06.02.2025
Sierra Leone: Frauen vor der Beschneidung schützen
In Sierra Leone sind laut UNICEF rund 86 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren von Genitalverstümmelung betroffen. Eine erschreckend hohe Zahl.
(IDEA) Doch es tut sich etwas in der Gesellschaft. Christliche Organisationen wie die Inter-Mission haben ihren Anteil daran. IDEA hat den Projektverantwortlichen des Werks für Afrika, Michael Miezal, anlässlich des Internationalen Tags gegen weibliche Genitalverstümmelung darum gebeten, die Entwicklungen zu schildern.
Als ich Anfang der 1990er Jahre als Missionar in Sierra Leone lebte, wurde das Thema „weibliche Genitalverstümmelung“ selbst in Kirchengemeinden noch kontrovers diskutiert. Nicht wenige Christen vertraten den Standpunkt, der Brauch sei Teil einer erhaltenswerten Kultur. Es handelt sich dabei um einen Initialisierungsritus, nach dem das beschnittene Mädchen in der Gesellschaft als Frau gilt. Gut 30 Jahre später hat sich etwas verändert. Immer häufiger hört man nun junge Mädchen stolz sagen: „Nur damit das klar ist: Ich bin unbeschnitten. Ich bin stolz darauf, denn es bedeutet, perfekt erschaffen zu sein.“
Viele Sierra Leoner engagieren sich inzwischen dafür, junge Mädchen vor diesem Eingriff zu schützen, der mit Rasierklingen im Busch und in der Regel ohne Betäubung vorgenommen wird. Häufig führt er zu lebenslangem psychischem und physischem Leid – in manchen Fällen auch zum Tod durch Verbluten. Auslöser der positiven Entwicklung ist der jahrelange Einsatz zahlreicher lokaler und internationaler Organisationen und Aktivisten, der nun zum Umdenken führt.
Betroffene im Kampf gegen Genitalverstümmelung
Auch die Inter-Mission setzt sich gegen diese furchtbare Praktik ein. Gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) klärten wir 2024 in zwei Dörfern umfassend in Workshops über die gesundheitlichen Risiken von Genitalverstümmelungen auf. Initiatorin war die Leiterin unserer lokalen Partnerorganisation, Joan Kamara-Keister. Sie ist selbst betroffen und Teil eines wachsenden Netzwerks von Aktivisten auf diesem Gebiet. Sie ist angetrieben von ihrer Überzeugung, dass der weibliche Körper gut ist, so wie Gott ihn geschaffen hat.
Neue Jobs für Beschneiderinnen
Neben der Aufklärungsarbeit ist ein wichtiger Teil der Arbeit, die Beschneiderinnen, die die Eingriffe durchführen, als Verbündete zu gewinnen. Durch Weiterbildungen können ihnen neue Jobperspektiven angeboten werden. Denn: Je weniger Frauen Beschneidungen anbieten, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahl der Genitalverstümmelungen weiter sinkt. Geschätzt 50.000 solcher Soweis (Beschneiderinnen) soll es derzeit noch geben. Eine über 80-Jährige berichtete nach einem Workshop, dass sie ihr Leben lang als Beschneiderin gearbeitet habe. Sie habe aber durch das Treffen verstanden, dass ihre Tätigkeit falsch war und will sich künftig dafür einsetzen, den Brauch abzuschaffen.
Erste Erfolge erkennbar
Neben solchen ermutigenden Einzelbeispielen berichtete uns Kamara-Keister zudem, dass trotz anfänglicher Widerstände gegen die Workshops und manch kontroverser Diskussionen eine Bewusstseinsveränderung in den Dorfgemeinschaften eingesetzt hat. Ich gestehe: Auch meine Skepsis zu Beginn des Projekts ist einer Freude darüber gewichen. Es zeigte sich, dass ein gesellschaftliches Umdenken in Bezug auf eine kulturell so tief verwurzelte Praxis wie die Genitalverstümmelung möglich ist. Nun beobachte ich unter den jungen Frauen einen wachsenden Stolz auf ihren unversehrten Körper.