01.02.2007

Türkei: "Die Türken schätzen Benedikt nun als Weltpolitiker und wahren Papst"

Dialog von Muslimen und Christen auf gutem Weg?<br />

Türkei: "Die Türken schätzen Benedikt nun als Weltpolitiker und wahren Papst"

Dialog von Muslimen und Christen auf gutem Weg?

SZ 12.01.2007, S.6 - Uhr Ali Dere, "Außenminister" der Religionsbehörde in Ankara, sieht den Dialog von Muslimen und Christen auf gutem Weg, verneint aber, dass der Islam der Aufklärung bedarf. Wenn in islamischen Ländern Menschenrechte missachtet würden, liege dies nicht an der Religion, sondern an der Politik. Das sagt Ali Dere. Der Auslandschef des türkischen Religionsamts Diyanet hebt gegenüber Michael Trauthig die positiven Wirkungen des
Papstbesuchs am Bosporus hervor.

Hat die Visite Benedikts XVI. in Ihrem Land nachhaltige Wirkungen gehabt?

Der Besuch hat sich sehr positiv ausgewirkt. Zum einem nimmt die Presse das Oberhaupt der katholischen Kirche jetzt nicht mehr so skeptisch wahr. Zum anderen haben es die Mitarbeiter unseres Amtes als starkes Symbol der Versöhnung empfunden, dass der Papst sich für uns Zeit nimmt. Dabei sind sich mit großer Offenheit, Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit zwei Weltreligionen begegnet.

Ihr Chef Ali Bardakoglu hatte zuvor polemisch auf die Regensburger Rede des Papstes reagiert. Schürte er so den Eindruck, Muslime wollten keinen kritischen Dialog?

Nein. Seine Reaktion war angemessen und unerlässlich. Schließlich vertritt das Diyanet die Mehrheit der Menschen in unserem Land. Die Muslime aber fühlten sich durch das von Benedikt verwendete Zitat, dass Mohammed nur Schlechtes gebracht habe, verletzt. Diesem
Gefühl hat Bardakoglu eine Stimme verliehen. Er hat so den Volkszorn kanalisiert. Andernfalls hätten womöglich extremistische Gruppierungen oder Parteien die Missstimmung für ihre
Zwecke instrumentalisiert. Derartiges haben wir schließlich schon im Rahmen des Karikaturenstreits erlebt.

Welche konkreten Fortschritte im christlich-islamischen Dialog erwarten Sie nun?

Dieses Gespräch hat nicht erst nach der Papstreise begonnen. Vielmehr ist der Dialog schon eine jahrzehntelange Übung. So kommen bereits seit zwanzig Jahren Theologen der päpstlichen Hochschule an unsere Fakultät in Ankara, um hier zu unterrichten. Gleichzeitig schicken wir Dozenten nach Rom. In den 90er-Jahren hat unser Amt auch ein Abkommen über bilaterale Beziehungen mit dem Vatikan geschlossen. Beim Dialog der Religionen geht es nicht nur um
theologischen Gedankenaustausch, es geht vielmehr darum, die Zukunftsprobleme dieser Welt zu lösen. Von daher gibt es zur Verständigung keine Alternative.

Wieso konnte bei einer so langen Tradition des Gesprächs denn ein einziges Zitat Benedikts die Atmosphäre vergiften?

Die Annäherung an die katholische Kirche war noch unter Johannes Paul II. erfolgt. Zu Benedikt XVI. bestanden keine direkten Beziehungen. Noch dazu wurden seit dem Führungswechsel in Rom einige Islamkenner im Vatikan, zu denen wir persönliche Beziehungen pflegten, versetzt. Diese Experten hätten vermutlich dafür gesorgt, die Regensburger Rede des Papstes zu entschärfen.

Der Dialog auf offizieller Ebene ist das eine, was im Volk vorgeht, das andere. Hat der Papst die Herzen der Türken erreicht?

Das türkische Volk schätzt den Papst nun. Seine freundlichen Gesten haben alle überrascht und erfreut. Man sagt, er ist jetzt ein wahrer Papst, ein Weltpolitiker geworden.

Im Westen wird oft bezweifelt, dass im Islam Vernunft und Glauben zusammengehen könnten. Muss Ihre Religion die Aufklärung nachholen?

