15.11.2003

Türkei: Christen geraten zunehmend unter Druck

Antrag Änderung der Religionszugehörigkeit abgelehnt

Türkei: Christen geraten zunehmend unter Druck

Antrag Änderung der Religionszugehörigkeit abgelehnt

ISTANBUL, 12. November 2003 (Compass) -- Zwei Monate, nachdem Deniz Kasan und Turgay Papakci sich in der presbyterianischen Kirche von Istanbul das Jawort gaben, wurde ein Antrag der Braut auf Änderung der Religionsangabe in ihren Papieren abgelehnt. In der zuständigen Meldestelle sagte man ihr, sie könne die Angabe ihrer Religion nicht von muslimisch in christlich ändern, wie es ihr Mann zwei Jahre zuvor getan hatte, weil ihre Kirche "nicht als offizielles Haus der Anbetung anerkannt" sei. Die ständig wachsende Gemeinde der Istanbul Presbyterian Church, deren Anfänge vor neun Jahren liegen, kommt seit Ende der 1997er Jahre in der historischen Allerheiligenkirche der Anglikaner im Istanbuler Bezirk Moda zusammen.

Mit der Meldung ihres neuen Ehestandes und der Änderung ihres Nachnamens zusammen hatte die Braut noch einen Antrag einzureichen: Den Wechsel ihrer religiösen Identität von muslimisch zu christlich, ebenso wie es ihr Mann zwei Jahre zuvor getan hatte. Zu Kasans Schrecken wurde ihr routinemäßiger Antrag vom obersten Beamten des Bezirks Kadikoy abgelehnt, der am selben Tag schriftlich erklärte, dass ihre Kirche "nicht als offizielles Haus der Anbetung anerkannt" sei und ihr Taufzeugnis damit nicht als gültig angesehen werden könne.

Als das Schreiben nach mehr als einer Woche einging, las es der Ehemann mit ungläubigem Erstaunen. Zusammen mit etlichen anderen Konvertierten hatte er seine Religionszugehörigkeit in seinen Papieren anstandslos ändern können, nachdem er in derselben Kirche, in der er jetzt mitdient, getauft worden war.

Ein weiterer Neubekehrter aus der Gemeinde, der 21-jährige Beyza Gun, erhielt in derselben Woche einen gleichartigen abschlägigen Bescheid. Dazu sagte der Pfarrer, Rev. Turgay Ucal: "Jeder türkische Bürger über 18 Jahre hat das gesetzlich verbriefte Recht, mit seiner Unterschrift unter eine einfache entsprechende Erklärung seine religiösen Beziehungen zu wechseln." Aus diesem Grund beauftragte Ucals Gemeinde Rechtsanwalt Dogru, die Ablehnung beider Anträge anzufechten. Er hat bei den Verwaltungsgerichten in Istanbul Klage gegen den Beamten und das Einwohnermeldeamt eingereicht. Wie Compass von ihm erfuhr, könnte der Fall einige Monate in Anspruch nehmen.

Inzwischen meldeten auch zwei andere türkische Christen aus dem Istanbuler Bezirk Altintepe, wo sich die 70-Plus-Gemeinde der protestantischen Kirche trifft, ähnliche Schwierigkeiten.

