16.12.2024

Kirgistan: Repressives neues Religionsgesetz in erster Lesung gebilligt

AKREF-A/16.12.24 - Am 12. Dezember billigte das Parlament („Zhogorku Kenesh“, wörtlich „Oberster Rat“) in Bischkek zwei neue Gesetzesentwürfe in erster Lesung. Wenn diese Gesetzeskraft erlangen, bedeutet das eine weitere Einschränkung der Religions- bzw. Glaubensfreiheit. Der Entwurf zum Religionsgesetz verbietet weiterhin jede Ausübung der Religionsfreiheit ohne staatliche Registrierung und macht es für Gemeinschaften mit weniger als 500 erwachsenen Mitgliedern, die Staatsbürger Kirgistans sein müssen, unmöglich, legalen Status zu erlangen. Erstmals wird auch eine eigene Registrierung der Gottesdienststätten registrierter religiöser Organisationen gefordert. Das Teilen von Glaubensüberzeugungen in der Öffentlichkeit und von Tür zu Tür wird verboten. Im zweiten Gesetzesentwurf, der die Sanktionen für Verstöße regelt, ist ein starker Anstieg der Geldstrafen für Personen, die das Religionsgesetz verletzen, vorgesehen.

„Das ist ein sehr gefährliches Gesetz für uns“, erklärte ein Leiter einer Religionsgemeinschaft, der aus Furcht vor staatlichen Repressalien nicht namentlich genannt werden möchte, am 11. Dezember gegenüber Forum 18.

Während der Debatte am 12. Dezember waren muslimische und russisch-orthodoxe Leiter im Parlament anwesend. Ein Abgeordneter, Jalolidin Nurbayev sprach sich gegen das Verbot, den Glauben von Tür zu Tür zu verbreiten, aus. „Sie klopfen einfach an die Tür, laden in die Moschee ein und rufen zur zum Guten auf“, erklärte er. „Daran ist nichts Böses.“. Er wies auch auf andere Mängel hin und forderte, die Gesetzesentwürfe zurückzuziehen und zu überarbeiten.

Nach der Billigung der Gesetzesentwürfe wurden diese an den Ausschuss für Sozialpolitik als auch zu den „Expertendienststellen“ übermittelt mit der Anweisung, gegebenenfalls innerhalb von 10 Werktagen schriftliche Stellungnahmen abzugeben bzw. Änderungen vorzuschlagen.

Die Regierung beabsichtigt bereits seit längerer Zeit, die Gesetze über Religions- bzw. Glaubensfreiheit zu verschärfen. Bereits im November 2023 wurden entsprechende Gesetzesentwürfe veröffentlicht, aber später zurückgezogen. Neue Fassungen, die im August 2024 zur öffentlichen Diskussion gestellt wurden, enthielten zahlreiche Bestimmungen, die der Fassung von 2023 ähnlich waren und die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Kirgistans verletzen.

Am 5. September 2024 hielt Präsident Sadyr Japarov eine Sitzung mit leitenden Beamten und Mitgliedern einiger weniger religiöser Organisationen – offensichtlich ausschließlich vom Muftiat – ab, um den Entwurf zum neuen Religionsgesetz zu besprechen. Der Präsident rief „gut bekannte islamische Gelehrte“ dazu auf, ihre Vorschläge zum Gesetzesentwurf im Rahmen der öffentlichen Diskussion gemäß der Website des Präsidenten einzubringen und dabei „die Ansichten aller Parteien zu berücksichtigen“.

„Ich fürchte, dass, wenn diese Änderungen angenommen werden und die Behörden ihre bisherige Strategie weiterverfolgen, viele Kirchen geschlossen werden“, erklärte ein Protestant, der nicht namentlich genannte werden will, gegenüber Forum 18. Vertreter anderer Religionsgemeinschaften berichteten gegenüber Forum 18, dass weder die Staatliche Kommission für Religiöse Angelegenheiten noch sonstige Beamte sie über die Gesetzesentwürfe informiert oder in diesem Zusammenhang konsultiert hätte.

