürlich im ersten Petrusbrief 2,17, wo es heißt: ‚Tut Ehre jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König!’“. Über solche Zusammenhänge sollten auch Schüler Bescheid wissen, findet Thielmann. Deshalb ist es ihm unverständlich, warum eine Schule den Gideons sogar eine „Bannmeile“ im Umkreis von 1.000 Metern androhte. Er steht jetzt mit dem hessischen Innenministerium in Kontakt, um zu erfahren, auf welcher rechtlichen Grundlage das möglich sei.

Die Lehren Buddhas statt der Bibel?

Aber nicht nur in Frankfurt stehen die Gideons immer häufiger vor verschlossenen Schultoren. „Es wird zunehmend schwieriger, sachlich mit Schulleitern und Lehrern ins Gespräch zu kommen“, sagt auch Uwe Marquard aus Hamburg. Der Unternehmer ist inzwischen im Ruhestand und engagiert sich als einfaches Mitglied seit zehn Jahren bei den Gideons. „Die Ablehnung wird militanter“, beobachtet er. Aber dass Lehrer damit drohten, die Polizei zu rufen, und den Schülern die Annahme der Bibeln verbieten, wie etwa in Duisburg geschehen, sei eine neue Dimension.

In Internetblogs liest man immer wieder Einträge wie diesen: „Letzte Woche wurden Taschenbibeln an die Kinder und Jugendliche verteilt. Von sogenannten Gideons. Kennt die jemand? Was soll man davon halten?“ Aber nicht nur an Schulen wird der Gegenwind für die Gideons rauer. Auch in Arztpraxen und Krankenhäusern – zumal privat geführten – wird es schwieriger, das Buch der Bücher auszulegen, hat Marquard erfahren. „Da heißt es schnell: Dann kommen auch die Moslems mit ihrem Koran.“ Und selbst in Hotels ist die Gideonbibel im Nachtisch längst keine Selbstverständlichkeit mehr. „Manch moderne Wellness-Häuser lehnen das ab mit der Begründung: Das passt nicht in unser Konzept“, erzählt Uwe Marquard. „Vereinzelt findet man stattdessen dann dort die Lehren Buddhas.“

Die Bibel und das Grundgesetz

Für Johannes Wendel , Geschäftsführer des deutschen Zweiges der Gideons, haben die Verteilaktionen nicht nur einen missionarischen Aspekt, sondern auch einen pädagogischen: „Nicht umsonst beginnt die Präambel unseres Grundgesetzes mit den Worten: In Verantwortung vor Gott und den Menschen.“ Damit möglichst viele Bürger auch wüssten, was das bedeute, sollten sie die Bibel kennenlernen. Rund 21 Millionen „Gideonbibeln“ (Neues Testament, Psalmen und Sprüche Salomos) hat das seit 1956 in Deutschland tätige überkonfessionelle Missionswerk bislang weitergegeben. Allein im vergangenen Jahr waren es 500.000 Exemplare, davon 33.000 in Hotels und 48.000 in Krankenhäusern.

Die Unterstützung hat abgenommen

Jedoch habe die öffentliche Unterstützung für die Arbeit der Gideons in den vergangenen zehn Jahren abgenommen, sagt Wendel. „Da hat sich ein Wertewandel vollzogen.“ Mehr Unterstützung würde er sich auch vonseiten der evangelischen Kirche wünsche, bekennt er. Äußerungen wie die der Regionalbischöfin des Kirchenkreises Bayreuth, Dorothea Greiner, seien eher die Ausnahme. Sie hatte die Arbeit der Gideons jüngst als Segen bezeichnet. Häufiger sei, dass selbst kirchliche Vertreter das Verteilen von Bibeln an Schulen ablehnten. Das habe er beispielsweise in Berlin erlebt, berichtet Wendel. Dort hatte sich ein Oberkirchenrat ausdrücklich dagegen gewandt, Gideonbibeln über Religionslehrer an Schüler verteilen zu lassen. Die EKD indes stellt auf Anfrage klar, dass sie es grundsätzlich begrüßt, wenn Christen ihren Glauben öffentlich bekennen und auch die Heilige Schrift weitergeben. „Das Ziel, Menschen für das Lesen der Bibel zu gewinnen, verbindet uns mit den Gideons“, sagt Michael Brinkmann vom Referat Öffentlichkeitsarbeit der EKD in Hannover. Allerdings arbeite die EKD dabei traditionell mit der Deutschen Bibelgesellschaft (Stuttgart) zusammen. Gemeinsam bereite man im Moment die Lutherbibel für das Reformationsjubiläum 2017 vor, so Brinkmann.

„Bibelblitz“ in Luthers Heimat

Das Interesse an den kleinen handlichen Gideonbibeln ist insgesamt ungebrochen. Nach Wendels Worten gehen in der Zentrale in Wetzlar jedes Jahr rund 1.000 Bitten um Bibeln ein – aus Krankenhäusern, Hotels oder von Privatpersonen. Manchmal gehen auch Dankesbriefe ein. So schrieb kürzlich ein junger Mann, die Bibel, die er während des Einsatzes in Frankfurt von einem Gideon bekommen habe, sei ein „sehr schönes Geschenk“ gewesen. Er habe schon viel darin gelesen. Solche Zeilen ermutigen auch Gideons wie Jürgen Thielmann oder Uwe Marquard immer wieder. Sie planen bereits den nächsten „Bibelblitz“. Er wird vom 21. bis 24. September im Mansfelder Land (Sachsen-Anhalt) stattfinden – dort, wo der Reformator Martin Luther (1483–1546) Kindheit und Jugend verbrachte.