Bemerkenswert ist, dass sie im Juli 2000 die erste neue protestantische Gemeinde in der Geschichte der modernen Türkei war, der ein offizieller "Gründungs"-Status zuerkannt wurde. Für Timur Topuz, 29, war es das zweite Mal, dass sein formeller Antrag auf eine christliche Identität von der Bürokratie abschlägig beschieden wurde. Topuz, der jetzt in der Textilindustrie arbeitet, hatte 1998, vier Jahre nachdem er zum Glauben an Christus kam, einen neuen, christlichen Ausweis beantragt. Nach Monaten des Wartens sagte man ihm, dass sowohl beim Amt in Konya, wo er mit seiner Familie gemeldet war, als auch im Istanbuler Bezirk Kadikoy, wo er jetzt lebt, sein Antrag "nicht vorliege". Die Beamten dort behaupteten, sie hätten keinen Hinweis darauf, dass Topuz eine derartige
Änderung überhaupt je beantragt habe. Vor drei Monaten unternahm Topuz einen neuen Versuch, doch als er am 17. September seinen neuen Ausweis abholen wollte, übergab man ihm die schriftliche Erklärung, sein Ausweis könne nicht wunschgemäß geändert werden. Unter Hinweis auf eine Vorschrift des Innenministeriums vom 14. Oktober 2002 stellte man ihm trotz seiner Einwände einen neuen Ausweis aus, in dem er als Muslim genannt wird. Obwohl es sehr teuer werden könnte, überlegt seine Gemeinde, in dieser Angelegenheit vor Gericht zu gehen.Ein weiteres Gemeindemitglied aus Altintepe, Emrah Unver, wurde in demselben Kadikoyer Amt vor zwei Monaten mündlich abgewiesen. Der 27-jährige Tischler sagte Compass, er sei vor zwei Jahren Christ
geworden. Als er den Beamten sagte, er wolle seine Papiere von muslimisch in christlich ändern, hieß es, das sei nicht erlaubt, und man weigerte sich, seinen Antrag entgegenzunehmen. Vor über zehn Jahren liberalisierte der türkische Staat seine Verwaltungsgesetze, so dass es für muslimische Bürger, die zum Christentum übertreten, zu einer Routineangelegenheit wurde, ihre offizielle Religionsidentität zu ändern. Daher haben in den letzten Monaten bekannt gewordene Versuche, solche Anträge abzulehnen, die 70 oder mehr protestantischen Gemeinschaften, völlig überrascht.
Allerdings war die Beharrlichkeit einer Konvertitin aus der wachsenden Heilsgemeinde in Ankara erfolgreich, deren Antrag im letzten April abgelehnt worden war. Sie ist Christin seit 1996 und ihre Eingabe hatte im vergangenen Monat Erfolg, ohne dass sie prozessieren musste. Die staatlich angestellte Volkswirtin war wiederholtem Druck und Verzögerungstaktiken durch Polizei und Regierungsbeamte ausgesetzt. "Meine Eingabe wurde zwei Monate lang allein von der Sicherheitspolizei überprüft", sagte sie, "und ich wurde oft zum Polizeirevier oder zu anderen Büros bestellt. Zuerst war mir ein wenig bange, aber ich habe gelernt, dass wir uns jedem Druck entgegenstemmen müssen, und schließlich müssen die Beamten uns die Änderung erlauben."

Das Hauptproblem ist nach Aussage von Anwalt Dogru, dass das türkische Recht, ausgenommen für die traditionellen ethnischen Einrichtungen seiner armenischen, griechischen und jüdischen Bürger, für die Bildung oder den rechtlichen Status nicht muslimischer Religionsgruppen keine Gesetze hat. "In einem säkularen Land", sagte Dogru, "müssen Verfassung und Gesetze alle religiösen Gruppen gleich behandeln. Hier sagt die Polizei, diese Kirche sei nicht offiziell genug. Aber wer wird das klar stellen? Denn es gibt ja keine ´offizielle´ Definition." Da die Religionsangabe im Ausweis anderer Mitglieder der presbyterianischen Kirche von Istanbul früher problemlos geändert worden sei, sagte er, basierten die kürzlichen Ablehnungen wohl auf "einer politischen Haltung", möglicherweise als Reaktion auf gegen Christen erhobene Anschuldigungen, Christen würden in der Türkei "missionarisch arbeiten". "Vom rechtlichen Standpunkt aber kann diese Ablehnung absolut nicht akzeptiert werden", schloss er.

Es wird angenommen, dass einige hundert Türken, die Christen wurden, unter dem säkularen Recht des Landes im Laufe der letzten 15 Jahre ihre Ausweispapiere ändern ließen. Bestätigte Statistiken gibt es allerdings nicht.