16.01.2025
Syrien: Warnung vor Racheaktion an Alawiten
Gesellschaft für bedrohte Völker: 157 Alawiten getötet, über 9.000 inhaftiert
Damaskus/Göttingen (IDEA) – In Syrien verfolgen die neuen islamistischen Machthaber Angehörige der alawitischen Glaubensgemeinschaft. Davon ist die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV/Göttingen) überzeugt. Sie verweist in einer Pressemitteilung vom 15. Januar auf Angaben der britischen Partnerorganisation „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (London). Danach sollen sunnitische Islamisten seit Assads Sturz am 8. Dezember 2024 mindestens 157 Menschen erschossen haben, die meisten davon Alawiten. Dieser Glaubensgemeinschaft gehörte auch der gestürzte Machthaber Baschar al-Assad (Damaskus) an, der von 2000 bis 2024 Staatspräsident war und das Land diktatorisch regierte. Mehr als 9.000 Alawiten sollen in einem Gefängnis im zentralsyrischen Hama und in einem weiteren bei Damaskus inhaftiert sein. Dazu erläuterte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido: „Diese Alawiten sind Angehörige der syrischen Armee, die ohne konkreten Grund festgehalten werden. Es besteht die Gefahr, dass die Islamisten sie foltern.“ Es komme zu Racheakten der neuen Machthaber. Sie könnten zu einem bewaffneten Aufstand führen, der das Land weiter destabilisieren würde, so Sido.
„Kriegsverbrecher können keine Kriegsverbrechen aufklären“
Wegen Racheakten sunnitischer Islamisten, die vom NATO-Mitglied Türkei unterstützt würden, wollten Kurden, Drusen und Angehörige anderer Volksgruppen ihre Waffen nicht abgeben, teilte die GfbV weiter mit. Viele Kommandeure der Milizen, die jetzt in Syrien an der Macht seien, hätten jahrelang in den Reihen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) gekämpft. Deshalb ist es Sido zufolge gefährlich, „die Aufarbeitung der Verbrechen an der syrischen Bevölkerung unter Assad in die Hände dieser Islamisten zu legen. Kriegsverbrecher können keine Kriegsverbrechen aufklären.“ Das könne nur eine unabhängige Justiz. Der Menschenrechtler appellierte an die deutsche Bundesregierung, die regierenden Islamisten nicht zu verharmlosen. Sie müsse sich vielmehr für ein Ende der Racheaktionen einsetzen. Auch die alawitische Gemeinschaft müsse ihren Platz im zukünftigen Syrien haben.
Bischof: Wir sind jetzt im Wartemodus
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet in einer Reportage über die Reaktion von Christen. Der Bischof der armenisch-orthodoxen Kirche, Armasch Nalbandian, sagte dem Beitrag zufolge: „Wir sind jetzt im Wartemodus.“ Ein Pastor erzählt, dass ein Vertreter der islamistischen HTS gesagt habe: „Wir lassen euch in Ruhe, eure Angelegenheit sind eure Angelegenheiten.“ Andere Gesprächspartner machten gegenüber der „Zeit“ deutlich, dass sie sich fürchten. Rebellen der Al-Nusra-Front, der HTS-Vorgängerorganisation, hätten beispielsweise in Maalula im Jahr 2013 auch Kirchen und Klöster zerstört. Die Christen dort äußerten, dass sie in der HTS die „Nusra-Front von damals“ sehen. In Damaskus habe eine Frau die von HTS umgeschriebenen Schulbücher erwähnt. In einem Religionsbuch sei der Passus „jene, die vom rechten Weg abgingen“ durch „Juden und Christen“ ersetzt worden. Im Dezember hätten zwei Dschihadisten einen Weihnachtsbaum angezündet. HTS habe die Tat verurteilt. Es heiße dann – so berichtet eine Christin – vonseiten der HTS, es handele sich um „Einzelfälle“. Rund drei Viertel der 24 Millionen Einwohner Syriens sind sunnitische Muslime, etwa zehn Prozent sind Alawiten. Der Anteil der Christen beträgt je nach Schätzung zwischen zwei und vier Prozent. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln. Rund sechs Millionen Syrer sind ins Ausland geflüchtet, hinzu kommen etwa sieben Millionen Binnenflüchtlinge.