02.12.2025

Deutschland: Friedensmesse mit islamischem Gebetsruf in der Kirche?

In der Schorndorfer Stadtkirche ist im Rahmen der Friedensmesse von Karl Jenkins der muslimische Gebetsruf erklungen. Das hat große Debatten hervorgerufen. Eine Einordnung von Pfarrer Friedmann Eißler

(IDEA) Es war nicht das erste Mal. Die Friedensmesse von Karl Jenkins („The Armed Man: A Mass for Peace)“ wird seit vielen Jahren landauf, landab dargeboten. Die Aufführung in Schorndorf (bei Stuttgart) ragte nur heraus, weil die Social-Media-Empörung unerreichte Dimensionen annahm.

Das interkulturelle musikalische Kunstwerk, das sich an der christlichen Messe orientiert und neben jüdischen und christlichen auch hinduistische und säkulare Elemente enthält, lässt im zweiten Satz den islamischen Gebetsruf erklingen. Besonders mit diesem löst es unterschiedliche Reaktionen aus, auch extreme.

Nicht wenige nutzen den Anlass – oft in völliger Unkenntnis des Stücks –, um empört die Islamisierung des Abendlands zu beklagen, andere feiern, dass der Gebetsruf nun auch in einer Kirche erklungen ist. Wieder andere sind einfach angetan vom Anliegen der Friedensbotschaft und ärgern sich, dass man sich so darüber ärgern kann.

Kirchengemeinden entscheiden eigenständig

Was ist das Problem? Die künstlerische Darbietung hat Konzertcharakter, es handelt sich nicht um eine interreligiöse Feier. Kirchengemeinden entscheiden eigenständig darüber, ob sie ihre Kirchenräume zur Verfügung stellen. Das Friedensanliegen wird auch niemand infrage stellen. So weit, so gut.

Zu beurteilen ist, ob und inwiefern der islamische Gebetsruf als Teil der Friedensbotschaft im Rahmen der Messe oder (zumindest auch) in seinem eigenen Charakter wahrgenommen wird.

Die rituelle Aufforderung zum muslimischen Gebet ruft fünfmal am Tag von Sonnenaufgang bis in die Nacht den Kern und den Anspruch des islamischen Glaubens in Gestalt des Glaubensbekenntnisses auf Arabisch über das Wohngebiet aus und ruft damit zum islamischen Pflichtgebet auf. Eine Friedensbotschaft enthält der Ruf nicht, er ist in der Regel auch nicht als solche verstanden worden.

Wie orientalische Christen den Ruf empfinden

Von orientalischen Christen kann man hören, dass der Gebetsruf nicht selten als Abgrenzungs- und Druckmittel empfunden wird. Manche sind aus den dominant islamischen Regionen zu uns gekommen und erleben es als Teil der Freiheit, den Adhan nicht mehr zu hören (hören zu müssen). Insofern geht es inhaltlich nicht zuletzt um einen Deutungsanspruch. So gesehen kann der Gebetsruf nicht in einer Kirche vor Kreuz und Altar rezitiert werden.

Was zu kurz greift

Von daher macht man es sich deutlich zu einfach und lenkt von der notwendigen Einordnung und Beurteilung ab, wenn der Protest kurzerhand als aus der „rechten Ecke“ kommend, also wohl irgendwie borniert und rückwärtsgewandt, abgetan wird. Auch wenn die Empörungsmaschinerie den absichtlich aus dem Zusammenhang gerissenen Moment fraglos unverantwortlich skandalisiert und emotionalisiert. Aber eben das muss in Zeiten von Instagram, Tiktok & Co. doch auch eingepreist werden. Mögliche Auswirkungen einer Aufführung sind unter Umständen schwer einzufangen.

In der Sache greifen in der Tat viele Ebenen und Themen ineinander. Am Ende muss man fragen: Wird der erwünschte Effekt überhaupt erzielt – und wenn ja, für wen und zu welchem Preis? Zum Frieden hat die Friedensmesse jedenfalls über die Jahre nicht beigetragen. Die Irritationen sind anschließend meist größer als die Impulse, freundlich aufeinander zuzugehen und Brücken zwischen den Religionen zu bauen. Das ist nicht erst in Schorndorf so.

(Der Autor, Pfarrer Friedmann Eißler (Stuttgart), ist Islambeauftragter der Evangelischen Landeskirchen in Württemberg und Baden.)