30.10.2025

Nigeria: Im Brennpunkt christenfeindlicher Gewalt

Nigeria hat sich in den vergangenen Jahren für Christen zu einem der gefährlichsten Orte der Welt entwickelt.

(IDEA) Nigeria hat sich in den vergangenen Jahren für Christen zu einem der gefährlichsten Orte der Welt entwickelt. Deutsche Politiker sprechen immer wieder von einem Konflikt um Ressourcen zwischen überwiegend christlichen Bauern und muslimischen Viehhirten aufgrund des Klimawandels. Warum diese Sichtweise zu kurz greift, analysiert das Hilfswerk Open Doors.

Grace (Name geändert), eine lokale Partnerin, transportierte Mitte Juni 2025 mit ihrem Team eine Hilfsgüterlieferung zu einem Flüchtlingslager im christlich dominierten Bundesstaat Benue. Dabei durchquerte sie auch die Ortschaft Yelwata, wo sich ihr ein Bild der Zerstörung bot: „Ich sah eine Ansammlung vieler Menschen und verbrannte Häuser sowie Läden entlang der Straße. Weil ich in den Nachrichten nichts gehört hatte, begann ich die Menschen zu fragen, was passiert war.“ Grace erfuhr, dass Yelwata am Vortag überfallen wurde. Ein Gemeindeleiter berichtete der Christin von der großen Brutalität der Angreifer. Militante Isla- misten aus dem Fulani-Volk hatten nachts die schlafenden Dorfbewohner überfallen. Sie setzten mehrere Häuser in Brand, während Familien darin schliefen. Auch Flüchtlingsunterkünfte wurden bewusst angegriffen. Über 200 Menschen starben bei dem Übergriff. Viele flohen. Der Anschlag steht beispielhaft für zahlreiche Überälle, die oftmals ähnlich wie in Yelwata verlaufen.

Konflikt oder Massaker?

Auch westliche Medien berichten immer wieder von Massakern wie in Yelwata. Häufig fällt dabei der Begriff „Konflikt“. Tatsächlich ist er in diesem Zusammenhang irreführend, suggeriert er doch einen Kampf zwischen zwei Aggressoren. Am aktuellen Beispiel gefragt: Ist dem Überfall eine Provokation vorausgegangen? Standen sich hier zwei Konfliktparteien gegenüber? Weder das eine noch das andere trifft zu. Vieles spricht hingegen für einen gezielten Übergriff extremistischer Muslime mit christenfeindlicher Agenda. Fakt ist, dass die Angreifer gegen 22 Uhr kamen, während die Menschen schliefen. Lokalen Quellen zufolge sind 99 Prozent der Einwohner von Yelwata Christen. Zeugenaussagen verdeutlichten, dass die Angreifer maximale Zerstörung im Dorf anrichteten und so viele Bewohner wie möglich töten wollten. Die Angreifer waren zudem mit militärischen Waffen ausgerüstet und riefen „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) – ein bei Angriffen durch islamische Extremisten häufig gehörter Ruf. Unter den Getöteten waren vor allem schwache Menschen, Frauen und Kinder, aber auch christliche Binnenvertriebene, die hier Zuflucht gesucht hatten. Umliegende Dörfer, die bereits in der Vergangenheit überfallen und seitdem von muslimischen Fulani bewohnt waren, blieben hingegen unbehelligt.

Wer sind die Angreifer?

Die meisten der Angriffe auf Christen in Nigeria werden im Norden des Landes verübt sowie im sogenannten „Middle Belt“ (Mittelgürtel). Zum einen sind islamistische Milizen wie Boko Haram und ihre Abspaltung „Islamic State – West Africa Province“ („Islamischer Staat in der Provinz Westafrika“) beteiligt. Doch auch militante Fulani sind verstärkt die Urheber der Gewalt, wie etwa in Yelwata. Mindestens 42 Prozent der Toten bei Angriffen auf Gemeinschaften gingen in den vergangenen Jahren laut der niederländischen Beobachtungsstelle für Religionsfreiheit in Afrika (ORFA) auf das Konto der radikalislamischen Fulani-Milizen (FEM). Die Fulani sind ein tief im Islam verwurzeltes Volk. Einige von ihnen leben als Nomaden, die aus ihren ursprünglichen, weiter nördlich gelegenen Weidegebieten zunehmend Richtung Süden wandern – und damit in die Staaten des Mittelgürtels. Während die nördlichen Bundesstaaten mehrheitlich von muslimischen Völkern wie den Hausa und Fulani bewohnt sind, ist der „Middle Belt“ ein ethnisch-religiöser Schmelztiegel. Die Mehrheit der Bevölkerung stellen jedoch Christen. Für die Südwanderung der Fulani ist unter anderem der Klimawandel verantwortlich, der die Weideflächen in den ursprünglichen Gebieten des Volksstammes schrumpfen lässt. So werden bei den brutalen Angriffen auf christliche Dörfer die Bewohner vertrieben oder getötet. Anschließend besetzen die Viehhirten die herrenlosen Ländereien.

