18.06.2009

Israel: Ein Tempel für die “noahitischen Religionen”?

Eine Vision zur Wiedererrichtung des jüdischen Tempels

inn - 19. Juni 2009 - Die meisten der mehr oder weniger gewichtigen Vertreter der drei monotheistischen Religionen hatten sich schon aus dem Staub gemacht. Erst dann - und ganz bewusst getrennt von dem Thesenaustausch über "den einen Gott in Judentum, Islam und Christentum" - wurde der Plan zum Bau eines dritten jüdischen Tempels auf dem Tempelberg in Jerusalem vorgestellt.

Die Stimmung passte großartig: Die untergehende Frühsommersonne taucht die Mauern der Altstadt von Jerusalem in ein goldenes Licht. Im Hintergrund klimpert eine Harfe klassische und moderne, israelische Melodien. Zu Tunfischsandwich und Orangensaft präsentieren Rabbi Juval Scherlow, Joav Frankel und der Künstler-Architekt Ascher Oskar Fröhlich ein riesiges Ölgemälde im Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum des Jerusalemer Stadtteils Mischkenot Scha´ananim.

Im Vordergrund des Ölgemäldes von Ascher Fröhlich singen, musizieren und tanzen Menschen, die offensichtlich unterschiedliche Volks- und Religionsgruppen repräsentieren. Einmütig sind sie vereint zwischen dem islamischen Felsendom und einem Gebäude, das den gängigen Vorstellungen des herodianischen Tempels entspricht. Im Hintergrund strömen durch das geöffnete Goldene Tor Menschenmassen auf den Platz. Das ganze Bild der Religionsharmonie steht unter einem Regenbogen - dem Zeichen des Bundes, den Gott mit Noah geschlossen hat (1. Mose 9,12ff). Der Regenbogen ist heute allerdings auch Symbol der synkretistischen New-Age-Bewegung.

Jüdischen Tempel verlegen?

Fünf Jahre lang haben Joav Frankel und sein Team geforscht, ob es nach jüdischer Tradition möglich wäre, den Tempelneubau um einige Meter nach Norden zu verlegen, d.h. den Originalstandort des jüdischen Heiligtums den Moslems zu überlassen. Nach Beratungen mit "wichtigen Rabbinern in Israel" ist er zu der Überzeugung gekommen, dass es nach dem jüdischen Gesetz möglich wäre, den Tempel nicht am ursprünglichen Standort - anstelle des Felsendoms - zu bauen, wo sowohl der salomonische als auch der herodianische Tempel gestanden haben, sondern an einem anderen Ort auf dem Berg Moriah. Um diesen Ort - auf dem Ölgemälde Fröhlichs wäre er einige Hundert Meter nördlich des Felsendoms - zu finden, wäre das Auftreten eines Propheten notwendig, der den genauen Ort bezeichnen müsste. Natürlich müsste dieser Prophet von einer Mehrheit der jüdischen Welt anerkannt werden. 

Nein, Bauanweisungen wollen sie nicht geben, betonen die Initiatoren der Welteinheitsreligionentempelbauvision - wobei es Frankel doch wichtig ist, dass der Künstler, der das Bild gemalt hat, Architekt ist. Ausdrücklich soll es nur darum gehen, den "Heiligen Berg Gottes" von einem Ort der Auseinandersetzung zu einem "Haus des Gebets für alle Völker" (Jesaja 56,7) zu transformieren. So sollen "die höchste Mission von Judentum, Christentum und Islam und der ursprüngliche Zweck des Tempels" erfüllt werden. Die ganze Welt soll den einen Gott gemeinsam in Frieden anbeten.

Bislang bezeichnen Juden und Christen das Zentrum Jerusalems als "Tempelberg". Muslime, die eine historische Existenz des jüdischen Tempels vehement bestreiten, bezeichnen den Platz, auf dem heute die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, dagegen als "Haram a-Scharif", als "edles Heiligtum". Nach Ansicht Frankels waren es der römische "Cäsar und seine Nachfahren durch die Geschichte", die den Streitgeist unter die Völker gebracht und so den Tempelberg zu einem Ort der Auseinandersetzung gemacht haben.

Wie die Mutation vom Zankapfel zur Friedenspfeife praktisch aussehen soll, wollen Frankel & Co. offen lassen. Deshalb wurden auf dem Fröhlich-Bild die eigentlichen topografischen Gegebenheiten Jerusalems auch bewusst verdreht. Einzelheiten der Beziehungen zwischen den Religionen, etwa in den Bereichen der Liturgie oder Theologie, wollen die Tempelvisionäre ausdrücklich ausklammern. Man will ja Frieden und nicht Krieg stiften.

