06.08.2010

Syrien: Wo Gott weint: Christen und Muslime

Interview mit Erzbischof Samir Nassar

Syrien: Wo Gott weint: Christen und Muslime

Interview mit Erzbischof Samir Nassar

SyrienDamaskus, Syrien – (Zenit.org): Erzbischof Samir Nassar von Damaskus begleitet eine kleine Minderheit von Christen in Syrien. Der Erzbischof, der gerade 60 Jahre alt wurde, steht seit 2006 im Dienst dieser ältesten christlichen Kirche. In einem vom katholischen Radio- und Fernsehnetzwerks (CRTN) in Zusammenarbeit mit „Kirche in Not“ durchgeführten Interview für die Fernsehsendung „Wo Gott weint“ sprach Erzbischof Nassar über die Schwierigkeiten, der die Kirche in Damaskus gegenübersteht, aber auch über die Gründe zur Hoffnung. Der erste Teil dieses Interviews erschien gestern: Damaskus: Vom Saulus zum Paulus bis heute.

Die Kirche in Syrien steht Herausforderungen gegenüber. Können Sie einige davon nennen, mit denen Sie als eine Minderheit in einem mehrheitlich muslimischen Umfeld konfrontiert sind?Erzbischof Nassar: Die größte Herausforderung ist, dass wir nur eine sehr kleine Minderheit von 5 bis 8 Prozent sind; es gibt nur sehr wenige Christen in einer überwiegend muslimischen Gesellschaft. Die Muslime zwingen uns nicht, uns zu bekehren, aber wenn zum Beispiel eine christliche Familie in einem Gebäude mit 12 muslimischen Familien lebt, spielen die Kinder mit ihren Kindern, gehen mit ihren Kindern zur Schule und nach und nach lernen sie den muslimischen Glauben besser kennen als ihren christlichen. Wir verlieren unsere Präsenz, weil wir nur wenige sind und weil wir nicht genügend Unterstützung vor Ort haben, um zusammenzukommen, um unseren Glauben zu stärken, unsere Kinder zu lehren und sie in unseren lokalen Kirchen zu behalten.

Ein christliches Kind geht in die örtliche Schule, in der die meisten Kinder Muslime sind und die christlichen Kinder werden im Koran und dann im Islam unterrichtet. Werden sie so nicht zu Muslimen?Erzbischof Nassar: Nach und nach lernen sie über den Koran und Mohamed mehr als über Jesus Christus. Sie erhalten eine Stunde Katechese, und dafür müssen wir einen Bus oder ein Auto stellen, um sie abzuholen und zurückzubringen. Manchmal kommen sie und manchmal nicht, dazu ist eine Stunde Religionsunterricht nicht genug. So versuchen wir herauszufinden, wie unsere Kirche in diesem Land der Bibel lebendig bleiben kann.

Ein anderes Problem besteht darin, dass entsprechend dem islamischen Glauben eine junge Frau, wenn sie einen jungen muslimischen Mitbürger heiraten möchte, konvertieren muss.Erzbischof Nassar: Ja, das ist ein Problem, und wenn ein christlicher Mann ein muslimisches Mädchen heiraten will, muss er auch zum Islam übertreten. Dies ist ein sehr altes Gesetz, und wir können es nicht ändern. Niemand zwingt diesen Mann ein muslimisches Mädchen zu heiraten, aber wenn 95 Prozent der Mädchen muslimisch sind und 5 Prozent Christinnen, hat er mehr Auswahl auf der Seite der 95 Prozent. Wenn er dann eine von ihnen heiratet, verringert sich auf diese Weise auch die Zahl der Christen.

Wie sieht es mit Bekehrungen aus? Gibt es Muslime, die an einer Aufnahme in die maronitische katholische Kirche interessiert sind? Wie würden Sie auf den Wunsch nach Konversion reagieren, da im Islam Übertritt mit dem Tode bestraft wird?Erzbischof Nassar: Das ist Fanatismus. Jedoch kommen viele Muslime in unsere Kirche, sie lernen den Katechismus, nehmen an unseren Treffen teil, aber sie können nicht getauft werden. Wenn sie wollen, können sie in ihrem Herzen Christen sein, aber sie können sich dazu nicht öffentlich bekennen.

Sie sind also geheime, versteckte Christen?Erzbischof Nassar: Sie dürfen es nicht zeigen, aber wir empfangen sie mit offenem Herzen. Einige von ihnen kommen zur täglichen Messe, den Bibelstunden und dem Katechismusunterricht. Sie kommen, aber sie müssen äußerlich Muslime bleiben.

Sie müssen deshalb als Kirche sehr vorsichtig sein. Wenn ein junger Mensch zu Ihnen kommt und konvertieren möchte, was würden Sie in diesem Fall tun?Erzbischof Nassar: Ich kann ihn empfangen, aber ich kann ihn nicht taufen, sonst werde ich Schwierigkeiten mit der Regierung bekommen. Die Kirche von Damaskus ist jedoch ein glückliche Kirche. Wir sind nicht viele, aber wir sind eine sehr aktive und sehr dynamische kleine Kirche, und wir haben ein sehr schönes ökumenisches Miteinander. Die neun Bischöfe in Damaskus, fünf orthodoxe und vier katholische, arbeiten zusammen. Wir treffen uns einmal im Monat, um über unsere pastorale Arbeit auszutauschen, miteinander zu beten und unsere pastorale Arbeit zu organisieren. Das ist wirklich sehr gut. Die Menschen, die zu meiner Messe kommen, sind nicht nur Katholiken, sondern auch Orthodoxe und andere Christen. Auch besuchen meine Gläubigen die Messe in der orthodoxen Kirche, das lässt uns beinahe zu einer Familie werden.

Was wäre der Nahen Osten ohne Syrien? Die katholische Kirche im Irak ist gewissermaßen im Verschwinden begriffen und das gleiche gilt für den ganzen Nahen Osten außer dem Libanon. Aber auch im Libanon gehen die jungen Leute weg.Erzbischof Nassar: Wenn wir auf den Nahen Osten schauen, sehen wir, dass es augenblicklich Krieg zwischen der Türkei und Kurdistan, Krieg im Irak, Krieg zwischen den Palästinensern und Israel und Krieg im Libanon gibt. Syrien ist das einzige friedliche Land in diesem Gebiet. Darum kommen so viele nach Syrien, weil es der einzige friedliche Ort zum Leben, zum Arbeiten, zum Beten und zum Studieren ist. Damaskus ist eine Universitätsstadt. Ohne Syrien würde die Mehrheit der Menschen den Nahen Osten verlassen. Sie würden fortgehen und auswandern.

Haben Sie Hoffnung für die Kirche?Erzbischof Nassar: Ich muss sie haben, weil wir die Kirche der Hoffnung sind. Wir dürfen nicht pessimistisch sein. Darin besteht unser Glaube. Wir haben Märtyrer zu sein. Ich sehe einige irakische Christen, die trotz der Verfolgung glücklich sind. Jesus Christus war schließlich auch ein Flüchtling und ein Märtyrer und er gibt mir die Kraft für meinen Glauben in dieser Welt. Und es ist sehr schön zu zeigen, wie wichtig es ist, dass wir bleiben.

Dieses Interview wurde von Mark Riedemann für die wöchentliche Fernseh- und Radiosendung „Wo Gott weint“ des katholischen Radio- und Fernsehsenders Networt in Zusammenarbeit mit dem internationalen katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ geführt.

Übersetzung aus dem Englischen von Iria Staat

www.zenit.org/rssgerman-21144

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