29.11.2018

Albanien: Kommunismus, Korruption, Christentum

Uwe Heimowski, Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz der Bundesregierung und des Bundestages, hat den Balkanstaat besucht. Bericht aus idea.

Albanien bezeichnete sich zu Zeiten des Kommunismus als erster atheistischer Staat der Welt. Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Diktatur ist die Religion in das Land zurückgekehrt.

Albanien ist Neuland für mich. Auf dem Weg vom Flughafen nach Tirana erlebe ich die erste Überraschung: Albaniens Hauptstadt hat die höchste „Mercedesdichte“ Europas. Ich werde neugierig und frage unseren Fahrer ein bisschen aus. Die Lebenshaltungskosten in Tirana liegen bei ungefähr 1.000 Euro im Monat, erfahre ich. Eine Verkäuferin verdient 300, ein Beamter 400, ein junger Arzt 600 Euro. „Aber wie überleben die Menschen dann?“, frage ich überrascht. „Sie haben mehrere Jobs, und die Eltern helfen mit Geld oder Gemüse aus dem Garten.“

„Und woher stammen dann die teuren Autos?“ Ich ernte ein vielsagendes Stirnrunzeln. Albanien ächzt unter Korruption auf allen Ebenen. Eine Baugenehmigung kann Jahre dauern – oder mit etwas Zuwendung buchstäblich „wie geschmiert“ laufen. Gerichtsurteile lassen sich kaufen. Der schnelle Wandel öffnet der Willkür die Tür. Niemand kann die neuen Gesetze und Vorschriften überblicken, Verwaltungsbeamte und Richter suchen sich aus, wonach sie entscheiden. Günstlingswirtschaft inbegriffen.

Dazu kommt die Mafia. Albanien ist ein Transitland zwischen Ost und West, im Drogen- und Menschenhandel werden hohe Millionenbeträge umgesetzt. Wen wundert es da, dass viele junge Leute auf der Suche nach Rechtssicherheit und Jobs das Land in Richtung Deutschland oder USA verlassen?

Eselskarren, Landmaschinen und ein christliches Internat

Einige Autostunden und rund tausend Höhenmeter weiter sieht es anders aus. Statt Luxuskarossen Eselskarren und rostige Landmaschinen. Die schwer zugänglichen Bergdörfer sind bettelarm. Wir besuchen Bishnica. Hier hat der Christliche Hilfsverein Wismar (CHW) ein Internat aufgebaut, damit Kinder aus den abgelegenen Siedlungen die Schule besuchen können. Träger ist die Diakonia Albania, der albanische Zweig des CHW. Frieder Weinhold, der Vorsitzende, arbeitet seit über 25 Jahren in Albanien. Es begann 1992 mit einem Missionseinsatz. Gerade erst hatten sich nach einem halben Jahrhundert kommunistischer Diktatur die Türen geöffnet.

Erster atheistischer Staat der Welt

Enver Hoxha, der eisenharte Staatslenker Albaniens, hatte sein Land in den 1960er Jahren zum ersten atheistischen Staat der Welt erklärt. Religionen wurden verboten, Kirchen und Moscheen zerstört oder zu Viehställen und Lagerhäusern umfunktioniert. Die Verfolgung nahm geradezu paranoide Züge an. Männern wurde verboten, Bärte zu tragen, damit sich nicht heimlich orthodoxe oder muslimische Geistliche unter ihnen befanden. Im Stalinismusmuseum in Tirana ist der Friseursalon zu bestaunen, in dem Einreisende ihre Bärte abrasieren mussten. Auch die kleinste Form von Religionsausübung wurde bestraft. Wer zu Ostern ein rot gefärbtes Ei aß, wie es der orthodoxen Tradition entspricht, konnte dafür fünf Jahre ins Gefängnis wandern. Ab 1985, nach dem Tod Enver Hoxhas, und dann endgültig mit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 entspannte sich die Lage, Religionen wurden wieder erlaubt. Das Erstaunliche: Trotz verordnetem Atheismus war den Menschen eine tiefe religiöse Identität geblieben. Heute sind etwa 60 Prozent der Bevölkerung muslimisch. 30 Prozent sind christlich, davon wiederum zwei Drittel orthodox, ein Drittel katholisch.

