15.09.2020

Deutschland: „Cottbuser Erklärung“

fordert höhere Entschädigung für SED-Opfer - Gesundheitliche Folgeschäden des DDR-Strafvollzugs bislang nicht erfasst

Cottbus (idea) – Menschenrechtler haben in einer „Cottbuser Erklärung“ eine höhere Entschädigung für politische Gefangene der SED-Diktatur gefordert. „Es ist wichtig, dass im 30. Jahr der Deutschen Einheit die Ausbeutung von politischen Gefangenen durch Zwangsarbeit nicht in Vergessenheit gerät“, sagte der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Dieter Dombrowski (Berlin), anlässlich der Veröffentlichung. „Diesen Menschen ist schwerstes Unrecht widerfahren und sie benötigen Hilfe und Unterstützung.“ Unterzeichnet wurde die Erklärung unter anderem vom stellevertretenden Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher (Bonn), und dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz.

Häftlinge litten häufig unter schwerer Arbeit, unzureichender Vergütung und Sanktionen

Wie es in dem Schreiben heißt, wurden politische Häftlinge der DDR zur Zwangsarbeit in verschiedenen Industriezweigen eingesetzt. Dafür habe der Strafvollzug ein flächendeckendes Netz von Arbeitseinsatzbetrieben unterhalten, „in denen die verschiedensten DDR-Betriebe unter Ausnutzung der generell bestehenden Arbeitspflicht der Häftlinge in der DDR für ihre Zwecke produzieren ließen“. Neben der häufig auftretenden Nichteinhaltung von Gesundheits- und Arbeitsschutz und einer unzureichenden Vergütung seien die Häftlinge dort oft mit körperlich schwerer und gesundheitlich gefährlicheren Tätigkeiten konfrontiert gewesen. „Die Arbeitspflicht der Gefangenen wurde im Zweifelsfall bei Normuntererfüllung oder Arbeitsverweigerung mit scharfen Sanktionen, Arreststrafen bis hin zu körperlicher Gewalt durchgesetzt.“ Damit habe die DDR „gegen alle internationalen Vereinbarungen der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation zur Zurückdrängung und Ächtung der Zwangsarbeit verstoßen“.

IKEA will sich an Fonds zugunsten der ehemaligen Häftlingszwangsarbeiter beteiligen

Wie es in der Erklärung weiter heißt, sind die ehemaligen politischen Gefangenen der DDR im Rahmen der strafrechtlichen Rehabilitierung heute zwar in mehrheitlich für die von ihnen erlittene Freiheitsentziehung entschädigt worden. Psychische und physische Folgeschäden, die aus der Zwangsarbeit resultierten, seien durch die aktuellen Entschädigungsregelungen jedoch nicht erfasst. Die Unterzeichner fordern darum, im Fall von hafttypischen Krankheitsbildern eine „Regelvermutung zugunsten der Opfer der SED-Diktatur“ einzuführen, um die Anerkennung von Folgeschäden aus der DDR-Haft zu erleichtern. Weiterhin rufen sie zur Schaffung eines eigenständigen Fonds für Entschädigungs- bzw. Wiedergutmachungsleistungen zugunsten der ehemaligen Häftlingszwangsarbeiter auf, für den „vor allem die Nutznießer der politischen Zwangsarbeit in der DDR und deren Rechtsnachfolger Zahlungen leisten“. Dem Schreiben zufolge habe der Einrichtungskonzern IKEA bereits seine Bereitschaft zur Beteiligung an dem Fonds signalisiert: „Wir fordern Firmen und politische Entscheidungsträger auf, diesem Beispiel zu folgen.“ Ausgangspunkt für die Erklärung war ein Tribunal zum Thema „Zwangsarbeit in politischer DDR-Haft“. Es fand auf Einladung der UOKG im Menschenrechtszentrum Cottbus, der früheren DDR-Strafanstalt Cottbus, statt.