01.02.2007

Türkei: Religionsfreiheit über Strassburg, nicht Ankara oder Brüssel?

Von Otmar Oehring, Leiter des Büros für Menschenrechte von Missio.

www.missio-aachen.de/menschen-kulturen/themen/menschenrechte


Im Ringen um Religionsfreiheit in der Türkei stellt Otmar Oehring zwei aktuelle Hauptfragen
fest: Einerseits die Frage, ob das umstrittene Stiftungsrecht angenommen wird, und falls ja, in
welcher Form es zur Anwendung kommt. Andererseits die Frage, ob sich die Einstellung der
türkischen Regierung gegenüber der Religionsfreiheit nach einem Entscheid des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (ECHR) ändern wird. Am 9. Januar 2007 wurde vom Gericht
ein positiver Entscheid gefällt im Fall einer griechisch-orthodoxen Stiftung. Die Stiftung führt
in Istanbul eine Oberschule, die 1992 von der Regierung konfisziert worden war. Seitdem war
auf rechtlichem Weg mehrmals versucht worden, das Gebäude zurückzuerhalten. Seit dem
positiven Entscheid des ECHR wird in den ausländischen Medien über dessen Folgen für
Organisationen anderer religiöser Minderheiten diskutiert. Otmar Oehring ist der Meinung, dass
die Auswirkungen sich jedoch nur auf solche Stiftungen beschränken werden, die bereits
rechtlich erlaubt sind. Der Einfluss auf die Religionsfreiheit im Allgemeinen wird aber klein
sein. Doch könnte es sein, dass andere religiöse Minderheiten mit ähnlichen Problemen durch
den Fall ermutigt werden, sich ebenfalls an den Gerichtshof in Strassburg zu wenden.
Das ökumenische Patriarchat hat bereits den Fall eines konfiszierten Waisenhauses an den
Gerichtshof gebracht, und auch die katholische Gemeinschaft der Vinzentianer überlegt sich,
den gleichen Weg für einen ähnlichen Fall einzuschlagen. Problematisch ist jedoch, dass die
türkischen Autoritäten in beiden Fällen die Patriarchate rechtlich nicht anerkennen, und ihnen
folglich auch kein Recht auf Eigentum zugestehen. Würde nun das Gericht einen positiven
Entscheid fällen, hiesse dies, dass auch andere religiöse Gruppen ihr Recht auf Eigentum auf
diesem Weg geltend machen könnten. Schlussendlich könnte dies sogar dazu führen, dass die
religiösen Minderheiten nicht nur mit Fragen betreffs Eigentum vor Gericht gehen, sondern auch
mit der Frage der allgemeinen Religionsfreiheit.
Abgesehen von diesem positiven Entscheid vom Gerichtshof für Menschenrechte kommt die
Frage der Religionsfreiheit in der Türkei nur langsam voran. Während des Papstbesuches Ende
letzen Jahres wurde beschlossen, eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Vatikans und
Regierungsabgeordneten, zu gründen, doch sind bis heute in dieser Angelegenheit keine
Fortschritte gemacht worden.
Im November des letzten Jahres hatte das türkische Parlament ein Gesetz angenommen, welches
sowohl muslimische als auch nicht-muslimische Stiftungen regeln würde. Die
Eigentumsprobleme von Stiftungen religiöser Minderheiten könnten durch dieses Stiftungsrecht
gelöst werden. Nun hat aber der Präsident Ahmed Necdet Sezer dagegen sein Veto eingelegt, da
das neue Gesetz die religiösen Minderheiten zu fest unterstützen würde. Laut stellvertretendem
Premierminister Mehmet Ali Sahin werden nun Teile davon nochmals besprochen. Leider sind
viele Abgeordnete der Meinung, man solle die Angelegenheit fallen lassen, da es zu teuer wäre
die Enteignungen zu kompensieren. Im weiteren Vorgehen kann die Regierung das Gesetz nun
nochmals ans Parlament senden. Der Präsident hat dann nicht die Möglichkeit, erneut Veto ein
zu legen. Als zweite Möglichkeit könnte die Regierung mit der Besprechung des Gesetzes
warten bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen und auf einen Regierungswechsel hoffen.
Die Regierung der Türkei ist leider nicht bereit, das Recht auf Religionsfreiheit an zu erkennen,
wie es in Artikel 9 der europäischen Konvention für Menschenrechte beschrieben wird. Dies
macht die Situation für religiöse Minderheiten problematisch. Insbesondere die katholische und
die protestantische Kirchen, die bisher noch kein Recht auf Stiftungen hatten, sind in einer
schwierigen rechtlichen Situation, da sie ohne eine bestehende Stiftung leider auch kein Recht
auf Eigentum haben. Dies ist mit zahlreichen praktischen Problemen verbunden, zum Beispiel
ist das Einrichten eines Bankkontos für diese Glaubensgemeinschaften nicht möglich. Auch sind
die Gemeindeleiter und Wohltätigkeitsorganisationen solcher Kirchen rechtlich nicht anerkannt.

Im Allgemeinen werden in der Türkei Stiftungen religiöser Minderheiten zwar anerkannt, nicht
aber die Kirchen, die hinter den Stiftungen stehen. Diese rechtliche Ungleichheit könnte vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten werden. Schlussendlich scheint nun
der Weg, auf dem religiöse Minderheiten zu ihren Rechten gelangen könnten, nicht mehr
unbedingt über Brüssel, das heisst über den erhofften EU-Beitritt zu führen, sondern über
Strassburg und den Gerichtshof für Menschenrechte.
Übersetzung: MB/AKREF