05.09.2009

Thema: Mission und Religionsfreiheit

Entführte Familie Hentschel aus Sachsen wird seit Juni im Jemen vermisst In BamS sprechen die Grosseltern über ihre Ängste und sagen, warum sie weiter hoffen

Thema: Mission und Religionsfreiheit

Entführte Familie Hentschel aus Sachsen wird seit Juni im Jemen vermisst

In BamS sprechen die Grosseltern über ihre Ängste und sagen, warum sie weiter hoffen

 

BamS/Von ALBERT LINK  - 06.09.2009 - 09:57 UHR - Seit 86 Tagen zuckt Ruth Hentschel (78) bei jedem Telefonklingeln zusammen. Sie hat noch immer Hoffnung, dass sich ihr jüngster Sohn meldet, mit erlösenden Worten wie: „Ich bin’s, Mama, wir sind frei. Der Albtraum ist vorüber.“

Ruth Hentschel ist die Mutter von Johannes Hentschel (36), der am 12. Juni zusammen mit seiner Ehefrau Sabine (36) und ihren Kindern Lydia (5), Anna (3) und Simon (1) im Jemen entführt wurde. Seitdem fehlt von der Familie jede Spur. Als ob die Wüste sie verschluckt hätte.

Auf dem Tisch im sächsischen Meschwitz liegt das Fotoalbum, das Ruth Hentschel und ihr Mann Gottfried im Mai zur goldenen Hochzeit geschenkt bekommen haben, beim letzten Heimatbesuch der Jemen-Auswanderer. Dem letzten? „Wir sind Christen“, erklärt sie BILD am SONNTAG und blickt auf ein Bild, auf dem Enkelin Lydia Seifen- blasen macht. „Wir glauben, dass Gott Wunder vollbringen kann.“

Sie hat noch das Telefongespräch kurz vor der Entführung im Ohr, bei dem ihr Sohn von den Kindern erzählt hat. Von dem neuen Spiel, das die Mädchen sich ausgedacht haben: „Gänseblümchenpflücken. Wie bei Oma in Deutschland.“

Im Sand des staubtrockenen Nord-Jemen bedarf es dazu großer kindlicher Phantasie. In Saada wachsen keine Gänseblümchen. Gewachsen ist dort in fünf Bürgerkriegsjahren nur der Hass: Rebellen gegen Regierungstruppen gegen Stammesfürsten gegen al-Qaida-Krieger. Mittendrin die Hentschels aus Sachsen.

12. Juni 2009: Der Maschinenbau-Ingenieur und seine Frau Sabine, Hebamme und Krankenschwester, brechen zum Familien-Ausflug auf. Ihr Ziel, ein Picknick-Areal, ist nur sechs Kilometer weit weg. Spontan schließen sich vier Klinikkollegen der Geländewagen-Tour an. Ein Brite, eine Südkoreanerin sowie die Praktikantinnen Anita († 24) und Rita († 26), Bibelschülerinnen aus Niedersachsen.

Auf dem Heimweg, gegen 18.30 Uhr, stellt sich ein Suzuki in den Weg der Ausflügler. Die bewaffneten Männer nehmen die Gruppe gefangen, brausen mit beiden Autos davon. 25 Kilometer vom Entführungsort entfernt erschießen sie die jungen Frauen aus Niedersachsen und Korea. Anschließend verliert sich ihre Spur.

Lösegeldforderungen gehen nicht ein. Deshalb kursieren bald Gerüchte, al-Kaida stecke hinter der Tat, auch die übrigen Geiseln seien tot. Mittlerweile hat der Krisenstab des Auswärtigen Amtes in Berlin vage Hinweise, dass sie doch am Leben sein könnten.

“Ein Happy End kann es bei drei Toten nicht geben, selbst wenn es für unsere Angehörigen gut ausgeht“, sagt Pastor Reinhard Pötschke (42), Schwager von Johannes Hentschel. Er hat die Rolle des Sprechers für die Großfamilie übernommen. Die Bevölkerung im Jemen, das ist ihm wichtig, habe auf das Verbrechen mit Abscheu reagiert: „Die Jemeniten haben sogar demonstriert, um die Tat als unislamisch zu brandmarken.“

Und in Deutschland? „Wir bekommen Anteilnahme in Form von Briefen, Gebeten, Anrufen. Das tut gut“, sagt Ruth Hentschel. „Unerträglich“ sei für sie hingegen der Tenor einiger Medien-Berichte, in denen die Entführten als fanatische Missionare dargestellt wurden. „Unsere Familie hat nie etwas anderes gemacht, als ihren Glauben zu leben“, sagt die siebenfache Mutter und 16-fache Großmutter.

Die Hentschels seien „Mitglieder der evangelischen Landeskirche, keine religiösen Fanatiker“, erklärt Reinhard Pötschke. Fünf Jahre seien sie bereits im Jemen, hätten größten Respekt und Sympathie für den arabischen Kulturraum. Hasardeure seien sie schon gar nicht. „Greenpeace-Leute, die sich mit kleinen Booten Walfängern entgegenstellen, sind für die Medien Helden. Wenn Menschen aus christlicher Nächstenliebe in einem armen, kriegsgebeutelten Land helfen, wird dies als verantwortungslos dargestellt,“ sagt Pastor Pötschke.

Was die Großeltern, einfache Landwirte, in ihrer Ohnmacht tun konnten, haben sie getan: Über den arabischen TV-Sender al-Dschasira haben sie einen Appell zur Freilassung an die Entführer gerichtet: „Ein Kind zu verlieren, ist für Eltern das Schlimmste. Hören Sie auf den Schrei von verzweifelten Eltern.“

Zur goldenen Hochzeit hatten die Kinder für ihre Großeltern gebastelt und ein Lied gesungen. Für den 18. August war der Heimaturlaub geplant, die Flugtickets waren schon gekauft. Lydia und Anna wollten für Oma wieder Gänseblümchen pflücken.