Keine deutlich erkennbaren Christen

Eine gewisse Tendenz - ob von den Initiatoren des Bildes intendiert oder nicht - gibt das Gemälde indes aber doch vor. So ist innerhalb des Tempelareals kein Mensch als Vertreter der Christenheit ausdrücklich erkennbar, etwa durch Priesterkragen oder Ordensbekleidung. Die Grabeskirche, das Allerheiligste des Christentums, steht draußen vor der Ummauerung des Wunschtempels - die Mauer wurde zu diesem Zweck vom Künstler auch noch ganz bewusst von Ost nach West verlegt. Eine Fotografie der heutigen Realität zeigen Felsendom, sowie Erlöser- und Grabeskirche in friedlicher Dreieinigkeit, zumindest architektonisch. Die der Wirklichkeit widersprechende Komposition des Bildes bringt eindrücklich zum Ausdruck, was der sephardische Oberrabbiner Josef Azran auf vorausgegangenen Podiumsdiskussionen gesagt hatte: "In einer Moschee darf ich beten, in einer Kirche könnte ich das niemals!" 

Und auch innerhalb des Heiligtums wird auf dem Ölgemälde eine Tendenz sichtbar. Die Menschen auf der linken Seite des Bildes stehen unter einem eigentümlich grün-finsteren Einfluss, der vom islamischen Felsendom ausgeht - ganz im Gegensatz zur heutigen Realität, in der sich die Goldkuppel des ältesten islamischen Bauwerks die meiste Zeit des Jahres den Touristen in strahlendem Sonnenlicht präsentiert. Der Strom des Lebens, den der Prophet Hesekiel (Kapitel 47) beschreibt und der ganz bewusst in das Bild mit aufgenommen wurde, geht dagegen vom lichtvollen jüdischen Heiligtum auf der rechten Seite des Gemäldes aus.

Ist das alles Zufall - oder ein "Freudscher Vermaler" der jüdischen Visionäre? "Das ist wie beim Schachspiel", hatte Joav Frankel im Fragenteil seiner Projektvorstellung erklärt: "Man opfert die Königin, um das Spiel zu gewinnen." Fraglich ist, ob Christen und Muslime ausreichend kompromissbereit sein werden, um sich auf dieses Spiel einzulassen. Keineswegs Zufall war indes, dass sich die stets freundlich lächelnden christlichen, muslimischen und sogar jüdischen Dialogpartner vor der Präsentation des Bildes verabschiedet hatten. Die beiden Drusen-Scheichs waren noch für das Buffet geblieben. Oberrabbiner Schear Jaschuv Cohen aus Haifa und der palästinensisch-lutherische Bischof Munib Junan waren zwar angekündigt gewesen, aber dann doch nicht erschienen. 

Weltfremde Endzeitträumerei?

Ob die Vorstellungen Frankels sich in der heutigen Realität als weltfremde Endzeitträumerei erweisen wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht werden sie von den unmittelbar Betroffenen ja nur freundlich-mitleidig belächelt. Das wäre der beste Fall. Das Bild von Fröhlich könnte aber auch zur Initialzündung für eine neue Runde der Gewalt werden. Möglicherweise werden gewisse Zeitgenossen auf naiv verträumte Endzeitschwärmer in Jerusalem genauso wenig humorvoll reagieren, wie auf schamlos-kritische Karikaturisten in Kopenhagen. Seit der römische Prokurator Pilatus das Blut jüdischer Pilger mit ihren Opfern vermischt hat (Lukas 13,1), hat die Begeisterung für diesen Berg im Zentrum der Stadt Jerusalem Hunderttausenden von Menschen das Leben gekostet. Das Blutvergießen reicht bis in die jüngste Gegenwart.

Auf jeden Fall treiben Joav Frankel und seine Anhänger einen Synkretismus voran, von dem nur wenige "Rechtgläubige" wirklich begeistert sein dürften, ganz gleich welcher Religion sie angehören. Konservativ-bibelgläubige Christen werden eine Realisierung der Frankel-Pläne als Vorbereitung für das Auftreten des Antichristen verstehen, "der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, sodass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott" (2. Thessalonicher 2,4). Der Gründer der Islamischen Bewegung in Israel, Scheich Abdullah Nimar Darwisch, hatte das Anwesen des Konrad-Adenauer-Zentrums in Jerusalem demonstrativ vor der Präsentation der Tempelbergvision verlassen. Zuvor hatte er allerdings - nicht unwissend im Blick auf das, was kommen sollte - gemeint, es sei wohl besser, den Status Quo auf dem Haram a-Scharif nicht anzutasten, bis der Messias kommt. Und namentlich nicht genannte rabbinische Berater von Joav Frankel hatten dessen Endzeitvision kommentiert: "Da müssen sich die Moslems und Christen aber noch viel verändern - und auch die Juden!"