07.05.2008

Russland: Wenn der Geheimdienst Methodisten besucht

Protestanten immer mehr unter Druck von Staat und orthodoxer Kirche

Russland: Wenn der Geheimdienst Methodisten besucht

Protestanten immer mehr unter Druck von Staat und orthodoxer Kirche

S t a r y i O s k o l (idea) – Protestantische Gemeinden in Russland geraten immer mehr unter Druck seitens des Staates und der Russisch-Orthodoxen Kirche. Sie werden als „totalitäre Sekten“ bezeichnet und behandelt. Das zeigen Berichte aus Sibirien und Südrussland. So hätten Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB vor kurzem eine evangelisch-methodistische Versammlung in Staryi Oskol aufgesucht, einer Stadt mit 220.000 Einwohnern knapp 500 Kilometer südlich von Moskau. Ein Geheimdienstoffizier habe bei der Aktion gesagt, der Protestantismus in Russland komme „vielleicht bald an sein Ende“, berichtete Pastor Wladimir Pachomow. Seine Gemeinde hat etwa 40 Mitglieder und benutzt eine Privatwohnung als Gottesdienstraum. Nach dem ungebetenen Geheimdienstbesuch sei seiner Gruppe die staatliche Anerkennung als religiöse Vereinigung entzogen worden. Als Grund hätten die Behörden angegeben, die Gemeinde habe als „Fassade“ für geschäftliche Aktivitäten gedient. Ihre Ziele seien „weder heilig noch seriös“, so Juri Romaschin, ein Beamter der Stadtverwaltung. Inoffiziell, fügte Pastor Pachomow hinzu, seien andere Vorbehalte geltend gemacht worden. So hätten ihm die Behörden zu verstehen gegeben, seine Gruppe sei amerikanisch geprägt und wirke in der Stadt als Fremdkörper. Von ihr sei nichts Gutes zu erwarten.

Probleme auch für Adventisten und Baptisten

Um die haltlosen Vorwürfe zurückzuweisen und die drohende Schließung zu verhindern, habe man den Rechtsweg beschritten, aber ohne Erfolg, so der Geistliche. Weitere Gewährsleute berichteten in der südrussischen Stadt, die Polizei habe eine Veranstaltung der Sieben-Tags-Adventisten gesprengt. Den Evangeliumschristen-Baptisten sei die Nutzung eines bereits angemieteten Theatersaals wieder verwehrt worden. Die Gesamtzahl der Protestanten in Staryi Oskol wird auf 2.000 geschätzt.

 Protestanten „zerreißen das Gewand Christi“

In dem Konfessionsstreit in Staryi Oskol meldete sich auch die Russisch-Orthodoxe Kirche zu Wort. „Protestanten zerreißen das Gewand Christi wie Banditen“, sagte der leitende Priester der Stadt, Pater Alexej Zorin, in einer Predigt, die das lokale Fernsehen im April mehrfach ausstrahlte. Er verglich Zeugen Jehovas, Baptisten, Evangelische und Pfingstler mit den römischen Soldaten, die Christus kreuzigten. Man müsse bedenken, dass die meisten protestantischen Gemeinden „durch westliches Geld“ entstanden seien, ergänzte Erzbischof Joann, der ranghöchste orthodoxe Würdenträger der südrussischen Region. „Natürlich müssen sie deshalb die Rolle der Verfolgten spielen, die einen Beschützer brauchen.“ Das russische Volk sei tief im orthodoxen Glauben verwurzelt, und diese Bindung an die Kirche sollte der Staat nach Kräften fördern, so der Erzbischof.

Keine bedeutende Kraft schützt Religionsfreiheit

Zwar würden alle Religionen und Konfessionen von der Verfassung gleich behandelt, doch die orthodoxe Kirche sei nun einmal „am populärsten“, betonte Dimitri Peskow, ein Sprecher der gesamtrussischen Präsidialverwaltung im Moskauer Kreml. Angesichts dieser Verhältnisse gebe es in Russland derzeit „keine politische Kraft von Bedeutung, die die Prinzipien der Religionsfreiheit wirklich schützt“, räumte Michail Odintsow ein. Er ist Mitarbeiter im Stab einer von Präsident Wladimir Putin eingesetzten Menschenrechtskommission. Von den 142 Millionen Einwohnern der Russischen Föderation bekennen sich laut einer kürzlich vorgenommenen repräsentativen Umfrage 71 Prozent zum orthodoxen Glauben, das entspricht  knapp 101 Millionen Menschen. 2003 hatten sich lediglich 59 Prozent zum orthodoxen Glauben bekannt. Die Zahl der russischen Protestanten (Baptisten, Pfingstler, Charismatiker, Lutheraner, Methodisten, Adventisten) wird von der Russischen Evangelischen Allianz auf knapp eine Million geschätzt.