16.09.2008

Indien: Gewaltausbrüche in Gujarat und Orissa - Vorboten einer landesweiten Krise?

AKREF/JJ  - 16.9.2008  -  Am 23. August 2008 kam es im Bundesstaat Orissa im Nordosten Indiens zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Christen durch militante Hindus. Es gab Dutzende Tote, darunter eine 20-jährige Nonne, die in einem Waisenhaus verbrannt wurde. Es gab auch viele Schwerverletzte, darunter eine weitere junge Nonne, die von mehreren Männern vergewaltigt wurde. Die ethnisch-religiöse Säuberung fordert täglich neue Opfer.

Compass Direct berichtete am 1. September:

„Während heute in weiten Teilen Orissas eine Ausgangssperre in Kraft war, leben angeblich über 13.000 Menschen in von der Regierung des Bundesstaates eingerichteten Notaufnahmezentren im Bezirk Kandhamal.“ Dr. Abraham Mathai, stellvertretender Vorsitzender der Minderheitenkommission des Bundesstaates Maharashtra berichtete von über 50.000 Christen, die nach den gewalttätigen Übergriffen in Orissa zu Binnenflüchtlingen geworden sind. Er beklagt, dass alle politischen Parteien die Rolle stummer Zuschauer einnehmen. Allein im Bezirk Kandhamal wurden ungefähr 1.000 Häuser von Christen, hunderte Kirchen und zahlreiche christliche Institutionen und Geschäfte von Christen von wütenden Hindus zerstört.

Diese Gewalt gegen Christen ist erschreckend, darf jedoch nicht überraschen. Hindutvaaktivisten (religiöse Nationalisten, die einen reinen Hindustaat anstreben) schüren in Orissa schon seit Jahrzehnten ungestraft und mit Unterstützung der Regierung des Bundesstaates die Flammen des Hasses. Orissa ist nun ebenso reif für den Völkermord wie Gujarat. Und zahlreiche andere von der Bharatiya Janata Partei (BJP) regierte Bundesstaaten sind nicht weit davon entfernt.

Es war eine brillante Strategie der Sangh Parivar - einer Sammlung von nationalistischen Hinduorganisationen, die Indien in einen Hindustaat umwandeln wollen, Religion und Politik in der BJP in einer Weise strategisch miteinander zu verweben, dass Sangh Parivar in der Lage ist, die Religion zur Erreichung politischer Vorteile zu missbrauchen. Bei der derzeitigen Christenverfolgung geht es nicht in erster Linie um Religion. Die Christen Indiens werden unfreiwillig zu Marionetten in einem tödlichen Kampf zwischen Moderne und den Nutznießern der traditionellen Hindukultur, die verzweifelt versuchen, sich die politische Macht zu sichern, die ihren privilegierten Status durch die Aufrechterhaltung des fatalistischen, unmoralischen und rassistischen Kastensystems auch für die Zukunft garantiert.

Die brillante Strategie und alarmierende Wirksamkeit der Kampagne von Sangh Parivar zur Schaffung eines „Hindu Rastra“ (Hindustaat) wurde bisher nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen.

Selbst nach den Übergriffen militanter Hindus gegen Moslems im Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002, als etwa 2000 Moslems getötet wurden, begriff man weder in Indien noch in der übrigen Welt, was hier vor sich ging. Ebenso wenig, nachdem ein antichristlicher Pogrom im Bundesstaat Orissa zu Weihnachten 2007 zehntausende Christen zu traumatisierten Binnenflüchtlingen machte und eine Spur der Verwüstung hinterließ.

Die Rädelsführer und Anstifter der Pogrome in Gujarat 2002 und Orissa 2007, Narendra Modi und Swami Laxmanananda blieben nicht nur in Freiheit, sondern wurden für viele zu Nationalhelden. In Gujarat wurde Narendra Modi gar mit der zweimaligen Wiederwahl zum Premierminister des Bundesstaates belohnt. Die als „Kranti“ (Revolution) bekannt gewordenen Ausschreitungen in Gujarat, bei denen die an einer Bewahrung des Kastensystems interessierte Hindumehrheit die moslemische Minderheit terrorisierte, um diese zu unterwerfen, wird nun von führenden Vertretern der Hindutva Ideologie als Vorbild hochgehalten.

