07.09.2009

Sudan: Haft für Tragen einer Hose?

IGFM: Auspeitschungen abschaffen, Scharia-Kleiderordnung ist Anachronismus

Sudan: Haft für Tragen einer Hose?

IGFM: Auspeitschungen abschaffen, Scharia-Kleiderordnung ist Anachronismus

 

 

 

Khartum - Frankfurt am Main - (7. September 2009) – Weil sie eine Hose getragen hatte, ist am heutigen Montag, den 7. September, die sudanesische Journalistin Lubna Ahmed al-Hussein von einem Gericht in Khartum zu einer Geldstrafe von umgerechnet rund 140 Euro verurteilt worden. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) nannte das Urteil einen Verstoß gegen internationale Rechtsstandards und einen schweren Rückschlage für die Rechte von Frauen. Die IGFM wies darauf hin, dass selbst nach sudanesischem Recht für Frauen das Tragen von Hosen nicht explizit verboten sei. “Unmoralische Kleidung” würde aber mit Peitschenhieben und Bußgeld bedroht.

Der Vorstandssprecher der IGFM, Martin Lessenthin, kritisierte scharf, dass die Anwendung des Paragraphen 152 im Sudan völlig willkürlich sei. „Peitschenhiebe, Bußgelder und Haftstrafen für Frauen, die Hosen tragen sind ein barbarischer Anachronismus und verstoßen eklatant gegen die Menschenrechtsstandards der Vereinten Nationen. 

Al-Hussein war am 3. Juli mit 12 weiteren sudanesischen Frauen und Mädchen auf einer privaten Feier verhaftet worden - die Frauen trugen Hosen. Nach Einschätzung der IGFM sah das Gericht nur wegen des hohen internationalen Interesses von der sonst üblichen und vielfach vollstreckten Auspeitschung ab. Laut ihrer Anwälte will Lubna al-Hussein die Strafe jedoch nicht zahlen und falls nötig, die für diesen Fall angedrohte einmonatige Haftstrafe absitzen. Die Journalistin wollte gerichtlich feststellen lassen, dass das Tragen von Hosen rechtmäßig ist. Sie will weiter dafür kämpfen.

Unterstützt wurde al-Hussein von dutzenden von Frauen, die vor dem Gerichtssaal in Khartum protestierten und von denen viele ebenfalls Hosen trugen. Gegen sie gingen Polizisten gewaltsam vor und verhafteten mehrere von ihnen.

§ 152 gegen “unmoralische Kleidung”

Der Präsident des Sudan, der 1989 durch einen Militärputsch an die Macht gekommene General Omar Hassan al-Bashir, ließ unter seiner Herrschaft das sudanesische Strafrecht erweitert. Dazu gehört der Paragraph 152:

"Sind Handlungen oder Verhalten in der Öffentlichkeit unangemessen und unschicklich, z.B. Betrunken-heit, Schande [sic!], Prostitution, unmoralische Kleidung etc., dann soll die Person folgende Strafe erhalten: Auspeitschung und/oder Bußgeld."

Dieser sehr weit auslegbare Paragraph des sudanesischen Strafrechts ist Teil der Gesetzgebung zu ungebührlichem Verhalten. Er enthält keine näheren Erläuterungen und keine Begrenzung der Zahl der Peitschenhiebe oder des Bußgeldes.

Hintergrund

Am 3. Juli hatten rund 30 Beamte der “Polizei für Öffentliche Ordnung” die Journalistin der sudanesischen liberalen Zeitung Al-Sahafa (zu Deutsch: “Die Presse”) und Mitarbeiterin der UNO im Sudan, Lubna al-Hussein, sowie 12 weitere hosentragende Frauen während einer privaten Feier aus dem Restaurant Kawkab Alsharq in Khartum gezerrt. 300-400 Restaurantgäste waren anwesend, darunter Männer, Frauen und Kinder. Die Frauen wurden gewaltsam von den Polizisten auf die Ladefläche eines Polizeilastwa-gens gedrängt und umgehend auf eine Polizeistation gebracht. Dort mussten sie sich einer erniedrigenden Behandlung unterziehen. Dazu gehörte nach Aussagen eines Polizisten auch eine “Modenschau” bei der männliche Polizeibeamte entschieden, welche Kleidungsstücke sie als “unsittlich” erachteten. Zehn der Frauen waren so verängstigt, dass sie einer Geldstrafe und zehn Peitschenhieben sofort zustimmten. Al-Hussein, sowie zwei weitere Frauen, beriefen sich jedoch auf ihr Recht auf einen Anwalt und verlangten eine Verhandlung.

Während ihrer ersten Verhandlung am 29. Juli wurde al-Hussein auf Grund ihres UN-Mitarbeiter-Status Immunität zugesprochen. Diese in Anspruch zu nehmen, lehnte die Journalistin jedoch ab, um mit ihrem Fall für das Recht auf selbstbestimmte Kleidung zu kämpfen. Sie kündigte ihre Stelle bei den Vereinten Nationen, um das Verfahren weiterführen zu können.

Zu ihrer Verhandlung und möglichen Auspeitschung hatte die Sudanesin 500 Einladungskarten an Jour-nalisten, Bürgerinnen und Bürger, sowie Minister verschickt. Drei davon waren an den Präsidentenpalast in Khartum gesandt worden. Auf die Karten hatte al-Hussein den Paragraphen 152 des sudanesischen Strafgesetzes gedruckt, der die Grundlage ihrer Anklage ist. Al-Hussein möchte beweisen, dass Strafen für Frauen, die Hosen tragen, mit der sudanesischen Verfassung, sowie mit den Werten der Scharia nicht vereinbar sei. Vor ihrer Strafe, betonte al-Hussein, habe sie “absolut keine Angst”, sondern sie wäre bereit auch mehr als 40 Peitschenhiebe über sich ergehen zu lassen, wenn das nötig sei, um die bisherige Rechtspraxis zu ändern. Sie erläuterte, dass vor ihrem Fall schon „zehntausende“ Frauen und junge Mädchen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausgepeitscht worden seien. Deshalb kämpfe sie nun dafür, den Paragraphen abzuschaffen.

Die sudanesische Regierung untersagte al-Hussein eine Reise in den Libanon, um ein Fernsehinterview über den Fall und ihre Verhandlung zu geben. Das französische Außenministerium hat die Festnahme und Bestrafung der Frauen in einer offiziellen Erklärung verurteilt.

“gesellschaftliche Hinrichtung”

Lubna al-Hussein sagte über ihren Fall: "Ich möchte, dass die Menschen wissen, was hier geschieht. Mein Fall ist der Fall der 10 Frauen, die an jenem Tag ausgepeitscht wurden. Er ist der Fall von zehn, Hunderten und sogar Tausenden von Frauen, die täglich, monatlich und jährlich von staatlichen Gerich-ten wegen ihrer Bekleidung ausgepeitscht werden. Diese Frauen verlassen die Gerichte gedemütigt, weil die Gesellschaft nicht glaubt und nie glauben wird, dass diese Frauen lediglich wegen ihrer Bekleidung ausgepeitscht wurden. Das Ergebnis ist eine gesellschaftliche Hinrichtung der Familie der ausgepeitschten Frau (...) Dazu kommt noch das Trauma und die Schmach, die die ausgepeitschte Frau lebenslang quälen können." Auch die IGFM unterstrich die entwürdigenden Natur der Peitschenhiebe: „Wenn eine Frau ausgepeitscht wurde, ist sie gesellschaftlich ruiniert. Wir hoffen, dass dieser Prozess ein Weckruf sein wird“, erläuterte Martin Lessenthin, der Vorstandssprecher der IGFM.