10.03.2025
Syrien: Islamisten richten Massaker an Minderheiten an
Christen helfen den verfolgten Alawiten und sind selbst gefährdet
Damaskus (IDEA) – Einheiten der neuen islamistischen Regierung in Syrien haben Hunderte Angehörige von Minderheiten massakriert. Wie der Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen), Kamal Sido, der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA sagte, sind vor allem Alawiten unter den Opfern, darunter auch Frauen und Kinder. Dieser Glaubensgemeinschaft gehörte auch der langjährige Machthaber Baschar al-Assad an, der im Dezember von einem Bündnis mehrerer Milizen gestürzt worden war. Sido berichtete, dass sich die Ereignisse in dem Land zurzeit überschlügen. Er wisse bereits von rund 1.500 Opfern, vor allem Alawiten, die an insgesamt 39 Orten von Einheiten der neuen Machthaber ermordet worden seien. Wie viele Christen oder Angehörige anderer Volksgruppen unter den Opfern sind, ist nicht bekannt. Täglich erreichten ihn neue Schreckensmeldungen, so Sido. Er sei überzeugt, dass sämtliche Minderheiten in großer Gefahr seien. Doch leider hätten sie keine Lobby. „Die Ukrainer haben Europa, die Palästinenser die islamische Welt, doch wen haben die Alawiten, Drusen und Christen in Syrien?“ So wie die Gräueltaten der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg keine Kriegsverbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung gerechtfertigt hätten, würden die Taten Assads keine Massaker an unschuldigen Alawiten, Drusen oder Christen entschuldigen.
„Kriegsverbrecher können keine Kriegsverbrechen aufklären“
Es dürfe nicht sein, dass „Kriegsverbrecher über Kriegsverbrechen“ zu Gericht säßen. Er ärgere sich in diesem Zusammenhang über die Naivität der deutschen Politiker, die das neue Regime von Ahmed al-Scharaa aus geopolitischen Gründen verharmlosten und mit ihm kooperierten. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) hatte sich bereits Anfang Januar mit Al-Scharaa getroffen und ihre Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes angekündigt. Dabei hatte er ihr allerdings im Gegensatz zu ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot den Handschlag verweigert. Zum Hintergrund: Al-Schaaras Koalition Hai‘at Tahrir al-Sham (HTS) ist aus der früheren islamistischen Al-Nusra-Front hervorgegangen. Er selbst war laut Medienberichten in den letzten Jahren bemüht, sich als gemäßigt darzustellen. In diesem Zusammenhang habe er sich zumindest formell von den Terrororganisationen Al-Quaida und „Islamischer Staat“ (IS) losgesagt.
CSI: Islamisten handeln nach der Devise „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut!“
Der Geschäftsführer von Christian Solidarity International (CSI) in Deutschland, Pfarrer Peter Fuchs (München), berichtete auf IDEA-Anfrage, dass die syrischen Christen in großer Angst lebten. Sie erinnerten sich an den Schlachtruf der Al-Nusra-Front, die von Al-Scharaa gegründet worden war: „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut!“ An der Mittelmeerküste hätten manche Kirchen aus Solidarität bereits ihre Türen geöffnet, um Alawiten aufzunehmen und zu schützen. Dort wo die Milizen das verboten hätten, seien sie stattdessen von christlichen Familien aufgenommen worden. Sie brauchten dringend Unterstützung, denn die alawitischen Flüchtlinge hätten nichts anderes als die Kleidung am Leib mitnehmen können. Fuchs schilderte ferner, dass Ordensfrauen den geschändeten Leichen der Alawiten würdige Beerdigungen zuteilwerden ließen. Das gelinge jedoch nicht immer, da die Milizen versuchten, „ihre apokalyptischen Verbrechen zu verschleiern“. So würfen sie die Leichen ihrer Opfer ins Meer. Auch Christen gehörten zu den Opfern. So hätten Sicherheitskräfte des dschihadistischen Regimes den griechisch-orthodoxen Priester Gregory Bishara in der Hafenstadt Baniyas ermordet. Mindestens drei weitere Christen seien zudem bei weiteren Übergriffen getötet worden.
Christen werden auf der Straße verprügelt
Fuchs berichtete darüber hinaus, dass christliche Mädchen an staatlichen Schulen gedrängt würden, ein Kopftuch zu tragen. Zudem würden die Kinder aufgefordert, islamische Gebete mitzusprechen. In Homs hätten HTS-Milizionäre junge Christen sogar verprügelt und gedrängt, zum Islam zu konvertieren. An Straßensperren verlangten die dschihadistischen Kämpfer von Christen, das islamische Glaubensbekenntnis zu sprechen, um passieren zu dürfen. Desweiteren würden viele christliche Beamte entlassen, weil die neuen Machthaber ihnen unterstellten, mit Assad verbunden gewesen zu sein. Daraus folgten Arbeitslosigkeit und erdrückende Armut. Die Institutionen des Staates funktionierten nicht mehr. Seit drei Monaten seien keine Gehälter und Renten mehr ausgezahlt worden. Fuchs teilte allerdings auch mit, dass sich der seit 2015 in der Gefangenschaft der Al-Nusra-Front befindliche syrisch-katholische Diakon Johnny Daoud aus dem Bistum Homs am 2. März von seinen Entführern in die Freiheit entlassen worden sei. Christen und Muslime seines Heimatdorfes hätten ihn bereits empfangen. In der Gefangenschaft habe man ihn gedrängt, den Islam anzunehmen, aber er sei standhaft geblieben. Rund drei Viertel der 24 Millionen Einwohner Syriens sind sunnitische Muslime, etwa zehn Prozent sind Alawiten. Der Anteil der Christen beträgt je nach Schätzung zwischen zwei und vier Prozent. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln. Rund sechs Millionen Syrer sind ins Ausland geflüchtet, hinzu kommen etwa sieben Millionen Binnenflüchtlinge.