Im Januar 2006 wurde klar, dass die Regierung Modi beabsichtigte, den Bezirk Dangs in Gujarat durch einen antichristlichen Pogrom zu entzünden. Der Konflikt entwickelte sich vor folgendem Hintergrund: Der Bezirk Dangs war seit dem Ende der Kolonialzeit stark vernachlässigt worden und unterentwickelt. Das Lohnniveau ist nach wie vor sehr niedrig. Das Gesundheitswesen ist unterentwickelt. Die Ureinwohner, Adivasis genannt, versuchen immer wieder, ihre traditionellen Rechte und Freiheiten zurückzugewinnen und haben in ihrer Verzweiflung auch schon Gewalt angewendet. Die Hindutvaaktivisten versuchen, die Adivasis, die von ihrer religiösen Tradition her Animisten sind, zu spalten und zum Hinduismus zu „bekehren“, indem sie animistische Traditionen im Sinn des Hinduismus umdeuten und dem Geschmack der Bramahnen anzupassen versuchen. Nach dem Machtverlust der BJP bei den letzten Parlamentswahlen sollen diese neuen „Hindus“ als potenzielle Wähler für die BJP gewonnen werden. Sangh Parivar versucht, alle Hindernisse auf dem Weg zum Hindustaat zu beseitigen. Als größtes Hindernis sieht man die Christen, die der verarmten, versklavten und am unteren Ende des Kastensystems stehenden Stammesbevölkerung dienen und ihr Bildung und Freiheit vermitteln. Um dem entgegenzutreten hat Sangh Parivar eine neue Mythologie geschaffen, um die Stammesbevölkerung zu verführen, sich dem Hinduismus anzuschließen. Im Jahr 2006 wurde zu diesem Zweck ein großes Pilgerfest (Shabri Kumbh Mela) ins Leben gerufen. Nach der neu geschaffenen Mythologie sei die Göttin Shabri, eine Verehrerin des Gottes Ram, eine Angehörige des Stammes der Bhil in Dangs gewesen und hätte dort Ram kennen gelernt und ihm die Füße gewaschen. Shabri wird als Stammesangehörige, die angeblich Ram gedient und angebetet hat, den Adivasis, die von den Hindutvaaktivisten gerne als Vanvasis bezeichnet werden, als Göttin und Vorbild hingestellt. Die Umbenennung von Adivasis („erste Einwohner“) in Vanvasis („Waldbewohner“) hat zum Zweck, zu behaupten, die Stammensangehörigen und die Indoarier seien ein Volk, es hätte nie Ureinwohner und nie eine Invasion der Arier gegeben. Diese Geschichtsfälschung wird dazu verwendet, den Adivasis weiszumachen, sie seien traditionell Hindus.

Sangh Parivar errichtete 2004 einen riesigen Tempel am Ort der angeblichen Begegnung zwischen Shabri und Ram. Ein Bewohner des Bezirks Dangs wurde unter Druck gesetzt, der Tempelstiftung einen großen Grundbesitz als Standort für den Tempel zu „schenken“. Dort wurde die Infrastruktur für eine halbe Million Pilger geschaffen und von 11. - 13. Februar 2006 fand das erste große Pilgerfest, Shabri Kumbh Mela, statt. Dieses zum Zweck der Hinduisierung der Ureinwohner geschaffene Fest soll alle vier Jahre stattfinden und auch Hass gegen Christen schüren. 2006 hieß es auf der Website des Shabri Kumbh Mela unter anderem, die Veranstaltung solle „anti-dharmischen“ (gegen die Hinduethik gerichteten) und anti-nationalen Aktivitäten wie der christlichen Mission den Todesstoß versetzen. Ein Slogan der Sangh Parivar, der auch in diesem Zusammenhang laut wurde, ist „Hindu jago, christo bhagao“. Dieser Reim heißt übersetzt „Hindus erhebt euch, werft die Christen hinaus). Die intensive Hasspropaganda gegen Christen führte vor dem Shabri Kumbh Mela von 2006 zu einer massiven Einschüchterung der Christen. 

Die Christen beteten um Bewahrung, und die Gebete vieler wurden erhört! Der Versuch von Sangh Parivar, anlässlich des Shabri Kumbh Mela eine zweite Hindurevolution, diesmal nicht gegen Moslems sondern Christen, anzuzetteln, scheiterte.

Die gewalttätigen Übergriffe gegen Christen in Orissa zu Weihnachten 2007 kamen hingegen ohne Vorankündigung. Während die Polizei Kräfte aus dem Bezirk Kandhamal abzog, um die Feier des zehnjährigen Bestehens der Partei des Premierministers von Orissa in der Hauptstadt des Bundesstaates zu schützen, fällten Hindus Bäume und blockierten die Zufahrtsstraßen in den Bezirk. Dies diente zur Vorbereitung auf die Übergriffe auf die Christen, durch die man ihnen - in den Worten von Hinduaktivisten - „eine Lektion erteilen“ wollte.