 

Protestanten: eine missionarisch-diakonische Minderheit

Protestanten sind eine kleine Minderheit. Doch sie sind sehr aktiv, missionarisch und sozial-diakonisch. Die drei größten Gemeinden mit jeweils rund 400 Mitgliedern sind in der Hauptstadt angesiedelt. Die größte, eine Pfingstgemeinde, leitet Pastor Akil Pano. Der Mitvierziger war langjähriger Sekretär der VUSH, der Evangelischen Allianz in Albanien. In der VUSH haben sich ungefähr 120 protestantische Gemeinden unterschiedlicher konfessioneller Prägung zusammengeschlossen. Dadurch haben die Allianz und ihre Mitglieder einen Rechtsstatus, der vergleichbar ist mit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland. Eine wichtige Voraussetzung, um etwa Immobilien zu erwerben oder Projekte durchzuführen. Die älteste protestantische Kirche, die Gerasim Qyrasi, wurde bereits im 19. Jahrhundert gegründet, die meisten anderen entstanden nach 1992. Auch einige christliche Hilfswerke wie die Diakonia Albania sind Mitglied der VUSH. Insgesamt machen die Protestanten aber weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus.

Viele Schnittmengen mit der ehemaligen DDR

Für Frieder Weinhold, seinerzeit Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche, wurde aus dem ersten Missionseinsatz eine Berufung. Noch im selben Jahr folgte der Transport von Hilfsgütern. Auch Bibeln brachten die Teams mit, feierten Gottesdienste: „Als Ostdeutscher war es für mich faszinierend, eine größere Offenheit für das Evangelium zu finden als in der ehemaligen DDR.“ Ab 1997 wurden Hauskreise in Bishnica gegründet, ab 1998 ließen sich etwa 25 Leute taufen, und damit kam es zur Gründung der Methodistischen Kirche Albaniens.

Viele Hilfstransporte und Bauprojekte mit ungezählten Freiwilligen aus Deutschland folgten. Als Weinhold erkannte, dass viele dieser Projekte nach gutem Start an den Verwaltungs- und Organisationsstrukturen scheiterten, begann er gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung politische Bildungsseminare zu veranstalten. Ein wichtiger Schwerpunkt dabei ist die praktische Umsetzung der Kommunalgebietsreform von 2015, bei der die Bergdörfer in die Stadt Pogradec eingemeindet wurden. Ein solches Seminar ist auch der Anlass für meinen Besuch: Ich halte Vorträge über die „Prinzipien Sozialer Verantwortung“, verknüpft mit Erfahrung als Stadtrat und als politischer Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz. Spannende Debatten mit Kommunalpolitikern entstehen. Wie sieht es in Deutschland aus mit der Korruption? Welche Rolle spielen die Kommunisten in den neuen Bundesländern, also der ehemaligen DDR? Wie bewältigt ihr die Abwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften? Man staunt, wie viele Schnittmengen es gibt.

Woran sich Albaniens Schicksal entscheidet

Die Abwanderung ist landesweit ein großes Problem in Albanien. Insbesondere die Landflucht. Hatte das Dorf Bishnica 1992 noch 900 Einwohner, sind es heute gerade mal 300. Mehr als ein Drittel der drei Millionen Einwohner Albaniens lebt in Tirana. Gerade deswegen sei es so wichtig, höre ich immer wieder, langfristige Partnerschaften einzugehen und an Orten zu bleiben, die sonst die Hoffnung verlieren.

„Auch viele junge Christen verlassen das Land“, sagt Aurora Zeqo, seit 2016 Exekutivdirektorin von Diakonia Albania. Die junge Frau entstammt einer muslimischen Familie. Beim Studium in Tirana lernt sie die Gemeinde von Akil Pano kennen und wird Christin. Mit ernsten Folgen. Ihre Eltern streichen ihr die Unterstützung, sie steht mittellos da, weiß nicht, wie sie das Masterstudium beenden soll. Ihr jüngerer Bruder bedroht sie massiv: „Ich habe echte Verfolgung erlebt. Doch Gott hat mich mit allem versorgt, was ich brauchte. Ich habe einen Job gefunden, eine neue Heimat in der Gemeinde.“ Gerade weil es schwer ist, in Albanien zu leben, sagt sie: „Nur wenn die jungen Menschen bleiben und diese Generation einen ehrlichen Lebensstil einübt, können wir unser Land verändern.“ Was nützt ein Mercedes, möchte ich ergänzen, wenn die Hoffnung auf der Strecke bleibt.