19.02.2008

Großbritannien: Erzbischof bedauert Missverständnisse beim Scharia-Vorstoß

Das Anglikaner-Oberhaupt, der Erzbischof von Canterbury<br />Rowan Williams, bleibt bei Forderung nach religiösen Ausnahmeregelungen

Großbritannien: Erzbischof bedauert Missverständnisse beim Scharia-Vorstoß

Das Anglikaner-Oberhaupt, der Erzbischof von Canterbury
Rowan Williams, bleibt bei Forderung nach religiösen Ausnahmeregelungen

 

L o n d o n (idea) - 12.02.08 – Gegen heftige Angriffe wegen seines Vorstoßes zur
Berücksichtigung des islamischen Religionsgesetzes, der Scharia, im britischen Rechtssystem
hat sich das Oberhaupt der Anglikaner, der Erzbischof von Canterbury Rowan Williams
(London), zur Wehr gesetzt.
In einer Rede vor der Generalsynode der Kirche von England am 11. Februar in London
bedauerte der 57-jährige Waliser Missverständnisse und Verwirrungen, die bei der
Berichterstattung über seinen Vortrag vor Juristen und ein BBC-Interview vom 7. Februar
entstanden seien. Gleichzeitig hob Williams sein Recht und seine Pflicht hervor, sich zum
Thema Religion und Recht zu äußern. Auch nahm er nichts vom Inhalt seiner Äußerungen
zurück. Er hatte sich dafür ausgesprochen, die Scharia in Teilen des Zivilrechts anzuerkennen.
Das halte er angesichts der in Großbritannien lebenden 1,6 Millionen Muslime für
„unvermeidbar“. Als ein Beispiel nannte er das Familienrecht. Ausgeschlossen sind für ihn
jedoch extreme strafrechtliche Anwendungen, etwa Händeabhacken für Diebstahl, Steinigung
für Ehebruch oder die Todesstrafe wegen des Religionswechsels von Muslimen.
Plädoyer für religiöse Ausnahmeregeln
Wie Williams vor dem Kirchenparlament erläuterte, rede er auch nicht parallelen
Rechtssystemen das Wort. Es gebe aber bereits eine juristische Anerkennung bestimmter
islamischer Verfahren im Finanzwesen, etwa bei der Vergabe von Hypotheken. Generell
müssten mehr Ausnahmen aus religiösen Gründen möglich sein, um der Säkularisierung zu
wehren. Wie die Zeitung The Times im Internet berichtet, sei Williams für diese Anmerkung
von der Nationalen Säkularen Gesellschaft gerügt worden. Es gebe bereits zu viele Ausnahmen
vom Anti-Diskriminierungsgesetz, etwa wenn sich christliche und muslimische Apotheker
weigerten, verschriebene Verhütungsmittel auszuhändigen.

Williams muss Kirchenspaltung abwenden
Als Rückendeckung erhielt Williams von den knapp 500 Kirchenparlamentariern
demonstrativen Beifall. Er sieht sich mit den heftigsten Angriffen einer fünfeinhalbjährigen
Amtszeit konfrontiert. Sie reichen von Rücktrittsforderungen bis zur Distanzierung seines
Vorgängers im Amt, Lord Carey. Nach dessen Ansicht wäre die Anerkennung muslimischer
Gesetzesvorschriften innerhalb des britischen Rechtswesens „katastrophal“ für das Land.
Williams steht ferner vor der großen Aufgabe, bei der alle zehn Jahre stattfindenden
Weltbischofskonferenz im Sommer eine Spaltung der rund 70 Millionen Kirchenmitglieder
zählenden anglikanischen Weltgemeinschaft wegen des umstrittenen Umgangs mit
Homosexualität abzuwenden.