04.09.2007

Deutschland: Christen und Muslime - Was heißt gute Nachbarschaft?

Die beiden Kirchen in Deutschland haben in offiziellen Dokumenten zum Islam Stellung<br />bezogen. Ein kritischer Vergleich der Positionen zeigt Stärken und Schwächen.<br />Von Manfred Spieker

Deutschland: Christen und Muslime - Was heißt gute Nachbarschaft?

Die beiden Kirchen in Deutschland haben in offiziellen Dokumenten zum Islam Stellung
bezogen. Ein kritischer Vergleich der Positionen zeigt Stärken und Schwächen.
Von Manfred Spieker

Die beiden Kirchen in Deutschland haben sich – seit Anfang der Achtzigerjahre – mehrfach zum
Zusammenleben mit den Muslimen geäußert. Zuletzt veröffentlichte die Deutsche
Bischofskonferenz (DBK) im September 2003 eine „Arbeitshilfe“ zum Thema „Christen und
Muslime in Deutschland“ und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im November
2006 eine „Handreichung“ zum gleichen Thema mit dem Titel „Klarheit und gute
Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“.
Beide Texte wollen nicht nur über den Islam informieren, sondern auch Wege zu einer guten
Nachbarschaft ebnen. Der Text der DBK geht noch einen Schritt weiter. Er fragt auch nach den
Möglichkeiten eines gemeinsamen Zeugnisses für Gott in einer Welt, „die durch eine
zunehmende Marginalisierung von Religion geprägt ist“. Es sei eine Notwendigkeit, „sich
gemeinsam auf die Suche nach der je größeren Wahrheit zu machen“. Christen und Muslime
seien „Partner für das Wohl der Menschheitsfamilie“.
In konziliantem Ton beschreibt der DBK-Text ausführlich die Geschichte, die Spaltungen und
die Rechtsschulen des Islam, seine Organisationen in Deutschland, die Inhalte des Glaubens und
auch jene Aspekte in Religion und Kultur der Muslime, die die Integration in eine westliche
Gesellschaft und einen säkularen Staat erschweren oder gar blockieren. Hier wird der
konziliante Ton allerdings zur Falle. Wenn die Aspekte Scharia und Grundgesetz,
Religionsfreiheit, Stellung der Frau oder Dschihad erörtert werden, scheut der Text der DBK die
eigene Stellungnahme. Er referiert Meinungen und lässt offen, ob er sie als korrekt oder als
falsch betrachtet. Er will ganz offenkundig die gute Nachbarschaft nicht durch kritische Urteile
gefährden.
Der Text der EKD ist hier klarer. Er scheut die Konfrontation nicht. Er will nicht gute
Nachbarschaft auf Kosten der Klarheit. Es ist zwar von gemeinsamen Herausforderungen, aber
nicht vom gemeinsamen Glauben die Rede, und die Hoffnung auf die humanisierende Kraft des
Islam bleibt im Konjunktiv. Der Koordinierungsrat der Muslime hat die EKD dafür heftig
kritisiert. Er veröffentlichte eine eigene Stellungnahme zum Text der EKD, dessen Autoren er
vorwarf, damit das Vertrauen zu „zerrütten“.
Scharia und Grundgesetz.
Zentraler Prüfstein für das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen ist die
Anerkennung der säkularen Rechts- und Verfassungsordnung, mithin die Trennung von
Religion und Politik. Diese Trennung aber gibt es für den Islam nicht. Die Scharia, das
islamische Recht, kennt nur die Einheit von Glaubens- und Rechtsordnung. Sie regelt die
Beziehungen des Einzelnen zu Gott, zur Familie, zu Gesellschaft und Staat. Sie besteht aus den
im Koran, in den Sprüchen des Propheten und in der Überlieferung enthaltenen Regeln für das
religiöse und zivile Leben. Gott gilt als der einzige Gesetzgeber. Für einen souveränen irdischen
Gesetzgeber ist kein Platz. Der „Rat der Glaubenswächter“ steht über dem Parlament.