Die Staatliche Kommission für Religiöse Angelegenheiten begründete die von ihr erstellten Gesetzesentwürfe unter anderem mit der Behauptung, dass es das Ziel des neuen Religionsgesetzes sei, die internationalen Verpflichtungen der Kirgisischen Republik zu erfüllen.

In Wirklichkeit enthält der Entwurf zum Religionsgesetz zahlreiche Bestimmungen, durch die im Falle des Inkrafttretens rechtlich bindende internationale Menschenrechtsverpflichtungen verletzt werden, wie etwa folgende:

- alle Religionsgemeinschaften müssten wie schon bisher die staatliche Registrierung erwirken, um existieren oder Religions- bzw. Glaubensfreiheit ausüben zu dürfen;

- jede Ausübung der Religions- bzw. Glaubensfreiheit ohne staatliche Registrierung wäre weiterhin illegal und strafbar;

- zusätzlich müssten sich alle Religionsgemeinschaften alle 10 Jahre neu registrieren lassen;

 

- es würden mehrere belastende Registrierungserfordernisse eingeführt, so etwa eine weitere Erhöhung der erforderlichen Zahl von Gründungsmitgliedern, wobei das Votum zur Gründung einer Religionsgemeinschaft bei einer Gründungsversammlung einstimmig erfolgen müsste;

- der Staatlichen Kommission für Religiöse Angelegenheiten würden umfangreiche Befugnisse zur willkürlichen Ablehnung von Registrierungsanträgen eingeräumt;

- nicht näher genannte staatliche Stellen würde ein Vetorecht gegen die Gründung einer Religionsgemeinschaft eingeräumt;

- Muslimen wäre die Gründung von nicht der staatlich kontrollierten Zentralorganisation der Muslime unterstehenden Gemeinschaften untersagt;

- der Staatlichen Kommission für Religiöse Angelegenheiten würden umfangreiche Kompetenzen zur „Kontrolle“ von registrierten religiösen Organisationen und Bildungseinrichtungen und registrierten Gottesdienststätten eingeräumt, sowie umfangreiche Befugnisse zum Verbot von Religionsgemeinschaften;

- die registrierten Religionsgemeinschaften und Bildungseinrichtungen müssten Jahresberichte über ihre Organisationen und Aktivitäten an die Staatliche Kommission für Religiöse Angelegenheiten übermitteln, wobei auch Einblicke in interne Angelegenheiten gewährt werden müsste;

- alle Gottesdienststätten würden einer Registrierungspflicht durch die Staatliche Kommission für Religiöse Angelegenheiten unterliegen; alle Aktivitäten außerhalb der registrierten Gottesdienststätten müssten von der Kommission genehmigt werden;

- bevor eine Person eine nur vage definierte „Predigttätigkeit“ ausüben kann, wäre eine gesonderte Genehmigung erforderlich;

- die verpflichtende Zensur religiöser Literatur bliebe aufrecht;

- die Verteilung von religiösen Schriften an öffentlichen Orten, in Bildungsstätten und die Verteilung von Haus zu Haus wäre weiterhin verboten;

- das Teilen von Glaubensinhalten an öffentlichen Orten und von Tür zu Tür wäre verboten;

- die religiöse Unterweisung von Kindern und Erwachsenen bedürfte der Genehmigung durch die Staatliche Kommission für Religiöse Angelegenheiten, die auch befugt wäre, die Lehrpläne zu überprüfen;

- Parlamentariern und gewählten Funktionsträgern auf lokaler Ebene wäre die Ausübung religiöser Aktivitäten verboten.

Diese und weitere in dieser Zusammenfassung nicht erwähnten Bestimmungen stehen im eklatanten Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Kirgistans  bzw. zu den Richtlinien der OSZE und der Venedig Kommission des Europarats über die Rechtspersönlichkeit von Religions- oder Glaubensgemeinschaften.

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 13. Dezember 2024)

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA