30.11.2008

Indien: Hindu-Extremisten verfolgen Christen

von Reinhold Wagner/CMD, Nov. 2008

Indien: Hindu-Extremisten verfolgen Christen

von Reinhold Wagner/CMD, Nov. 2008

Entwicklungen

Indien ist doch sonst so tolerant! Wie kann es sein, dass Christen seit August 2008 vor allem in den Bundesstaaten Orissa im nordöstlichen Indien und Karnataka im Süden verfolgt werden? Um das zu verstehen, müssen wir einigen Entwicklungen aus früherer Zeit nachgehen.

Indien hat sich am 15. August 1947 vom Kolonialismus befreit. In der Zeit der politischen Spannungen und Aktionen gegen die Kolonialmacht England bis zur Unabhängigkeit verstand es Mahatma Gandhi, den politischen Kampf mit ethischen Werten zu führen, ohne Menschen anderer religiöser Prägung anzugreifen. Er appellierte vielmehr an das Friedenspotential, das er in den Religionen Indiens erkannte. Gandhi schaffte es, den Befreiungskampf so zu führen, dass die Fanatiker mit terroristischer Gewaltbereitschaft sich nicht durchsetzen konnten. Aber er bezahlte dafür mit seinem Leben. Er wurde am 30. Januar 1948 von einem Hindu-Fanatiker erschossen.

Die Engländer als Kolonialmacht haben den Indern ein schwieriges Erbe hinterlassen und damit die heutige Problematik eingeleitet: Es war die Einführung eines Wahlrechts, das je nach Religionszugehörigkeit aufgeteilt war. Bei politischen Entscheidungen durfte ein Muslim nur einem Muslim, ein Hindu nur einem Hindu seine Stimme geben. Damit wurde jede politische Sachfrage zur religiösen Machtfrage. Der indische Nationalismus geht zurück auf den Freiheitskampf gegen den britischen Kolonialismus am Anfang des letzten Jahrhunderts. Der revolutionäre Denker Vinayak Savarkar schrieb 1922 aus langjähriger Haft das Buch: „Hindutva. Who is a Hindu?" (Wesen des Hinduismus. Wer ist ein Hindu?). Darin findet sich die Grundlage einer Hindu-Ideologie. Der Gründer der RSS im Jahr 1925 (Rashtriya Swayam Sevak Sangh, Nationale freiwillige Dienstgemeinschaft). war Kesav Baliram Hedgewar. Sein Mitarbeiter, Madhav Sadashiv Gowalkar, entwickelte die Gedankengänge von Savarkar weiter und schrieb 1939 das Buch: „We Or Our Nationhood Defined" (Wir oder was uns in unserer Existenz als Nation definiert). Hedgewar bestimmte Gowalkar zu seinem Nachfolger, der die Führung der RSS 1940 übernahm und bis zu seinem Tod 1973 auch behielt. Savarkar reichte der Name „Hindu" als Religionsbezeichnung nicht. Er suchte nach einem umfassenderen Begriff, den er in der Bezeichnung „Hindutva" (Hindutum) fand.

Drei Bestandteile von Hindutva sind für ihn wichtig: Indien gilt als Mutterland aller Hindus. Hier sind die Religionen entstanden, in denen Menschen die Offenbarung der Wahrheit in den Hindu-Schriften fanden. Deshalb ist Indien auch heiliges Land. Der zweite Bestandteil von Hindutva ist das Geborensein von Hindu-Eltern. Der dritte wird erfüllt in der Teilhabe an der gemeinsamen Hindu-Kultur.

Savarkar war Vorsitzender der Hindu Mahasabha (Großes Hindu-Konzil, 1937-42) und konnte so seine Sichtweise unter das Volk bringen. Gowalkar ist der Ideologe des Hindu- Nationalismus und der RSS. Nach ihm gibt es fünf wesentliche Merkmale für eine Nation: das Land, Rasse, Religion Kultur und Sprache. Diese fünf Charakteristika sieht er in Indien vorhanden wie auch in Deutschland. Er idealisiert das Dritte Reich unter Hitler und schreibt:

„Indien kann lernen vom Beispiel Deutschlands, wo die Juden aus dem Land gejagt und die Nation ihre rassische und kulturelle Einheit erlangte." Dies wird dann auf Indien so übertragen, dass Nicht-Hindus, die in Indien leben, sich entweder der Hindu-Kultur einzugliedern haben oder nur in völliger Unterordnung und ohne Bürgerrechte im Lande bleiben dürfen.