Während der Text der EKD das Konfliktpotenzial der Scharia im Strafrecht, Ehe- und
Familienrecht sowie in den Grundrechten deutlich zur Sprache bringt und die Unvereinbarkeit
von Scharia-Gerichten mit dem freiheitlichen Staat des Grundgesetzes betont, bleibt der Text
der DBK in einer unangemessenen Zweideutigkeit. Er stellt einerseits zwar fest, dass sich das
traditionelle islamische Staatsideal nicht mit demokratischen Grundsätzen verträgt. Er behauptet
aber andererseits, dass Muslime, die „unter Berufung auf die Religionsfreiheit auf dem
Rechtswege für die Durchsetzung schariarechtlich begründeter Forderungen streiten,... einen
Beitrag für die Integration des Islam in eine diesem bislang fremde Rechtsordnung leisten“.
Diese Behauptung ist nicht haltbar. Wenn die Scharia mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, ist
der Kampf um ihre Anerkennung ein Kampf gegen das Grundgesetz.
Eine unterschiedliche Bewertung erfährt in beiden Texten auch die „Islamische Charta“, die der
Zentralrat der Muslime in Deutschland am 20.Februar 2002 veröffentlichte. Darin anerkennen
die Muslime das Grundgesetz als lokale Rechtsordnung, an die sich zu halten das islamische
Recht „Muslime in der Diaspora“ verpflichte. Während der Text der DBK dies als „wichtigen
Fortschritt“ im Sinne der Anerkennung des säkularen Rechtsstaates bewertet, ist der Text der
EKD viel zurückhaltender: „Diese Charta enthält zwar ein grundsätzlich positives Bekenntnis
zur Demokratie des Grundgesetzes, weist aber eine Reihe von Einschränkungen und
Unklarheiten auf, sodass die Grundfrage des Verhältnisses von islamischen und säkularen
Ordnungsvorstellungen weder theologisch noch politisch befriedigend beantwortet wurde.“
Diese Zurückhaltung wird der Relativierung des Grundgesetzes als „lokaler“ Rechtsordnung für
Muslime eher gerecht als der Text der DBK.
Rechtsstellung des Islam in Deutschland.
Kirchen und andere Religionsgemeinschaften haben in Deutschland den Rechtsstatus einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dieser Status ermöglicht es den Kirchen, ihre eigenen
Angelegenheiten autonom zu regeln und doch zugleich Partner des freiheitlichen Staates zu
sein. Die Verleihung dieses Körperschaftsstatus ist an mehrere Voraussetzungen gebunden: eine
Struktur mit autorisierten Vertretern und eindeutigen Mitgliedschaften, die Anerkennung der
Verfassung, allgemeine Rechtstreue sowie aktives Engagement für das Gemeinwohl.
Mehrere islamische Vereinigungen streben nach diesem Rechtsstatus und beklagen, dass er
ihnen bisher nicht gewährt wurde. Die Texte beider Kirchen erörtern dieses Begehren
ausführlich und mit dem gleichen Ergebnis, dass nämlich die Voraussetzungen für die
Verleihung des Körperschaftsstatus nicht gegeben seien. Auch wenn es, wie der Text der EKD
feststellt, „nicht im Interesse der Kirche“ liege, „dass Muslimen und anderen
Religionsgemeinschaften dieser Status versagt wird“, so sehen doch beide Kirchen keine
Möglichkeit, dass islamische Vereinigungen als Träger von Körperschaftsrechten in ein
Kooperationsverhältnis zum säkularen Staat mit gegenseitigen Rechten und Pflichten treten.
Menschenrechte.
Die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller
Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen bildet, so die Präambel der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.Dezember 1948, „die Grundlage von
Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Das Grundgesetz übernahm diese
Proklamation nahezu wortgleich in Artikel1.
Inzwischen gibt es auch eine Reihe islamischer Menschenrechtserklärungen. Alle Erklärungen
relativieren die Menschenrechte jedoch durch die Überordnung der Scharia nicht nur in
einzelnen Menschenrechten wie dem Recht auf Leben, dem Recht auf Gedanken-, Glaubensund
Redefreiheit, dem Recht auf religiöse Freiheit, dem Recht auf Gründung einer Familie und
auf Aufenthaltsfreiheit, sondern auch durch Generalklauseln, wie sie die Kairoer Erklärung über
Menschenrechte im Islam von 1990 in den Artikeln 24 und 25 enthält: „Alle in dieser Erklärung
aufgestellten Rechte und Freiheiten unterliegen der islamischen Scharia“ (Artikel 24) und „Die
islamische Scharia ist der einzige Bezugspunkt für die Erklärung oder Erläuterung eines jeden
Artikels in dieser Erklärung“ (Artikel 25). Da die Scharia weder ein Recht auf Religions- und
Meinungsfreiheit noch auf Gleichheit unabhängig vom Geschlecht, noch auf körperliche
Unversehrtheit kennt und für den Abfall vom Islam die Todesstrafe vorsieht, machen derartige
Einschränkungen islamische Menschenrechtserklärungen wertlos.