Nein. Der Islam bedarf keiner Aufklärung nach dem Vorbild Europas, denn seine Entwicklung beruht von Anfang auf Vernunft, Logik und Zeitgemäßheit. Zwar gibt es Rückstandsphänomene in manchen islamischen Ländern, aber es hat keinen Sinn, für alle Religionen und Völker einen parallelen Geschichtsverlauf und die gleichen Entwicklungsschritte einzufordern.

Zu den Früchten der Aufklärung gehören die Menschenrechte. Die werden in vielen islamischen
Ländern nicht respektiert.

Wir können nicht alles mit der Religion erklären. Wenn es in islamischen Ländern Defizite in Bezug auf die Menschenrechte gibt, ist nicht der Islam die Ursache. Entscheidend sind Strukturen, Traditionen und politische Entscheidungen vor Ort. Verbesserungen sind vielfach nötig, aber sie brauchen Zeit. Auch in Europa hat es lange gedauert, bis sich die Demokratie durchsetzte.

Damit wollen Sie aber nicht entschuldigen, dass die Türkei immer noch die christlichen Kirchen diskriminiert?

Ich bestreite, dass dies überhaupt der Fall ist.

Die Kirchen haben keinen Rechtsstatus, der ihren Besitz sichert. Sie dürfen keinen theologischen Nachwuchs ausbilden.

Solche Beschränkungen gelten für die Muslime in gleicher Weise. Auch die Moscheen gehören zum Beispiel nicht den Religionsgemeinschaften. Die Türkei macht bei der Durchführung der Gesetze also keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen.

Ihr Amt schickt die Imame für rund 900 Moscheegemeinden ohne ausreichende Sprachkenntnisse nach Deutschland. Fördern Sie so Parallelgesellschaften?

Tatsächlich sprechen unsere Imame bisher kaum Deutsch. Allerdings bemühen wir uns um Verbesserungen. Seit drei Jahren führen wir in Ankara zusammen mit den deutschen Behörden Vorbereitungskurse für die Theologen durch. Außerdem werden zwei Professoren für
islamische Religion in Frankfurt finanziert, und 19 Deutschtürken studieren in Ankara islamische Religion, um als Fachleute in der islamischen Theologie nach Deutschland zu gehen. Entscheidend ist aber, dass die Vorbeter alle mit auf den Weg bekommen, die Gläubigen zu einer besseren Integration zu ermahnen.

Die Mehrheitskirchen haben akzeptiert, dass man die Aussagen der Bibel nur in ihrem historischen Kontext verstehen kann. Wann wird diese Interpretationsmethode für den Koran mehrheitsfähig?

Auf den Koran lässt sich die historisch-kritische Methode in vollen Zügen nicht anwenden, weil sein Text nicht über eine längere Zeit oder in einer anderen Sprache entstanden ist. Allerdings
hilft diese Art der Textkritik bei den Prophetensprüche weiter. Ungeachtet dessen ist es selbstverständlich, die religiösen Texte im Rahmen der historischen Entstehungsbedingungen zu verstehen.

Halten Sie die Entwicklung eines Euroislam für ein erstrebenswertes Ziel?

Einen solchen Prozess kann man nicht von außen steuern. Der Euroislam ist ein Projekt, eine Zukunftsperspektive von einigen Politikern. Man benennt damit ein Kind, das noch nicht einmal
gezeugt wurde. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich "ein Islam in Deutschland" etabliert.

Zur Person : Der Reformtheologe Ali Dere
(rau) Ali Dere zählt zu den Vertretern einer unter dem Namen "Ankara School" bekannt gewordenen Gruppe von Reformtheologen in der Türkei. Er hat 1994 an der Universität Göttingen im Fach Islamwissenschaften promoviert. Dass der Forscher mit einigen Gleichgesinnten vor wenigen Jahren in die Führungsspitze des Präsidiums für Religiöse
Angelegenheiten (Diyanet) in Ankara aufrückte, gilt als Signal der Öffnung dieser mächtigen Behörde mit rund 100 000 Mitarbeitern. Der Professor hat dort das Amt des Direktors für Außenbeziehungen inne. In dieser Funktion ist er auch für die Entsendung von Imamen nach
Westeuropa zuständig. Die Auswahl und Ausbildung der jeweiligen Kandidaten hat der 42-Jährige mittlerweile behutsam reformiert. Jüngst startete er dabei ein Projekt, das das Verständnis für die Gleichberechtigung von Mann und Frau fördern soll. Es wurden zwei
weibliche Imame nach Deutschland geschickt. Dere ist jetzt auf Einladung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in die Landeshauptstadt gekommen.