03.07.2008

Türkei: Der Kirchenvater bewahrt Hoffnung

Patriarch Bartholomaios, das Ehrenoberhaupt der östlichen Christen, wartet am Bosporus vergeblich auf Anerkennung. Deutsche Kirchenführer gehen auf Solidaritätsbesuch

Türkei: Der Kirchenvater bewahrt Hoffnung

Patriarch Bartholomaios, das Ehrenoberhaupt der östlichen Christen, wartet am Bosporus vergeblich auf Anerkennung. Deutsche Kirchenführer gehen auf Solidaritätsbesuch

Von Anja Kordik, Istanbul

Die mehrspurige Uferstraße am Goldenen Horn, der Bosporus-Bucht in Istanbul, führt Richtung Südosten bis zum Ortsteil Fener. Noch heute verbreitet er den Charme der alten Metropole: verwinkelte kopfsteingepflasterte Gassen, kleine Obst- und Gemüseläden. Bis vor hundert Jahren war das Viertel nur von Griechen bewohnt. Und seit 1601 befindet sich hier der Phanar, der Sitz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, des Ehrenprimas der 300 Millionen östlich-orthodoxen Christen in der Welt. Bartholomaios I., der den Patriarchenthron seit 1991 innehat, feiert Geburtstag. Die zum Phanar gehörende Kirche Hagios Gregorios ist an diesem Vormittag bis in den letzten Winkel gefüllt. Drei Stunden dauert die tausend Jahre alte Göttliche Liturgie, die sich hier in Konstantinopel entwickelt hat und wohl wegen ihrer Länge nur noch an zehn Feiertagen im Jahr verwendet wird.

Alle Sinne werden bei diesem Gottesdienst nach byzantinischem Ritus beansprucht. Die von Lüstern hell erleuchtete Kirche, die goldschimmernde Ikonostase, die mit heiligen Bildern behängte Vorderwand, hinter die nur Priester treten dürfen; der Patriarch in seinem purpurfarbenen Gewand auf dem von einem Baldachin überwölbten Stuhl; die schier endlosen Wechselgesänge zweier Chöre, der betörende Duft von Weihrauch und Kerzenwachs. Immer wieder während des Gottesdienstes gehen Menschen leise durch die seitlichen Gänge, zünden vor den Ikonen Kerzen an und beten. Ganz still für sich, in einer Ecke, steht ein junger Mann, die Augen geschlossen, die Hände im Gebet offen ausgestreckt.

Nach der Liturgie formiert sich im Mittelgang der Kirche eine lange Prozession von Gratulanten. Die Gläubigen verneigen sich vor ihrem Patriarchen. Er hebt die rechte Hand und zeichnet jedem ein Kreuzzeichen auf die Stirn, verteilt an alle das Antidoron, gesegnetes, aber nicht konsekriertes Brot, und blickt jedem Einzelnen aufmerksam in die Augen. Draußen, im sonnenbeschienenen Innenhof, begrüßen und umarmen sich Besucher und haben einander viel zu erzählen. Kinder wuseln zwischen den Beinen der Erwachsenen. Eine lebendige Gemeinde.

Aber die griechisch-orthodoxe Kirche Istanbuls kämpft um ihr Überleben. Nur etwa 3000 griechisch-orthodoxe Christen leben heute noch in der 15-Millionen-Metropole. 1923, im Gründungsjahr der türkischen Republik, war von den knapp eine Million Einwohner der Stadt am Bosporus mehr als ein Viertel griechisch-orthodox. Es gab armenisch, arabisch und aramäisch sprechende Christen und Juden. Etwa die Hälfte der Bevölkerung der ehemaligen Hauptstadt des Osmanischen Reiches waren nicht-muslimische Gruppen. Istanbul war eine im wahrsten Sinne „ökumenische“ Stadt.

Mit Gründung der Republik begann der Druck auf die nicht-türkischen Minderheiten. Die neue kemalistische Führungselite war laizistisch ausgerichtet und zudem nationalistisch, wandte sich also gegen alle „Fremden“. So kam es insbesondere nach 1955 – nach den schweren Ausschreitungen gegen griechisch-orthodoxe und armenische Christen infolge des Zypern-Konflikts – zu einem regelrechten Exodus der christlichen Bevölkerung, vor allem nach Griechenland.

Von den wenigen verbliebenen griechisch- orthodoxen Gläubigen Istanbuls sind heute rund 60 Prozent über 50 Jahre alt. Zwar gibt es kirchliche Schulen und Kulturvereine. Aber es fehlt der Nachwuchs für das kirchliche und soziale Leben. „Es ist ein fast übermenschlicher Kampf, um unsere uralte Kultur und Kirche in dieser Stadt vor dem Aussterben zu bewahren“, sagt Vater Dositheos Ananostopoulos, Gemeindepfarrer und Sprecher des Patriarchen. Vor fünf Jahren erst wurde der heute 68-jährige Naturwissenschaftler zum Priester geweiht, nachdem er zuvor zwei Jahre bei einem Pfarrer „in die Lehre“ gegangen war.

Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Denn die Behörden haben das Priesterseminar auf der Insel Chalki, vor der Küste Istanbuls, 1971 geschlossen, weil nur noch staatliche Hochschulen anerkannt wurden und für die orthodoxe Kirche die Bedingungen für einen Umzug an eine Fakultät unannehmbar waren. Zwar gibt es Gespräche über Chalki mit der islamisch-konservativen AKP-Regierung, die mehr Verständnis für die Anliegen der christlichen Minderheiten zu entwickeln schien als ihre Vorgängerregierungen. Doch Ergebnisse sind nicht in Sicht. „Das Fehlen einer theologischen Ausbildungsstätte ist unsere größte Sorge“, erklärt Vater Dositheos.