Landraub oder Religionskrieg?

Von einem reinen Konflikt um Land und Ressourcen zu sprechen ist jedoch sowohl vereinfachend als auch unpräzise. Nach Beobachtungen von Open Doors ist die Gewalt in aller Regel zielgerichtet und einseitig. Die Angreifer sind zumeist islamische Extremisten, die Opfer häufig Christen. Auffallend ist auch, dass große Anschläge oftmals an wichtigen christlichen Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten verübt werden. Während es Zivilisten in Nigeria nicht erlaubt ist, Waffen zu tragen, sind die militanten Fulani schwer bewaffnet.

 

Lange Geschichte der Islamisierung

Ziel der islamistischen Gruppen – seien es Boko Haram oder die Fulani – ist die Islamisierung Nigerias. Der Ruf „Allahu Akbar“ sowie die gezielten Angriffe auf Kirchen verdeutlichen die religiösen Motive der Angreifer. Ginge es nur um Landraub, würden auch muslimische Siedlungen häufiger angegriffen – schließlich besitzen deren Bewohner ebenfalls Land. Tatsächlich waren aber laut der ORFA der zwischen 2019 und 2023 getöteten Zivilisten 54,3 Prozent Christen, aber nur 20,2 Prozent Muslime. Bei 25 Prozent war die Religionszugehörigkeit unbekannt. Eine konkrete Islamisierungsagenda formulierte schon der Fulani-Führer und Islam-Gelehrte Usman. Er rief bereits 1804 zum Dschihad auf und errichtete 1808 ein Kalifat im nordwestlichen Bundesstaat Sokoto. Usman schwor, den Islam mit der Macht des Schwertes von der Sahara im Norden bis zum Atlantik im Süden durchzusetzen. Diese Ideologie gewann mit der Einührung der Scharia in mittlerweile zwölf Bundesstaaten in Nordnigeria seit 1999 erneut an Dynamik. In der Folge nahm der Druck auf Christen in der Region spürbar zu.

Geistliche Herausforderung

All das verdeutlicht: Die Herausforderung ist im Kern eine geistliche. Deshalb ist das Gebet von so entscheidender Bedeutung. In der gemeinsamen Fürbitte, aus der auch die praktische Hilfe erwächst, liegt die größte Kraft für Nigerias verfolgte Christen. Wir rufen zu Jesus Christus, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gehört und der gesagt hat: „Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun.“

Hintergrundinformationen

Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Durch seine großen Öl- und Gasvorkommen ist es zudem die stärkste Wirtschaftskraft südlich der Sahara. Doch Nigeria ist auch das Land, in dem Christen stärker als irgendwo sonst Gewalt ausgesetzt sind. Laut der nigerianischen Menschenrechtsorganisation Intersociety wurden allein zwischen Januar und August 2025 mehr als 7.000 Christen aufgrund ihres Glaubens getötet. Die Gewalt geht hauptsächlich von islamisch-extremistischen Gruppierungen wie Boko Haram (Westliche Bildung ist Sünde) und zunehmend von militanten Fulani-Hirten aus. Während Christen im Süden des Landes die Mehrheit ausmachen, ist der Norden mehrheitlich muslimisch. In Zentralnigeria versuchen die Islamisten ihr Machtgebiet durch brutale Gewalt zu erweitern. Viele der insgesamt bis zu 3,7 Millionen Binnenvertriebenen im Land gehen auf das Konto der Terrorgruppen. Genau wie der vorherige Präsident Muhammadu Buhari hat auch Bola Ahmed Tinubu – beide Muslime – bislang keine nennenswerten Erfolge zum Schutz vor den Milizen vorweisen können.

Open Doors ist ein überkonfessionelles christliches Hilfswerk, das sich seit 1955 in mittlerweile mehr als 70 Ländern für verfolgte Christen einsetzt. Projekte von Open Doors umfassen unter anderem Hilfe zur Selbsthilfe, Ausbildung von christlichen Leitern, Traumaarbeit oder die Bereitstellung von Bibeln und christlicher Literatur. In Deutschland informiert das Werk mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit über Christenverfolgung und ruft zu Gebet und Hilfe für verfolgte Christen auf. Geschäftsführer ist Markus Rode.