Nationalistische Organisationen in Indien

1925 wurde die RSS gegründet. Die Gruppe rekrutiert sich aus Leuten der jüngeren Generation, die sich verpflichten, ihr ganzes Leben lang der Gemeinschaft zu dienen „mit ganzer Hingabe von Leib, Herz und Vermögen". Seit 1930 bestanden Kontakte der RSS zu faschistischen Gruppen in Europa. Die Mitglieder leben asketisch und streng vegetarisch. Die Mitglieder treffen sich täglich in ihren Zentren zur Meditation und Instruktion und paramilitärischen Übungen. Sie tragen Uniform mit kurzer Khaki-Hose, weißem Hemd, schwarzer Mütze und einem Schlagstock aus Bambus. Bei Aufmärschen führen sie eine safranfarbene Pfanne und den Dreizack des Gottes Shiva mit sich. Die Gefolgsleute der RSS behaupten zwar, sie seien keine politische Partei, sondern eine soziale und kulturelle Organisation zur Wiederbelebung des Hindu-Glaubens, doch wird die Trennungslinie zur BJP (Bharata Janata Party, Nationale Volkspartei) nicht immer eingehalten. Gelegentlich wird sogar massiver Druck auf sie ausgeübt. In den vergangenen 20 Jahren ist die Organisation stark angewachsen. So soll es im Jahr 2000 um die 45000 Zweigstellen der RSS in Indien gegeben haben, 13000 Schulen und andere Ausbildungsstätten mit 75000 Lehrern und 1,7 Millionen Schülern und Studenten.

Vishwa Hindu Parishad (Weltrat des Hinduismus oder World Hindu Council) Während die RSS eine reine Männergesellschaft darstellt, steht die Mitgliedschaft bei der VHP allen Hindus offen. Gegründet wurde die Gruppe 1964, um vor allem europäisch beeinflusste indische Jugendliche und die Mittelschicht im Lande für einen aktiven Hinduismus zurückzugewinnen. Versammlungen werden veranstaltet mit Lesungen aus den Hindu- Schriften. Die VHP und die ganze Sangh Familie haben sich zum Ziel gesetzt, die Arbeit von Christen unter den Adivasis (Ureinwohnern) und Dalits (Kastenlosen) zu unterbinden. Christen in diesen Gruppen sollen für den Hinduismus zurück gewonnen werden, notfalls mit Gewalt. Wie die christliche Mission betreibt die VHP auch karitative Einrichtungen für Waisenkinder, dazu auch Schüler- und Studentenheime und Krankenhäuser.

Der militante Zweig des VHP wurde 1984 gegründet und heißt Bajrang Dal. Die Mitglieder rekrutieren sich aus jungen Männern, die weiße Hemden, kurze blaue Hosen und ein safranfarbenes Halstuch tragen.

Unter der Bezeichnung Sangh Parivar (Sangh- Familie) werden alle fundamentalistischen Gruppierungen zur Wiederbelebung des Hinduismus zusammengefasst. Sollte es der Sangh- Familie gelingen, die Adivasis und Dalits zum Hinduismus zu bekehren oder unter Druck zu setzen, können sie mit deren Stimme bei der Wahl rechnen und wären so ihrem ideologischen Ziel näher. Zusammen machen die Dalits und Adivasis 20 Prozent der Gesamtbevölkerung Indiens aus.

Artikel 25 der indischen Verfassung garantiert als Grundrecht nicht nur die Glaubensfreiheit, sondern auch das Recht jedes indischen Bürgers, seinen Glauben frei zu wählen, zu praktizieren und für die eigene Religion zu werben. Eingeschränkt wird die Religionsfreiheit nur, wenn sie die öffentliche Ordnung gefährdet. Heute sehen Hindu-Fanatiker die öffentliche Ordnung gefährdet, wenn ein Hindu Christ wird.