Ein weiteres Problem für alle Christen in der Türkei: Die Kirchen haben keine Anerkennung als Rechtsperson. Sie existieren zwar de facto, aber nicht juristisch. Das ist ein großes Hindernis, wenn es etwa um die Rückgabe beschlagnahmter kirchlicher Immobilien geht. Für die Behörden existiert kein Empfänger. Der aus Deutschland entsandte evangelische Pfarrer in Ankara kann nur mit einem Diplomatenpass arbeiten. Keine türkische Gemeinde kann ihn anstellen.

Rund 300 Millionen orthodoxe Christen in aller Welt respektieren Bartholomaios als Nachfolger des Apostels Andreas und damit als ihr geistliches Oberhaupt. Er ist hoch gebildet und vielsprachig, ökumenisch aufgeschlossen, engagiert für den interreligiösen Dialog. Der Patriarch hat es jedoch schwer, seine Position als ökumenisches Oberhaupt der Orthodoxie zu behaupten. Die türkischen Behörden akzeptieren ihn lediglich als Oberhaupt der wenigen im Land verbliebenen orthodoxen Christen. Nationalisten schüren den Verdacht, das Patriarchat solle zu einer Art orthodoxem Vatikanstaat innerhalb der Türkei erweitert werden. Die rechtsgerichtete Organisation „Graue Wölfe“ hat schon vor zwei Jahren die Vertreibung des Patriarchen angedroht und dazu rund 2,5 Millionen Unterschriften gesammelt. Es gibt deshalb Stimmen, die eine Verlegung des Ökumenischen Patriarchats nach Thessaloniki befürworten. Das wäre ein schwerer Schlag für alle Christen in der Türkei.

Aber es gibt auch Hoffnung: Ein wichtiger Schritt zur Neubelebung der griechischen Gemeinde Istanbuls war im Sommer 2006 der erste Kongress griechisch-orthodoxer Christen. Dazu wurden griechische Familien, die die Stadt verlassen hatten, nach Istanbul eingeladen. Etwa 2000 Menschen kamen – aus Griechenland, Deutschland, Frankreich. Ein Ergebnis dieses Kongresses und der anschließenden Gespräche mit der Regierung: Erstmals seit 18 Jahren konnten wieder kirchliche Gemeindewahlen stattfinden. Und, so der Pfarrer, es sei festzustellen, dass sich zunehmend mehr junge Menschen in der Kirche engagieren. „Das ist für uns eine der ersten Früchte dieses Kongresses.“ Die Nachricht am 18. Juni, dass der Patriarch den Klaus-Hemmerle-Preis 2008 erhält, löste in der griechischen Gemeinde große Freude aus. Mit dem von der Fokolarbewegung gestifteten Preis werden alle zwei Jahre Persönlichkeiten geehrt, die im Sinne des verstorbenen Aachener Bischofs Klaus Hemmerle Brücken zwischen Kirchen, Religionen und Weltanschauungen bauen. „Bischof Hemmerle war mein Freund und Bruder“, so die erste spontane Reaktion des Patriarchen.

Eine 80-köpfige Delegation aus Deutschland zeigt jetzt Präsenz und Unterstützung. Sie ist zur Preisverleihung angereist, darunter der Mainzer Bischof, Karl Kardinal Lehmann, als Laudator, sowie die Bischöfe Heinrich Mussinghoff aus Aachen und Reinhard Lettmann aus Münster, der griechisch-orthodoxe Metropolit Augoustinos aus Bonn sowie der vormalige Präsident des Lutherischen Weltbundes und Preisträger von 2006, der frühere braunschweigische Bischof Christian Krause. ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer, ebenfalls Gast bei der Preisverleihung, erinnert an die historische Tradition des Ökumenischen Patriarchats, die weit in byzantinische Zeit zurückreiche: „Diese aus der Geschichte erwachsene Stellung des Ökumenischen Patriarchen an diesem Ort – dem Schnittpunkt zwischen Ost und West – bietet eine Chance für das Land, wenn es in die europäische Gemeinschaft strebt.“

Dass die türkische Regierung die Stellung des Patriarchen bisher nicht anerkenne, so der ZdK-Präsident, müsse jeden Christen berühren. „Aber auch jeden Europäer, denn die christliche Tradition ist Teil der europäischen Identität.“

Kardinal Lehmann betont, Bartholomaios I. habe schon vor seiner Wahl zum Patriarchen über außerordentliche ökumenische Erfahrungen verfügt – unter anderem durch seine Studien in Rom und München. Diese Erfahrungen habe er dann konsequent erweitert durch eine Ökumene in umfassendem Sinne, die den Dialog mit Juden und Muslimen einschließe. Die Beschränkungen, die der Patriarch in der Türkei hinnehmen müsse, hätten die Anerkennung und Zustimmung für ihn sogar verstärkt, erklärt der Kardinal. „Einerseits vertritt Patriarch Bartholomaios konsequent die Rechte der Christen; aber er sucht den Dialog auch mit der muslimischen Seite – das hat zu seinem Ansehen beigetragen. Insofern sieht man, dass sich durch äußere Macht und Beschränkung allein die Bedeutung eines so wichtigen geistlichen Führers nicht verringern lässt.“

Quelle und © Rheinischer Merkur, D-53113 Bonn/Deutschland, Ausgabe Nr. 27, 03.07.2008

Recherche/Zusammenstellung: APD Schweiz.