07.10.2022
Islam: Muslimische Homosexuelle haben Angst vor innerislamischer Diskriminierung
Khorchide: Koran verbietet Homosexualität nicht eindeutig
Frankfurt am Main (IDEA) – Der Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, Mouhanad Khorchide, sieht ein Verbot von Homosexualität im Islam nicht eindeutig im Koran begründet. Das sagte er bei der Konferenz „Queer im Islam“, die am 7. Oktober an der Goethe-Universität Frankfurt vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam veranstaltet wurde. Die traditionelle Auslegung des Koran besage immer noch, Homosexualität sei verboten. Die Verfechter dieser Ansicht gründeten ihre Lesart vor allem auf die Geschichte des Volkes Lots, erklärte Khorchide. „Aber so einfach ist das nicht. In dieser Erzählung geht es keineswegs um Homosexualität, wie wir sie heute kennen.“ Der islamische Theologe erläuterte, das Volk des Propheten Lot habe seine Gäste vergewaltigt. Es sei um Sexualität als Instrument der Machtdemonstration und der Erniedrigung gegangen. Es bedürfe dringend einer Neubewertung traditioneller Quellen, so Khorchide.
Islamische Länder: Seit 1979 rund 4.000 homosexuelle Männer hingerichtet
Das Thema „Homosexualität“ sei im Islam durch die Dominanz der traditionellen Auslegung leider immer noch weitgehend tabuisiert. Gewalt gegen Schwule und Lesben werde mit der Koranauslegung gerechtfertigt. Bis heute stehe in einigen Ländern die Todesstrafe auf homosexuelle Liebe. Seit 1979 seien etwa 4.000 homosexuelle Männer in islamischen Ländern hingerichtet worden. Schwule und Lesben würden auch in Deutschland oft diskriminiert, so der Wissenschaftler: „Als Professor vertrauen sich mir immer wieder homosexuelle Studierende an. Sie haben Angst vor innerislamischem Mobbing.“ Denen, die Homosexualität ablehnten, gehe es nicht um Freiheit, Demokratie Pluralität. „Sie erleben selbst Rassismus in Deutschland, diskriminieren aber gleichzeitig innerhalb ihrer eigenen Minderheit. Das kann doch nicht sein“, sagte Khorchide. Diese Studenten bräuchten eine Haltung der geistigen Demut. „Sie verstehen viel zu wenig von ihrer Religion und meinen trotzdem, den wahren Islam zu verteidigen.“ In einigen muslimischen Ländern beobachte er schnellere Entwicklungen in Richtung Reform als hier in Deutschland. Das enttäusche ihn: „Es ist notwendig, Räume zu schaffen, um dieses Thema zu diskutieren. Aber das erfordert Mut, wie auch die vielen Anfeindungen im Vorfeld dieser Veranstaltung gezeigt haben.“
Islam: Sexualität ist in patriarchalen Familien ein Tabuthema
Ahmad Mansour: Homosexuell empfindende Muslime erleben Mobbing und Gewalt
Frankfurt am Main (IDEA) – Der Diplom-Psychologe Ahmad Mansour (Berlin) macht die patriarchalen Strukturen in muslimischen Familien für die starke Ablehnung queerer Menschen in der islamischen Gesellschaft verantwortlich. Über Sexualität werde im patriarchalen System nicht gesprochen. Die Jugendlichen seien beim Umgang damit verunsichert, hätten große Schuld- und Schamgefühle. Mansour sprach im Rahmen der Konferenz „Queer im Islam“, die am 7. Oktober an der Goethe-Universität Frankfurt vom dortigen Forschungszentrum Globaler Islam veranstaltet wurde. Mansour zitierte eine Studie aus Israel unter Arabern. Demnach gaben 100.000 an, schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender zu sein. 88 Prozent haben Gewalt erfahren, 70 Prozent glauben, keine Unterstützung zu bekommen, wenn sie sich outen. „Das sind drastische Zahlen für eine Gesellschaft, die in einer Demokratie lebt. Der Bedarf an Beratung und die Schaffung von Akzeptanz ist wichtig.“ Viele homosexuell empfindende Muslime erlebten schlimme Mobbing-Situationen an den Schulen, teilweise auch Gewalt und viel Einsamkeit: „Ein Weg in einer solchen Lage ist die Radikalisierung, der andere die Depression.“ Homosexualität sei eines der schwersten Themen, mit denen er als Psychologe in seiner Arbeit mit jungen Muslimen zu tun habe, „weil die Ablehnung so aggressiv ist“, so Mansour. Deshalb sei Sexualität insgesamt die größte Herausforderung, wenn es um Integration gehe. „Die muslimischen Eltern müssen die Freiheit in Bezug auf dieses Thema als Bereicherung betrachten.“ Sie dürften nicht die Werte in unserer Gesellschaft als Risiko ansehen.