Seit einigen Jahren ist in verschiedenen Bundesstaaten Indiens eine ständige Aushöhlung des Grundrechts der Glaubensfreiheit und der Werbung für den eigenen Glauben spürbar. Das hat im Bundesstaat Orissa schon vor Jahren angefangen Zunächst sah die Länderregelung höchst harmlos aus. Sie besagte, dass bei der Werbung für den eigenen Glauben eine Bekehrung nicht wegen äußerer materiellen Versprechungen oder unter Zwang erfolgen dürfe. Dem kann man als Christ nur zustimmen. Doch bald danach kam ein Pfarrer in Orissa vor Gericht, weil er mit einem befreundeten sterbenden Hindu gebetet und ihn auf das künftige Leben mit Christus hingewiesen hatte. Damit war für das Gericht das Verbot tangiert, vom eigenen Glauben im Zusammenhang mit Versprechungen zu reden.

Die BJP (Bharatia Janata Party (Nationale Volkspartei) stellt heute ein Sammelbecken rechtsgerichteter Strömungen und Gruppierungen in Indien dar und wurde bei den vorletzten Parlamentswahlen Regierungspartei. Bei Wahlen hat sie sich unter dem Slogan bekannt gemacht: „Indien gehört den Hindus, alle anderen raus!" Die große Sorge ist, dass diese Gruppierungen bei der kommenden Parlamentswahl im Frühjahr 2009 wieder an die Macht kommen könnten.

Was hat die ideologisch aufgeladene Hindutva-Leitkultur gegen die kleine Minderheit der Christen? Kirchen und Prediger werden als Agenten einer fremden Kultur gesehen und angegriffen. Den indischen Christen wird das Indersein abgesprochen. Von den Kirchen wird ein Abschneiden ihrer Beziehungen zum Ausland gefordert, da durch ausländische Kirchen angeblich subversive Kräfte nach Indien hereinströmen. Eine Re-Konversion zum Hinduismus wird angestrebt und wenn sie dann stattfindet, mit großem Pomp gefeiert. Eine Bekehrung zum Christentum ist jedoch vom Übel und steht generell unter dem Verdikt materieller Verlockung oder Zwang.

Es war eine schlimme Nacht vom 22. auf den 23. Januar 1999, als der australische Missionar Graham Staines, der unterwegs mit seinen kleinen Söhnen Timothy und Philipp in seinem Auto schlief, von Fanatikern in Orissa umgebracht wurde. Man überschüttete das Auto mit Benzin, setzte es in Brand und hinderte Vater und Söhne mit Stangen so lange am Aussteigen, bis sie verbrannt waren. Seither gab es immer wieder Gewalttaten gegen einzelne Christen, Anschläge auf Kirchen, ja auch die Schändung eines kirchlichen Friedhofs.

Zum Ablauf der Geschehnisse in Orissa und Karnataka von August bis Oktober 2008

Die jetzige Christenverfolgung in Orissa bahnte sich bereits an Weihnachten 2007 an. Dreißig Kirchen, christliche Schulen und Einrichtungen wurden attackiert oder angezündet. Schon damals wandte man die Methode an, durch gefällte Bäume die Straßen zu blockieren, um Polizei und Medien den Zugang zu den abgelegenen Dörfern zu sperren. Auch damals schon mussten sich christliche Familien in den Dschungel retten, ohne Nahrung und ohne Wasser. Am 23. August 2008 gab es in dem von Unruhen besonders heimgesuchten Kandhamal- Distrikt in Orissa einen dramatischen Zwischenfall. Fünf Hindu-Fundamentalisten samt ihrem Oberhaupt Swami Lakshmanananda wurden in ihrem Ashram überfallen und umgebracht. Man geht davon aus, dass es maoistische Rebellen waren. Schnell waren die Hindu- Extremisten dabei, den Volkszorn auf die Christen zu lenken. Zwei Tage später wurden sie des Mordes am Swami und seinen Gefolgsleuten bezichtigt und angegriffen. Ein christliches Waisenhaus wurde zerstört, eine Zwanzigjährige kam in den Flammen um. In einem anderen Dorf wurden Häuser der Christen angezündet, ein gelähmter Hausbewohner konnte den Flammen nicht mehr entrinnen. Eine Nonne und ein Priester wurden von um die vierzig Personen zusammengeschlagen; die Nonne wurde außerdem noch vergewaltigt. Die Polizei schaute zu. Die Zerstörungswut der Fanatiker steigerte sich zur Raserei. Gezielt wurden Häuser von Christen angezündet, Gebetshäuser und Einrichtungen der Christen demoliert. Am 28. August waren bereits 14 Menschen umgebracht worden. 2000 Häuser lagen in Schutt und Asche. Die ersten Aufnahmelager für vertriebene Christen wurden eingerichtet. Am 3 1. August waren Tausende von Christen noch in den Wäldern untergetaucht und fürchteten um ihr Leben. Mehr als hundert Familien konnten sich nach Tagen des Umherirrens in die Hauptstadt von Orissa, Bhubaneswar, retten. 37 Familien kamen im YMCA unter, und die anderen wurden von Verwandten oder Bekannten aufgenommen.