Die Texte der beiden Kirchen reagieren darauf sehr verschieden. Während die EKD mit der
gebotenen Klarheit auf die Einschränkungen hinweist, gibt der Text der DBK der Freude seiner
Autoren Ausdruck, dass der Begriff der Menschenrechte „allmählich auch unter Muslimen eine
Schlüsselstellung einzunehmen beginnt“. Gewiss enthält dieser Text auch Vorbehalte. So
stellten die ständigen Verweise auf die Scharia ein „Hindernis“ dar. Aber die Vorbehalte werden
relativiert. Man müsse anerkennen, „dass wir es bei diesen Erklärungen mit wesentlichen
Werten zu tun haben“. Der Text der EKD hingegen unterstreicht, dass „die Höherordnung des
religiösen Gesetzes“, der Scharia, bedeute, „dass von der Offenbarung des Islam unabhängige
– säkular begründete – oder sogar zu ihr im Widerspruch stehende Menschenrechte nicht
gewährt werden“.
Leugnung der Religionsfreiheit.
Dass der Islam das Recht auf Religionsfreiheit nicht kennt, ist keine Behauptung böswilliger
Kritiker, sondern theoretisch wie praktisch belegtes Faktum. Die vielzitierte Sure 2,256 („Kein
Zwang in der Religion“) bezieht sich allein auf die Rechte von Nichtmuslimen, genauer von
Juden und Christen in islamischen Herrschaftsgebieten. Deren Religionsausübung wird geduldet
– wenn auch nur in privatem beziehungsweise kirchlichem Rahmen und mit eingeschränkten
bürgerlichen Rechten. Auf die Missionierung der Muslime und auf Abfall vom Islam aber steht
die Todesstrafe. Eine willentliche Abkehr vom Islam ist nach der Scharia „kein privater
Religionswechsel, sondern ein politischer Akt des Staats- oder Hochverrats“, so der Text der
EKD, der auch darauf hinweist, dass sich der Koran selbst „nur recht allgemein“ über den
Abfall vom Islam äußert, dass aber die Überlieferung, die sich auf Aussprüche Mohammeds
stützt, wesentlich schärfer formuliert: „Wer seine Religion wechselt, den tötet.“
Die Texte der EKD und der DBK sind sich, wenn es um die Religionsfreiheit geht, in drei
Punkten einig: dass die Scharia dieses Recht nicht kennt, dass Christen und andere
Nichtmuslime in keinem islamischen Land volle Religionsfreiheit genießen und dass Muslime
in Deutschland die Religionsfreiheit nicht für die Verbreitung von Überzeugungen in Anspruch
nehmen können, „die die Legitimität des säkularen Staates mit religiösen Begründungen
verneinen oder nur eingeschränkt gelten lassen“.
In zwei Punkten unterscheiden sich die Texte jedoch: in der Betonung des Missionsauftrages
und in der Relativierung der Kritik an der fehlenden Religionsfreiheit im Islam. Dass zum
christlichen Glauben auch die Pflicht zur Mission gehört, wird nur im Text der EKD
unterstrichen. Die Kritik an der fehlenden Religionsfreiheit im Islam wird im Text der DBK
relativiert durch die Feststellung, dass die Anerkennung der Religionsfreiheit „auch in der
Christenheit eine historisch noch junge Erscheinung ist und zeitweilig gegen den Widerstand
der großen Kirchen erkämpft werden musste“. Diese Sicht übersieht, dass es in der Frage der
Religionsfreiheit zunächst um die Position der Religion selbst, nicht um das Versagen ihrer
Anhänger geht. Von Christus sind keine Aussagen überliefert, die zu töten, die von ihm abfallen
oder ihm erst gar nicht folgen.
Diskriminierung der Frau.
