09.03.2009

Schweiz: Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit

Luzerner Festakt zur Verleihung des diesjährigen Herbert-Haag-Preises

Schweiz: Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit

Luzerner Festakt zur Verleihung des diesjährigen Herbert-Haag-Preises

Luzern/Schweiz, 09.03.2009 (Kipa) Der ehemalige Bundesrichter Giusep Nay und die beiden Theologen Hermann Häring und Leo Karrer wurden mit dem diesjährigen Preis der Herbert-Haag-Stiftung bei einem Festakt am 8. März, in Luzern ausgezeichnet. Alt Bundesgerichtspräsident Nay würdigte im Festvortrag die Bedeutung des schweizerischen Neben- und Miteinanders von hierarchischer und synodaler Kirche sowie die Bedeutung der Menschenrechte für Kirche und Kirchenmitglieder.

Als Eckpfeiler eines "modernen Religionsverfassungsrechts" bezeichnete der ehemalige Bundesrichter in seinem Festvortrag das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit: Kerngehalt der Religionsfreiheit sei das Recht jeder Person zu glauben, was sie für richtig halte.

Entsprechend diesem Individualrecht der Glaubenden habe auch die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden im Sinne einer korporativen Religionsfreiheit das Recht, den Glaubensinhalt und die richtige Religionsausübung selber festzulegen. Der Staat müsse dieses Recht nicht nur respektieren, sondern auch schützen. Der Kirche werde damit ein Selbstbestimmungsrecht zuerkannt.

Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften

Zudem dürfe der öffentlichrechtliche Status einer Religionsgemeinschaft nicht vom Staat vorgeschrieben werden. Die katholischen Kirchgemeinden und Landes- oder Kantonalkirchen seien auf dem Willen der Kirchenangehörigen beruhende, von diesen gegründete und getragene öffentlichrechtliche Körperschaften. Sie seien nicht vom Staat geschaffen, sondern von diesem allein ermöglicht.

Soweit die Kirche und Kirchenangehörige sich durch das Recht der öffentlichrechtlichen Körperschaften in ihrer Religionsfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt fühlen könnten, können sie die staatlichen Gerichte zu ihrem Schutz anrufen.

Rechtsstaatliche Anforderungen und Religionsfreiheit

Demokratische und rechtsstaatliche Anforderungen an die Organisation der Kirchgemeinden als öffentlichrechtliche Körperschaften stehen nach Ansicht Nays mit der Religionsfreiheit im Einklang.

Der alt Bundesrichter setzte in seinem Vortrag das kirchliche Communiomodell neben das hierarchische, in welchem der Papst der absolute Bezugspunkt für die kirchliche Gemeinschaft ist, während die übrigen Gläubigen reine Zuschauer sind.

Beim Communiomodell des II. Vatikanischen Konzils gebe es keine "Statisten" mehr. Geweihte Amtsträger wie die Gläubigen stünden in einer lebendigen und wechselseitigen Beziehung zu- und miteinander.

Konflikte nicht auszuschliessen

Das deutschschweizerische Staatskirchenrecht mit den dualen Strukturen, dem Miteinander von Pfarrei und Bistum auf der einen und Kirchgemeinden und Kantonalkirchen auf der anderen Seite, "wahrt das Selbstbestimmungsrecht der Kirche und verletzt mitnichten das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit", betonte Nay und ergänzte: Selbstverständlich dürfe nicht verschwiegen werden, dass ein Konfliktpotential bestehe.

Nay führte drei Beispiele solcher Reibungsflächen an. Der Rechtschutz für kirchliche Angestellte, wie dies der Fall Röschenz gezeigt habe, müsse auf allen Ebenen gewährleistet werden. Dies gelte auch bei einem Entzug der Lehrerlaubnis in Lehrprüfungsverfahren der Kirche. Betroffenen Professorinnen und Professoren, die an einer staatlichen Universität tätig sind, müssen von der Kirche Anhörung und effektive Verteidigungsmöglichkeiten gewährt werden. Der Kirche sei auch hier zuzumuten, die Menschenrechte zu beachten.