Am 1. September waren 9000 Flüchtlinge in sieben Aufnahmelagern untergebracht. Am 2. September wurden 20 Häuser von Christen niedergebrannt. Zwei weitere Flüchtlingslager, also neun, mit insgesamt 13000 Schutzsuchenden, wurden eingerichtet. Trotzdem setzte sich die Gewaltorgie fort mit Brandschatzung, Vergewaltigung von Frauen und Jagd auf Christen. Inzwischen waren Kirchen in ganz Indien, Menschenrechtsorganisationen Politiker und Parteien aktiv, um wieder Ruhe in Orissa einkehren zu lassen und die Christen zu schützen. Am 7. September waren 140 Waisenkinder obdachlos. Das Bethel-Kinderheim samt Grundschule und Kindertagesstätte waren zerstört worden. Es gelang der Heimleitung und den Mitarbeiterinnen, die Kinder vorübergehend anderweitig unterzubringen. Auch der Schulbus der Einrichtung wurde angezündet samt den sechzig Fahrrädern der Kinder! Inzwischen sind 12 Kinder in den Auffanglagern geboren worden. Die Regierung stellt Arzneimittel bereit, aber nur für Kinder die ein Jahr alt sind und darunter. Ein

Untersuchungsteam stellt fest, dass die Angriffe auf Christen vorausgeplant und systematisch durchgeführt wurden. Menschen waren leicht für den Kampf gegen Christen zu gewinnen, durften sie doch deren bewegliche Habe als Beute nach Hause schleppen! Die Hindu- Fanatiker nützten Kastenrivalitäten, um sich zusätzlich willfährige Handlanger zu verschaffen.

Am 15. September 2008 kam eine schlimme Nachricht aus dem südindischen Bundesstaat Karnataka mit der Hauptstadt Bangalore. Im Südwesten des Landes wurden zwölf Kirchen angegriffen und verwüstet. Dabei war rätselhaft, weshalb die Polizei total versagte, obwohl sie nachweislich Vorinformationen über die geplanten Angriffe besass. Weiterhin war eigenartig, dass die Polizei nicht gegen die Randalierer einschritt, sondern gegen solche Christen, die wegen der Verwüstung ihrer Kirchen demonstrierten.