Dass auch das Grundrecht auf gleiche Rechtsstellung unabhängig vom Geschlecht für den Islam
keine Geltung hat, ist ebenfalls theoretisch wie praktisch belegtes Faktum. Die Frau wird
vielfach diskriminiert in der Zulassung der Polygamie, im islamischen Ehe-, Familien-,
Scheidungs- und Sorgerecht, im Erb- und Prozessrecht. Die meisten dieser Diskriminierungen
sind bereits im Koran verankert, die Polygamie in Sure 4,3; die Benachteiligung im Erbrecht in
Sure 4,11; im Prozessrecht in Sure 2,282 und im Eherecht in Sure 4,34, die den Mann nicht nur
als der Frau überlegen bezeichnet, sondern ihm auch ein Züchtigungsrecht einräumt. Die Texte
beider Kirchen lassen an der Diskriminierung der Frau im Islam keinen Zweifel. Sie nennen
auch die einschlägigen Suren, die diese Diskriminierung begründen. Es scheint den Autoren des
DBK-Textes aber peinlich zu sein, sich auf die anstößigen Stellen des Korans oder der Scharia
einzulassen. So überrascht es nicht, dass sie nach der Aufzählung einer Reihe von
Diskriminierungen der Frau plötzlich feststellen, diese hätten mit dem Koran nichts zu tun,
seien vielmehr eine Folge der „rund um das Mittelmeer verbreiteten gesellschaftlichen
Konventionen älteren Ursprungs“ beziehungsweise des „dort bereits bestehenden
Patriarchalismus“ und im Übrigen auch in Kultur und Theologie der vom Christentum
geprägten Völker, insbesondere in den Paulusbriefen an die Epheser und die Korinther, zu
finden. Diese Relativierung der Kritik wird der Scharia so wenig gerecht wie die Suggestion, bei
den Christen sei es auch nicht besser. Demgegenüber kommt der Text der EKD der Wahrheit
doch viel näher, wenn er feststellt, „dass nicht alle Benachteiligungen von Frauen in Ländern
mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ursächlich dem Islam zuzurechnen sind“, aber
zugleich festhält, dass „die Scharia-Gesetzgebung zum Ehe- und Familienrecht tatsächlich ein
Rechtsgefälle mit sich bringt, das den Mann deutlich bevorzugt und die Frau diskriminiert“.
Dschihad.
Der 11.September 2001 und die folgenden Attentate in europäischen, afrikanischen und
asiatischen Ländern haben das Thema Islam und Gewalt zum Dauerbrenner gemacht. Die
Papiere der DBK und der EKD widmen sich ihm ausführlich. Auch wenn der Text der DBK mit
Recht erklärt, dass der Dschihad keine sechste Säule des Islam ist und als „großer Dschihad“
zunächst einmal „der Kampf jedes Gläubigen gegen die niedrigen Regungen der eigenen Seele“
ist, und der Text der EKD darauf hinweist, dass der Koran „häufig von der Güte und
Barmherzigkeit Gottes spricht“ und eine Reihe von „Gewalt begrenzenden“ Suren enthält, so
lassen beide Texte doch keinen Zweifel daran, dass der Koran – in Sure 9,5 und 9,29 – dazu
aufruft, „die Ungläubigen aktiv zu bekämpfen und, falls sie sich nicht ergeben und Muslime
werden, zu töten“, und dass „Gewalt legitimierende Aussagen (wie Sure 2,190-194; 4,76; 4,89;
9,5; 9,14-15 und andere) sehr viel häufiger vorkommen“.
Der Text der DBK relativiert allerdings die Pflicht zum Dschihad gegen die Ungläubigen – den
sogenannten kleinen Dschihad – als Teil eines „vormodernen islamischen Staatsverständnisses“,
von dem sich die Muslime heute „weitgehend gelöst“ hätten. Außerdem sei er „keine
individuelle Pflicht eines jeden Muslim. Es genügt, wenn die Staatsführung dafür Sorge trägt,
dass er weitergeht.“ Die meisten muslimischen Autoren der Gegenwart würden „nur noch den
defensiven Charakter des Dschihad für erlaubt erklären“. Daran knüpft der Text der DBK die
kritische Frage, „wie eigentlich der Verteidigungsfall genau definiert wird. Man trifft auf sehr
weite Fassungen der legitimen Anlässe zur militärischen Verteidigung.“ Auch die Aufforderung
an die Muslime, die behaupten, der Islam sei eine friedfertige Religion, sie müssten sich und
anderen Rechenschaft darüber geben, „warum sie so denken, obwohl manche Koranverse eine
andere Sprache sprechen“, verrät Distanz.
