15.12.2010

Afghanistan: Schwere Vorwürfe gegen Rotes Kreuz

Said Musa arbeitete 15 Jahre lang für das Kabuler Büro des Internationalen Roten Kreuzes.

Afghanistan: Schwere Vorwürfe gegen Rotes Kreuz

Said Musa arbeitete 15 Jahre lang für das Kabuler Büro des Internationalen Roten Kreuzes.

 

Kabul (idea) – In Afghanistan ist ein Christ muslimischer Herkunft wegen seines Glaubenswechsels seit über einem halben Jahr ohne formelle Anklage und ohne Rechtsbeistand in Haft.

Im Gefängnis wird der 45-jährige Said Musa nach eigenen Angaben sexuell missbraucht, misshandelt und gedemütigt. Freunde der Familie erheben schwere Vorwürfe gegen das Kabuler Büro des Internationalen Roten Kreuzes, für das der beinamputierte Vater von sechs Kindern 15 Jahre lang arbeitete. Die Organisation mit christlichen Wurzeln kümmere sich zu wenig um seinen Angestellten. Der Leiter der Rot-Kreuz-Delegation, Reto Stocker, teilte am 14. Dezember der Evangelischen Nachrichtenagentur idea auf Anfrage mit, dass man den Fall vertraulich behandele und Außenstehenden keine Auskünfte erteile. Das Rote Kreuz stehe in Kontakt mit den afghanischen Behörden und den Familienangehörigen und verhalte sich neutral.

Verhaftung nach Fernsehbericht über Taufe

Musa war vor acht Jahren zum christlichen Glauben gekommen. Am 31. Mai wurde er verhaftet, nachdem der afghanische Fernsehsender Noorin TV eine Taufe von Muslimen gezeigt hatte. Die Reportage hatte drastische Reaktionen bis in höchste Regierungskreise ausgelöst. So forderte der stellvertretende Parlamentspräsident Abdul Sattar Khawasi, dass die Afghanen, die in dem Video gezeigt wurden, öffentlich hingerichtet werden sollten. Etliche Christen muslimischer Herkunft flohen aus dem Land oder tauchten unter. Afghanistan gilt als eines der strengsten islamischen Länder. Dem Religionsgesetz, der Scharia, zufolge ist der Abfall vom Islam verboten; dafür droht im härtesten Fall die Todesstrafe.

Vorwurf: Rotes Kreuz ließ Angestellten im Stich

Entwicklungshelfer, die der Familie Musa nahestehen, beschuldigen in idea vorliegenden Schreiben das Rote Kreuz in Kabul, einschließlich des Delegationsleiters Stocker, sich nach Musas Verhaftung kaum um ihn gekümmert zu haben. Bis Ende Juli habe das Rote Kreuz noch nicht einmal sagen können, in welchem Gefängnis sich der Angestellte befinde. Musas Ehefrau habe dies erst am 27. Juli von einem entlassenen Mitgefangenen erfahren. Im Rotkreuz-Büro habe man ihr mitgeteilt, dass man nichts tun werde, um die Freilassung ihres Mannes voranzutreiben. Stocker habe in einem Gespräch am 16. August betont, dass sich seine Organisation neutral verhalte und sich an die afghanischen Gesetze halte. Man sollte den Fall nicht an die Öffentlichkeit bringen. Nach Angaben der Entwicklungshelfer haben Vertreter des Roten Kreuzes erst Anfang November Musa im Gefängnis besucht, aber keine an ihn gerichteten Briefe zugestellt. Allerdings besuchten Mitarbeiter der US-Botschaft Musa. Traditionell gehört es zu den Aufgaben des Roten Kreuzes, Gefangene zu besuchen, wie dies etwa im US-Militärgefängnis Guantanamo geschehen ist.

Rotes Kreuz: Pflichten als Arbeitgeber erfüllt

Der Pressesprecher des Roten Kreuzes in Kabul, Bijan Frederic Farnoudi, teilte am 15. Dezember idea auf Anfrage mit, dass man den Pflichten als Arbeitgeber gegenüber dem seit über einem halben Jahr inhaftierten Angestellten nachkomme. Man habe Musa wiederholt im Gefängnis besucht und werde das auch weiter tun. Es sei nicht Aufgabe eines Arbeitgebers, Briefe in eine Haftanstalt weiterzuleiten. Dazu könne sich jeder an die Gefängnisbehörden wenden. Farnoudi gab keine Auskunft darüber, seit wann man in Kontakt mit dem Inhaftierten stehe.

Richter findet Mängel in der Anklageschrift

Musa wurde einem Bericht des Informationsdienstes Compass Direct zufolge zuletzt am 27. November mit Handschellen gefesselt einem Richter vorgeführt. Dieser befand, dass die Unterlagen für eine formelle Anklage wegen illegalen Religionswechsels nicht ausreichten und bat die Staatsanwaltschaft um Korrekturen und Ergänzungen. Unter den 28,4 Millionen Einwohnern Afghanistans leben nach Angaben des Hilfswerk Open Doors etwa 10.000 Christen, darunter auch Afghanen muslimischer Herkunft.