Am 16. September wurden im Zusammenhang mit der Verwüstung von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen in Karnataka 155 Personen als Verdächtige inhaftiert. Die Unglaubwürdigkeit dieser Aktion, zeigt sich darin, dass über 120 der Verhafteten Christen waren. In einem Dorf wurden zwei Frauen als „Kirchenzerstörer" festgenommen. Die eine war 85 Jahre alt, die andere sechzehn! Inzwischen wurden in zwei weiteren Kirchen von Bangalore Fenster eingeschlagen, Musikinstrumente zerstört und Mobiliar unbrauchbar gemacht. Immer wieder wurde als Begründung die zwangsweise Bekehrung von Hindus zum Christentum vorgebracht. Man muss dazu wissen: die gegenwärtige Landesregierung von Karnataka ist erst seit Mai 2008 im Amt und steckt mit den Fundamentalisten unter einer Decke. Mahendra Kumar, der Verantwortliche der Bajrang Dal in Karnataka, bekannte sich offen und zynisch dazu, für die Attacken verantwortlich zu sein. Er warnte die Christen vor Demonstrationen gegen die ihnen zugefügte Gewalt und sagte: „Jeder Protest der Christen ist ein Beweis dafür, dass sie von ihren gewaltsamen Bekehrungsversuchen nicht lassen wollen!" Ein hochrangiger Polizeioffizier wurde gefragt, weshalb er nicht gegen die Gewalttäter vorgehe und sie verhafte. Er sagte bedauernd: „Unsere Hände sind gebunden." Bezeichnend ist auch, dass der Ministerpräsident von Karnataka, B. S. Yeddyurappa, eine staatsanwaltliche Untersuchung der Vorfälle strikt ablehnt. Am 17. September wurden weitere lächerliche Anklagen gegen Christen erhoben. Die fundamentalistische Jugendorganisation Yuva Morcha behauptet zwangsweise Bekehrungsversuche durch Christen, weil in einem kleinen Restaurant vor einer Klinik Kunden zum Gebet in eine Kirche eingeladen worden seien. Die Tageszeitung „The Hindu" bringt in einem Leitartikel die ganze Misere auf den Punkt und titelt:„Auf der Suche nach einem Sündenbock." In der Tat, die Christen eignen sich leicht für diese Rolle, denn mit ihren winzigen 2,4 Prozent können sie sich nicht wehren und das Ergebnis der im Frühjahr stattfindenden Parlamentswahlen nicht beeinflussen. Am 20. September greift die Zentralregierung ein und fordert die Untersuchung der Vorfälle in Karnataka durch die Generalstaatsanwaltschaft. Es stellt sich heraus, dass die Verwüstung einer Kirche in Ullal bei Mangalore von der Polizei selber durchgeführt worden war. Am 2 1. September wurde Mahendra Kumar, der Bajrang Dal Verantwortliche, endlich verhaftet. Er hatte sich ja öffentlich damit gebrüstet, die Christenverfolgung veranlasst zu haben. Am 22. September wurde eine Kirche in Bangalore während des Gottesdienstes angegriffen. Der Opferstock samt anderen Utensilien wurde mitgenommen. Der Sakramentsbehälter wurde aufgebrochen und die Hostien auf dem Boden zerstreut.

23. September: Der frühere Unions-Minister und jetzige Landtagsabgeordnete in Karnataka, Srinivas Prasad, hat die Bajrang Dal für die Übergriffe auf christliche Gebetshäuser und Kirchen in seinem Staat verantwortlich gemacht. Er forderte die Fundamentalisten auf, zuerst die Diskriminierung auf Grund des Kastensystems in Indien abzuschaffen. Er stellte die Frage: „Ist es nicht verständlich, dass Hindus, denen ihr Status als Kastenlose keinen angemessenen Platz im Hinduismus einbringt, sich dem christlichen Glauben zuwenden, wenn sie dort Achtung und Nächstenliebe erfahren?" Es sei unerträglich, dass die Fundamentalisten gegen die Christen vorgingen, obwohl keine einzige gerichtsfähige Klage wegen einer zwangsweisen Bekehrung durch Christen hätte vorgelegt werden können. Bislang wurden 26 Kirchen vor allem in Südwest- Karnataka verwüstet.

Die Polizei sieht sich in einer schwierigen Lage. Sie sei unzureichend ausgerüstet. Für den Schutz der Kirchen allein in Bangalore benötige man zusätzliche 6400 Polizisten, 800 Fahrzeuge und 800 Funkgeräte. Deshalb fordert man jetzt die Christen auf, selber mehr für den Schutz ihrer Kirchen zu tun. Sie sollten private Wachdienste anheuern! In Bangalore gibt es allein 800 evangelische und katholische Kirchen. Die Hälfte davon sind kleine Kirchen in den nicht so leicht kontrollierbaren Vororten und Slums.