Sodann kam es zu einem Aufstand Tausender von Hindus. Sie riefen: „Stoppt das Christentum, bringt Christen um!“. Allein im Bezirk Kandhamal wurden mehr als 700 Häuser von Christen und etwa 100 Kirchen sowie 95 christliche Institutionen zerstört, geplündert, beschädigt oder niedergebrannt. An der Spitze der Hetzkampagne stand der führende Hindutvaideologe, Swami Laxmanananda Saraswati. Nachdem er fälschlicherweise behauptete, er wäre bei einem gewalttätigen Angriff von einer wütenden Menge Christen verletzt worden, forderte er seine Anhänger (in Gegenwart von Polizei und Journalisten) per Handy auf, Häuser von Christen und Kirchen niederzubrennen und die „Kranti“ (Revolution) zu wiederholen, die Gujarat den „Frieden“ gebracht hätte (d.h. die Übergriffe von Hindus gegen Moslems im Jahr 2002, die ca. 2000 Tote gefordert hatten).

Swami Laxmanananda Saraswati, der seit den Sechzigerjahren in Orissa aktiv war, ist es gelungen, Orissa in ein Pulverfass des Hasses auf Christen zu verwandeln. In den Bundesstaat entsandt hat ihn seinerzeit die RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh „Nationales Freiwilligencorps), die Organisation, aus der Jahre zuvor der Mörder Gandhis hervorgegangen ist. Im Laufe der Jahre wurden immer wieder erschreckende Verbrechen gegen Christen in Orissa begangen, darunter zahlreiche erzwungene Bekehrungen zum Hinduismus, tätliche Angriffe und Morde, darunter der Mord an dem australischen Missionar Graham Staines, der im Januar 1999 zusammen mit seinen beiden kleinen Söhnen Phillip und Timothy in seinem Auto bei lebendigem Leib verbrannt wurde.

Der Vormarsch der Hindutvabewegung in den letzten Jahren hat zu einigen alarmierenden Entwicklungen geführt. Heute stehen nicht nur einzelne Verkündiger des Evangeliums in Gefahr, überfallen oder ermordet zu werden, sondern es droht ein Genozid, der ganze christliche Gemeinschaften treffen könnte. Die Mörder sind nicht mehr nur junge Heißsporne von Bajrang Dal (der radikalen Jugendmiliz von Sangh Parivar), sondern „normale“ ortsansässige Hindus, die ihre christlichen Nachbarn oft ungestraft vergewaltigen, schlagen oder sogar ermorden. Die indische Zeitschrift Tehelka berichtete im Januar 2008, dass während des Überfalls auf das Nonnenkloster „Mount Carmel“ in Balliguda die Karmeliterinnen schockiert feststellen mussten, dass unter den Angreifern auch Hindus aus dem Ort waren, die an ihren Berufsausbildungskursen teilgenommen hatten. Diese ungestrafte Gewalttätigkeit und ein vollständiger Niedergang des Vertrauens hat in den letzten Jahren zu einer „Ghettoisierung“ der Christen geführt.

23. August 2008 - Orissa brennt erneut

Zum Unterschied von den antichristlichen Pogromen von Weihnachten 2007 war die Gewaltexplosion in Kandhamal am 23. August nicht geplant. Sie war das Ergebnis der Aufwiegelung der Massen durch den Weltrat der Hindus (VHP). Unmittelbar nachdem Swami Laxmanananda Saraswati in einem Ashram im Bezirk Kandhamal überfallen und erschossen wurde, erklärten leitende VHP Mitglieder in der Öffentlichkeit, dass die Christen für den Mord verantwortlich wären. Der Generalsekretär der VHP für den Bundesstaat Orissa, Gouri Prasad Rath forderte eine Untersuchung auf hoher Ebene und ein Verbot von Kirchen im Bezirk Kandhamal. Er erklärte vor den Medien: „Die Christen haben Samiji ermordet. Wir werden eine passende Antwort geben.“ Die Behörden gehen davon aus, dass die Tat von Maoisten verübt wurde, die als Todfeinde des Kastensystems und der Hindutvabewegung gelten. Christliche Leiter haben sich öffentlich von dem Mord distanziert.

Sind die gewalttätigen Übergriffe in gegen Moslems in Gujarat und gegen Christen in Orissa ein Vorgeschmack auf religiöse Säuberungen und Genozid in ganz Indien? Möge Gott das verhindern. Indien braucht die Gebete der Christen der ganzen Welt, besonders im Wahljahr 2009.

Quelle: WEA-RLC, Übersetzung: ÖEA