Die muslimischen Selbstmordattentäter werden in beiden Texten mit Recht mit dem Koran in
Verbindung gebracht, verheißt er doch in Sure 3,169; 2,14 und 22,58 den im Dschihad
Gefallenen, „nach islamischer Terminologie Märtyrer“, den unmittelbaren Zugang zum
Paradies. Weder der Text der EKD noch der der DBK weist allerdings auf Sure 4,95 hin, die die
wohl stärkste Motivation für Selbstmordattentäter enthält, weil sie denen, die im Kampf für
Allah sterben, nicht nur den unmittelbaren Zutritt zum Paradies einräumt, sondern dort auch
noch den Vorzug vor denen, die „daheim sitzen“. Der Neigung zur Relativierung jeder
kritischen Anfrage kann sich der Text der DBK auch bei den Selbstmordattentätern nicht ganz
enthalten. Deren Hass gehe „wohl mindestens ebenso sehr auf politische und soziale Ursachen
zurück wie auf religiöse“. Soziale Missstände, Repression und Korruption seien an der
sektiererischen Mentalität dieser Gruppen ebenso schuld wie „bis heute spürbare
Folgewirkungen europäischer Kolonialherrschaft“ und eine „die westlichen Industrienationen
begünstigende Weltwirtschaftsordnung“.
Christen und Muslime.
Die Kritik am Islam, die der Text der EKD enthält, hat den Dialog zwischen Christen und
Muslimen nicht erleichtert. Dennoch war diese Kritik notwendig. Klarheit in der
Problembeschreibung ist eine Voraussetzung für die Lösung des Problems. Klarheit im Sehen
ist eine Bedingung gerechten Handelns sowie eines Dialogs, der zu einer guten Nachbarschaft
führen will. In der Beschreibung der Probleme ist der Text der EKD hilfreicher als jener der
DBK, der viele Probleme, sobald er sie benannt hat, schon wieder relativiert. Die
Unterscheidung zwischen dem Irrtum und den Irrenden, die Papst Johannes XXIII. Anfang der
Sechzigerjahre seinem Dialog mit Vertretern kommunistischer Länder zugrunde legte, hätte den
Autoren des DBK-Textes Leitfaden sein können.
Der Dialog ist notwendig. Er umfasst verschiedene Ebenen, zunächst die Ebene des Alltags, das
heißt das Zusammenleben in der Gesellschaft, im Betrieb, in Schulen und Krankenhäusern, dann
die politische und globale Ebene der gemeinsamen Verantwortung für Frieden und
Gemeinwohl, schließlich die Ebene der theologischen Experten und des Austausches geistlicher
Erfahrungen. Auf allen Ebenen wird der Dialog erleichtert, wenn er einem Rat im Text der
Deutschen Bischofskonferenz folgt, der Christen und Muslime auffordert, sich bewusst zu
machen, dass „ein wesentliches drittes Element, das die Begegnung mitbestimmt und prägt,
neben den beiden Glaubensüberzeugungen immer auch der religionsneutrale Rechtsstaat
beziehungsweise die säkular strukturierte Gesellschaft“ ist, und dass „nicht die
Religionszugehörigkeit, sondern die säkular begründete Rechtsordnung... den Rechtsstatus des
Menschen (definiert)“.
Diesen Rat zu befolgen fordert gewiss von den Muslimen mehr als von den Christen, die seit
zwei Jahrhunderten durch die harte Schule der Säkularisierung gegangen sind. Diese säkular
begründete Rechtsordnung ist die „Grundlage sowohl der eigenen Religionsfreiheit als auch des
gleichberechtigten Zusammenlebens verschiedener Religionen“. Sie ist und bleibt die
Bedingung guter Nachbarschaft.
* Manfred Spieker ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität
Osnabrück.
APD/Quelle: Rheinischer Merkur, Verlag Rheinischer Merkur GmbH, Heinrich-Brüning-Str. 9,
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