Mehr als eine Woche lang sah der Ministerpräsident in Bangalore untätig dem üblen Treiben zu, ohne als Landesvater seiner betroffenen christlichen Bevölkerung irgendeine Hilfe zukommen zu lassen. Schließlich raffte er sich auf, um vom katholischen Erzbischof von Bangalore, Bernard Moras, etwas über die Besorgnisse der Christen zu „hören".

Empörend dabei ist, dass der Ministerpräsident eine schon längst überfällige Geste des Bedauerns erst aussprach, als ihn die Zentralregierung samt den Oppositionsparteien, den Menschenrechtsorganisationen und den Medien dazu nötigte.

24. September: Ministerpräsident B.S. Yeddyurappa hat einen neuen Grund für die Verfolgung von Christen in Karnataka gefunden. Die Aktionen von Gewalttätigen gegen Christen seien nichts anderes als eine Verschwörung der politischen Opposition gegen seine Regierung und gegen seine Partei! Typisch, der Brandstifter gibt sich als Opfer!

In der Zwischenzeit wurden 450 Christen im Kandhamal- Bezirk in Orissa zum Hinduismus zwangsweise zurückbekehrt. Die Tageszeitung „The Hindu" stellt dies als „Farce" hin, da es dabei nicht um eine Angelegenheit des Herzens gegangen sei.

26. September: Bislang sind 28 Kirchen in Karnataka verwüstet worden. Die Attacken sehen in der Regel so aus: Man wartet bis zum Beginn eines Gottesdienstes. Dann stürmt eine Bande von 20 bis 30 Leuten in die Kirche, bewaffnet mit Stöcken und Sicheln und schlägt die Einrichtung zusammen, manchmal auch Gottesdienstbesucher.

In Orissa gehen die Verwüstungen weiter. Erneut wurden Kirchen und hundert Häuser von Christen niedergebrannt. Der Bundesstaat Orissa bittet die Zentralregierung um zusätzliche Truppen.

27. September: In Karnataka haben die Fundamentalisten eine Kampagne gestartet. Hindu- Kinder sollen aus christlichen Schulen, Internaten und kirchlichen Einrichtungen herausgenommen werden. In Orissa sind 50 weitere Häuser von Christen in zwei Dörfern angezündet worden.

29. September: Die Bilanz sieht nach Erzbischof Raphael Cheenath in Orissa so aus: 40000 Christen wurden verjagt und befinden sich zum Teil in den Auffanglagern. 4200 Behausungen wurden zerstört und 45 Personen ermordet. Dazu gehört ein Pastor den man vor den Augen seiner Frau in Stücke zerhackt hat. Der oberste Gerichtshof in Neu Delhi wurde angeschrieben und um Hilfe gebeten. Doch der forderte lediglich eine Erklärung der Landesregierung von Orissa zur Lage an und gab den Behörden vier Wochen Zeit zur Antwort. Klar war, dass so die Extremisten die Frist nutzten, um unter den Christen noch brutaler aufzuräumen. Hindu-Fanatiker ahmen nun auch Muslim-Fanatiker nach. So hat der Sang Parivar ein „fatwa" (islamisches Rechtsgutachten) erlassen, wonach bis zum 3 0. September alle geflohenen Dorfbewohner wieder in ihre Ortschaften zurückgekehrt sein müssen, um zum Hinduismus bekehrt zu werden, andernfalls würden sie allen Grund und Boden und das Heimatrecht in ihrem angestammten Dorf verlieren.

1. Oktober: Der frühere Präsident Indiens, Abdul Kalam, ein Muslim, hat sich in eine kirchliche Schule in Madras einladen lassen, um dort Stellung zu den Christenverfolgungen zu nehmen. Er sagte: ..Die kleinen Leute, die armen Christen, die Dalits werden umgebracht, ihr Hab und Gut, das so gut wie nichts wert ist, wird geraubt und zerstört. ... Das Schlimmste dabei ist, dass das ganze Land Indien schweigt und tatenlos zuschaut einschließlich der Polizei, die doch von Berufs wegen für die Einhaltung von Gesetz und Recht einstehen müsste."

