14.01.2004
Türkei: Untersuchungshaft für Attentäter vom Gericht aufgehoben
Offizieller forensischer Bericht des verletzten Christen noch nicht<br />eingegangen
Türkei: Untersuchungshaft für Attentäter vom Gericht aufgehoben
Offizieller forensischer Bericht des verletzten Christen noch nicht
eingegangen
(Compass Direct/OG) -- Gestern wurden die beiden jungen Nationalisten freigelassen, die unter dem Vorwurf inhaftiert waren, einen jungen Konvertiten überfallen und zusammengeschlagen zu haben.
Der Richter am Kriminalgericht von Orhangazi (Nordwest-Türkei)basierte diese Entscheidung auf einem Krankenhausbericht über den verletzten Christen sowie auf seinem Nichterscheinen bei der gestrigen Verhandlung.
Laut der Entlassungsbescheinigung des Krankenhauses vom letzten Monat war Yakup Cindilli (32) aus seinem zweimonatigen Koma aufgewacht und sein Leben nicht länger in Gefahr. Er befindet sich noch in einem halb hilflosen Zustand und wird seit Anfang Dezember von seiner Familie zu Hause gepflegt.
Da Cindilli gestern nicht erschien, um vor Gericht auszusagen, akzeptierte der Richter den Antrag des Staatsanwalts auf Haftentlassung von Ibrahim Sekman und Huseyin Bektas für die Dauer des Prozesses gegen sie sowie von Metin Yildiran und Gokhan Sen, zwei weiteren Verdächtigen.
Cindillis Schwester Arzu Seckin berichtete dem Gericht jedoch, dass ihr Bruder noch nicht wieder ganz beieinander sei und gerade wieder "wie ein Baby" zu laufen begonnen habe. Obwohl er jetzt einige Worte spreche, sei seine Rede nicht immer sinnvoll. "Wenn Sie ihm Fragen stellen würden, wäre er nicht fähig, sie zu beantworten", sagte sie dem Richter.
Nach Aussage eines den Fall beobachtenden Anwalts hat das Gericht über Cindillis Gesundheitszustand noch keinen offiziellen forensischen Bericht bekommen.
Der Richter wies Cindillis Familie an, Yakub zu der für den 12. Februar angesetzten nächsten Verhandlung mitzubringen. Falls nicht, "werden wir dann zu Ihnen nach Hause kommen, um seine Aussage
zu bekommen", sagte der Richter.
In der 45-minütigen Verhandlung des gestrigen Tages hörte der Richter die Aussage des zweiten jungen Mannes, der am 19. Oktober ebenfalls verprügelt worden war.
In direktem Widerspruch zu seiner ersten Aussage vor Gericht, behauptete Tufon Orhan, er habe mit Cindilli zusammen an einer Bushaltestelle gestanden, als einige Leute gekommen seien und einen Streit begonnen hätten. Sie seien mit Cindilli weggegangen, für eine Identifizierung also zu weit entfernt gewesen, sagte er. Ihm hätten sie sich nicht genähert. "Mich hat nie einer geschlagen", sagte er zweimal. Aber als er Cindilli zu Boden fallen gesehen habe, sei er in Panik geflohen.
Der Richter verglich dies mit Orhans Originalaussage, dass der Vorfall in einem Kaffeehaus begonnen habe, dass er selbst geschlagen worden sei und einige der Angreifer erkannt habe. Er verlangte eine Erklärung für das Vorliegen eines Attestes über erlittene Verletzungen und regte an, Orhan möge seine gerade unter Eid gemachte Aussage "noch einmal überdenken".
Wenn auch sichtlich bebend, wollte er seine letzte Aussage jedoch nicht zurückziehen und erklärte, er müsse "zu aufgeregt" gewesen sein, als er seine erste Aussage zu Protokoll gegeben habe.
Die Verteidigung brachte drei Zeugen bei, welche aussagten, dass Cindilli ihnen oder einem ihrer Bekannten bei früheren Gelegenheiten ein Neues Testament angeboten habe.
"Hier, in einem muslimischen Land, ist es ein Verbrechen, Neue Testamente zu verteilen", war später der Kommentar eines türkischen Zeitungsreporters Compass gegenüber.
Auch die Information über die strikt säkularen Gesetze der Türkei, nach denen religiöses Material, das legal gedruckt ist und nichts Politisches enthält, verkauft oder frei ausgegeben werden kann, überzeugte den Reporter nicht.
Cindilli wurde am 19. Oktober von rechts gerichteten Nationalisten mit Verbindung zur Nationalist Movement Party (MHP) wegen Verteilung von Neuen Testamenten und "Missionsarbeit" überfallen und geschlagen. Aufgrund eines Blutgerinnsels im Gehirn fiel er einen Tag später ins Koma.
Der Präsident der MHP-Ortsgruppe Orhangazi, Metin Yildiran, ist einer der vier Angeklagten.
Der aus einer muslimisch-konservativen Familie stammende Cindilli kam vor weniger als zwei Jahren zum Glauben an Christus, nachdem er angefangen hatte, mit "Aloa Dua" zu telefonieren, einer Gebetshotline türkischer Christen. Obwohl seine Familie weiterhin gegen seinen neuen Glauben eingestellt ist, erstattete sie wegen Yakubs lebensgefährlichen Verletzungen Anzeige gegen die örtliche MHP-Leitung und Parteijugend.