08.07.2022
Sri Lanka: Wie geht es den Christen?
„Wir befinden uns im freien Fall“ seit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes? Ein Gastbeitrag vom Missionswerk Coworkers, das mit mehreren christlichen Organisationen im Land eng zusammenarbeitet.
Seit zehn Stunden stehen die Männer und Frauen an der Ausgabestelle an, um etwas Gas zum Kochen zu bekommen. Einige werden auch heute mit leeren Kartuschen nach Hause gehen. Wegen des Staatsbankrotts bleiben in Sri Lanka aktuell wichtige Importe aus. Die Wirtschaftskrise entwickelt sich immer mehr zu einer humanitären Krise, denn die Preise für Grundnahrungsmittel wie Linsen und Reis stiegen rasant. Vor allem die Mittelschicht und die ärmere Bevölkerung trifft die Krise hart.
Wie konnte es so weit kommen? Hatte Sri Lanka es doch durch den Export von Tee, Kaffee und Kautschuk und nicht zuletzt durch den Tourismus im Vergleich zu anderen Ländern der Region zu relativem Wohlstand gebracht. Bereits 2019 erlitt die Tourismusbranche einen Rückschlag: Islamisten verübten am Ostersonntag Anschläge auf Hotels und Kirchen, über 250 Menschen starben, fast 500 wurden verletzt. Aus Angst vor weiteren Anschlägen mieden Touristen die Insel. Wegen der Pandemie blieben die Einnahmen durch den Tourismus in den letzten zwei Jahren fast vollständig aus – fatal für das Land, denn der Tourismus betrug bisher über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
„Die Regierung hat das Land zugrunde gerichtet“
Doch das ist nicht die einzige Ursache für die Krise. Die Sri-Lanker werfen ihrer Regierung Missmanagement und Korruption vor. Diese steht seit Jahren unter dem Einfluss einer Familie, dem Rajapaksa-Clan. Viele Schlüsselpositionen der Politik haben Angehörige des Clans inne. Wahlgeschenke wie drastische Steuersenkungen oder prestigeträchtige Bauprojekte kosteten den Staat viel Geld, das zu immer schlechteren Konditionen aus dem Ausland geliehen wurde. „Tag für Tag hat die Regierung unser Land zugrunde gerichtet“, klagt einer unserer Partner. Um den Staatsbankrott abzuwenden, ließ die Regierung Millionen der nationalen Währung drucken. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Mitte April 2022 war Sri Lanka zahlungsunfähig. Seit die Importe ausbleiben, werden Lebensmittel sowie Medikamente knapp, Strom gibt es nur für wenige Stunden am Tag. Der Mangel ist auf allen Ebenen spürbar: Hochschulprüfungen fallen aus, und Zeitungen müssen ihre Ausgaben einstellen, denn es fehlt an Papier und Tinte.
Wie geht es den Christen?
Wir haben einige unserer Partner befragt, wie es ihnen in der aktuellen Situation geht und wie sie mit den Herausforderungen umgehen. Tavish*, der unter jungen Christen tätig ist, berichtet: „Vor allem versuchen wir, den Armen zu helfen. Deswegen gehen wir in den Slums von Haus zu Haus und verteilen Linsen, Reis, Fischkonserven und Öl. Dort leben manche gerade von einer einzigen Mahlzeit am Tag. Außerdem verschenken wir Wasser an die Wartenden vor den Tankstellen. Die Leute stehen dort bis zu zwölf Stunden an. Es gab schon Berichte über Todesfälle, weil Menschen zu lange in der Sonne ausharren mussten.“
Die Christen bilden eine kleine Minderheit in Sri Lanka. 70 Prozent sind Buddhisten, außerdem gibt es die Minderheiten der Hindus und der Muslime. Christen sind immer wieder Opfer von gewalttätigen Angriffen. Zwar gilt im Land eine gesetzliche Religionsfreiheit, doch in ländlichen Gebieten werden vor allem zum Christentum Konvertierte attackiert, sozial isoliert oder von Behörden diskriminiert. Nun sind die Sri-Lanker in ihrer Enttäuschung über die Regierung vereint – wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. „Einige sagen, die einzige gute Sache, die der Präsident für unser Land getan hat, war, es in den Protesten gegen ihn selbst zu vereinen“, erzählt Tavish.
Vereint in Protest und Leid
Alles begann im April 2022, als eine kleine Gruppe weitestgehend friedlich vor dem Sitz des Präsidenten in der Hauptstadt Colombo protestierte und diesen zum Rücktritt aufforderte. „Immer mehr Menschen schlossen sich den Protestierenden an“, berichtet Raveen*, ein Partner, dessen Arbeit unter der Landbevölkerung Coworkers seit vielen Jahren unterstützt. „Buddhistische Mönche, hohe Vertreter der Kirche, Muslime und Hindus waren unter ihnen, aber auch Künstler, Sänger und soziale Aktivisten. Das ganze Volk und religiöse Gruppen waren in dieser Sache vereint.“
Diese besondere Situation ermöglicht es Christen, immer wieder mit Anhängern anderer Religionen über den Glauben an Jesus zu sprechen. Tavish berichtet: „Als ich vor ein paar Wochen über fünf Stunden an einer Tankstelle anstand, unterhielt ich mich mit dem Mann vor mir in der Schlange. Er war Buddhist und klagte über die Korruption in unserem Land. Der Mann sagte, alle seien korrupt. Er selbst sei es auch, denn er hatte Schmiergeld gezahlt, damit sein Sohn zur Schule gehen konnte. Wir kamen ins Gespräch über den Umgang mit Sünde in unseren Religionen, und ich konnte ihm das Evangelium erklären.“ Vielen Menschen in Sri Lanka, auch den Christen, fehlt es in diesen Tagen am Allernötigsten. Dennoch kann Tavish sagen: „Wir Christen leiden mit Hoffnung. Denn wir haben ewigen Frieden. Wir sind trotzdem reich, wenn wir in Armut leben. Reich in Christus.“
„Bitte beten Sie!“
2009 endete in Sri Lanka ein über 25 Jahre dauernder Bürgerkrieg. Viele haben die Zustände von damals noch lebendig vor Augen. Bei unseren Partnern besteht große Sorge, dass es nun wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Auf unserer Missionskonferenz vor wenigen Wochen in Stuttgart sprach der Direktor des Theologischen Seminars in Colombo, Ivor Poobalan, per Video-Botschaft zu uns. Seinen Bericht zur Lage im Land endete er mit den Worten: „Wir befinden uns im freien Fall. Wir sind dankbar für Menschen aus der ganzen Welt, die Interesse zeigen an dem, was in Sri Lanka geschieht. Bitte beten Sie für uns. Unser größtes Bedürfnis in dieser Zeit ist Hoffnung. Denn die Menschen haben alle Hoffnung verloren und fühlen sich hilflos. Aber die Kirche Jesu Christi kann ein Ort der Hoffnung sein.“
Coworkers ist die neue Dachmarke von Hilfe für Brüder, Christliche Fachkräfte und Co-Workers International. Durch finanzielle Unterstützung von Christen vor Ort und durch die Entsendung von Fachkräften, Freiwilligen und Studierenden setzt Coworkers sich dafür ein, dass Menschen im Leben und Glauben unterstützt, befähigt und ermutigt werden.
Quelle. Co-Workers für IDEA, entnommen aus IDEA