Inzwischen mehren sich die erzwungenen Bekehrungen von Christen zum Hinduismus. In einem Auffanglager in Phulbani im Kandhamal- Bezirk wird gesagt: „Nur wer wieder Hindu wird, darf in sein Dorf zurück". Zurückgekehrte Priester und Pastoren sind in Lebensgefahr und erhalten Drohbriefe.

2. Oktober: Die Zentralregierung hat weitere Polizeieinheiten nach Orissa gesandt, doch bislang hat das noch nicht zur Beruhigung der Lage beigetragen. Weitere 30 Häuser von Christen wurden ein Raub der Flammen. Hundert Christen haben sich von Orissa nach Delhi begeben und vor UN Vertretern den Status als Flüchtlinge für die Christen von Orissa beantragt, da sie ohne zwangsweise Bekehrung zum Hinduismus nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren dürften. Da die indische Regierung sie nicht zu schützen in der Lage sei, bleibe ihnen nur die Hoffnung dass die UN ihnen den Flüchtlingsstatus zuerkenne und für sie damit den Schutz ihrer Würde übernehme.

Auch der Prime Minister Manmohan Singh in Delhi musste sich vor wenigen Tagen in Paris unbequemen Fragen stellen, als ihn der französische Präsident Sarkozy im Namen der EU mit den Massakern an Christen in Indien konfrontierte. Singh nannte diese Vorgänge eine nationale Schande.

12. Oktober: 17 Menschenrechtsvertreter besuchten Mangalore und informierten sich über die Angriffe auf Kirchen und Gebetshäuser. Der Polizei wird vorgeworfen, dass sie Personen verhaftete ohne jeden Auftrag und ohne sich auszuweisen, dass sie die Angehörigen der Verhafteten nicht informierte und den Verhafteten nicht mitteilte, wohin und in welches Gefängnis sie gebracht würden. Die Polizei rechtfertigte sich damit, dass die Verhafteten im Dunstkreis des Terrorismusverdachts gestanden hätten und deshalb ihr Vorgehen gerechtfertigt sei. Dem steht gegenüber, dass die Polizei bei den Anstiftern der Rechtsradikalen keinen Terrorismusverdacht gesehen hat.

Der Bundesstaat Orissa meldet, die Situation im Unruhegebiet sei unter Kontrolle. Die Regierung habe 23000 Flüchtlinge in Auffanglagern in Kandhamal betreut. Inzwischen sei die Zahl auf 13000 gesunken.

13. Oktober Auf der Frontseite von „The Hindu" steht die Meldung: Christliche Familien stehen vor der Wahl: Entweder Bekehrung zum Hinduismus oder Vertreibung aus Ladapadar im Kandhamal Distrikt. Dort bekehrten sich 22 Christen-Familien am 2. Oktober unter Druck zum Hinduismus, um Haus und Land zu behalten. Acht andere Familien flohen aus ihrem Heimatdorf. In einem stark bewachten Camp in Tikabali, etwa 40 Kilometer von Ladapadar, leben 900 Menschen in großer Angst. Fast alle haben die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Dörfer aufgegeben, solange sie ihren christlichen Glauben beibehalten. Einer im Camp sagte: „Vor ein paar Tagen bin ich mit meiner Frau und der Schwägerin in mein Dorf zurückgekehrt, aber wir wurden dort vor die Wahl gestellt: >Entweder ihr werdet Hindus und könnt dann bleiben oder ihr kehrt wieder in euer Camp zurück!<" Viele Flüchtlinge im Tikabali Camp verlassen nun das Lager und siedeln sich in weit entfernten einsamen Gegenden an. Die Regierung bucht das auf ihre Habenseite und stellt fest, alle Flüchtlinge hätten wieder in ihre Dörfer zurückkehren können. Das entspricht nicht der Wahrheit!

„The Hindu" gab am 4. Oktober ein Editorial heraus mit dem Titel: „Hört endlich auf mit der Verfolgung von Christen!" Dem können wir nur zustimmen!

Der Artikel wurde veröffentlicht in der Zeitschrift „Christlicher Missionsdienst", Information Nr. 351, November/Dezember 2008, S. 10-20.

Quelle: http://www.christlicher-missionsdienst.de/index.php?pageId=2