Nay wies weiter auf ein Ehenichtigkeitsurteil der katholischen Kirche in Italien hin, in der die Kirche ohne Rücksicht auf die staatliche Gesetzgebung eine Ehe annullieren wollte. Der Jurist beendete seine Ausführungen mit einem Wort aus der Enzyklika "Pacem in terris", in der Papst Johannes XXIII. "ein grundlegendes Recht der Person auf einen wirksamen und für alle gleichen rechtlichen Schutz der ihr eigenen Rechte in einer von Gott so gewollten Rechtsordnung" einforderte.

"Feuer der Freiheit"

In seiner Ansprache stellte der Theologe Hans Küng fest: "Das Feuer der Freiheit in der Kirche ist erloschen. Aber in den letzten Wochen ist es wieder weit sichtbar aufgelodert." Dies sei "Katholiken mit Courage" zu verdanken. Drei von ihnen erhielten den diesjährigen Herbert Haag-Preis "Für Freiheit in der Kirche".

Die neueste Diskussion um das "bewährte staatskirchenrechtliche System" in der Schweiz sei durch den "früheren Reform- und jetzigen Konformtheologen Kurt Koch" provoziert worden. Er habe kurz nach seiner Wahl zum Bischof von Basel den Gründer der Stiftung "Für Freiheit in der Kirche", Professor Herbert Haag, "öffentlich abgekanzelt und persönlich verletzt".

"Anfang des Misstrauens"

Küng, Präsident der Herbert-Haag-Stiftung, ging auch auf die aktuelle Auseinandersetzung um die Pius-Bruderschaft ein und zitierte eine Umfrage der römischen Gottesdienstkongregation aus dem Jahr 1981. Damals betrachteten 98,68 Prozent der Bischöfe den "mittelalterlichen Tridentinischen Messritus" als überholt. Jede Konzession an die Lefebvristen würde den "Anfang eines Misstrauens" bedeuten gegenüber den Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils, unterstrich der streitbare Schweizer Theologe. Die "kuriale Partei" in der Kirche habe unter den letzten beiden Päpsten alles getan, um durch reaktionäre Dokumente und Bischofsernennungen die Resultate des Konzils so weit wie möglich rückgängig zu machen oder wenigstens zu relativieren.

Der konzilsfeindlichen Pius-Bruderschaft habe schon der junge Kardinal Ratzinger 1977 seine Unterstützung versprochen. Es liege ganz auf seiner Linie, dass "er sie als Papst trotz der wohlbekannten antisemitischen, antiökumenischen und antimodernen Einstellung der Pius-Bruderschaft wieder in die Kirchengemeinschaft aufnahm, während er andererseits gegenüber den konzilstreuen Reformtheologen, vor allem in Lateinamerika, Nordamerika und Europa keinen Schritt zur Verständigung machte".

Die drei Preisträger 2009

Alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay verlieh die Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche ihren Preis für dessen Einsatz für eine Verfassung der Kirche, die sich an den "Freiheitsrechten der Moderne orientiert und die Menschenrechte nicht nur als Postulat nach aussen, sondern auch als Verpflichtung nach innen versteht". Die Jury hofft, dass dessen "Reflexionen zur Weiterentwicklung des hergebrachten staatskirchenrechtlichen Systems der Schweiz" die Balance zwischen den Ansprüchen der Amtskirche und den Mitwirkungsmöglichkeiten der Kirchenmitglieder gemäss den Erfordernissen einer zeitgemässen Ausgestaltung des Grundrechts der Religionsfreiheit stärken.

Hermann Häring, emeritierter Professor für Dogmatische Theologie und Wissenschaftstheorie an der Universität Nijmegen (Niederlande), erhielt den Preis für sein nachhaltiges Engagement für die Freiheit der Theologie in Lehre und Forschung ebenso wie in der gelebten Praxis der Kirche.

Leo Karrer, emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg (Schweiz) und Initiant der kirchlichen "Tagsatzung" in der Deutschschweiz, wurde für seinen "unermüdlichen Einsatz ausgezeichnet, mit dem er Theologinnen und Theologen in den Seelsorgealltag eingeführt und sie ermutigt hat, Herausforderungen der Gegenwart mit Instrumenten einer synodal verstandenen Kirche gemeinsam zu beraten".

Quelle: Katholische Internationale Presseagentur KIPA, Zürich/Schweiz

Recherche/Zusammenstellung durch APD Schweiz.