19.12.2010

Islam: Zwischen Staat und Scharia

Verhindert der Islam eine Integration der Gläubigen in westlichen, demokratischen Gesellschaften? Wie groß ist der Einfluss konservativer Imame? Eine Bestandsaufnahme. von Angelika Wölk

Islam: Zwischen Staat und Scharia

Verhindert der Islam eine Integration der Gläubigen in westlichen, demokratischen Gesellschaften? Wie groß ist der Einfluss konservativer Imame? Eine Bestandsaufnahme. von Angelika Wölk

 

 

 

Essen - Ein Problem scheinen vor allem die Über kein anderes Thema wird in diesen Wochen so heftig gestritten wie über das Thema Integration von muslimischen Einwanderern. Das zumindest legen die Verkaufszahlen des Buches von Thilo Sarrazin nah. Bisher allerdings wird das Zusammenwachsen vor allem unter sozialen und kulturellen Aspekten diskutiert. Die Frage, ob die Religion, ob der Islam Muslime daran hindert, sich in eine demokratische, christlich ge­prägte Gesellschaft zu integrieren, wird kaum diskutiert. Dabei gibt es Islam-Theologen, die genau dies predigen.

Doch Islam-Forscher warnen eindringlich davor, die Auffassung dieser sehr konservativen, ganz an der Tradition orientierten Islam-Gelehrten auf alle Muslime in Deutschland zu übertragen.

„Die Mehrheit will als Bürger in diesem Land leben!“

Auch der Islam-Kritiker und Publizist Hamad Abdel-Samad hält den Einfluss dieser strenggläubigen Islam-Gelehrten auf die Muslime hier für verschwindend gering. „Diese Gelehrten sind für die meisten Muslime hier nicht maßgeblich. Für sie spielt die Religion eine private Rolle. Das heißt, sie erheben keine juristischen Ansprüche, etwa auf die Be­achtung der Scharia.“

Es seien Islam-Verbände, die anders denken. „Sie erwecken den Eindruck, alle Muslime seien streng gläubig. Aber die Mehrheit der Muslime hier ist nicht in den Verbänden or­ganisiert“, sagt der Autor des Buches „Der Untergang der islamischen Welt“. Genauso sieht das die Islam-Kritikerin und Publizistin Nec­la Kelek. „Die Mehrheit der Muslime will mit den konservativen, an der Scharia ori­entierten Verbänden nichts zu tun haben. Die Mehrheit will als Bürger in diesem Land leben!“

Verbände als Problem

Auch für sie sind nicht die Muslime, sondern Islam-Verbände das Problem. „Die deutschen Islam-Verbände im Koordinierungsrat der Muslime berufen sich in ihrer Satzung auf ,Koran und Sunna’ (Gebrauch der Verhaltensweisen, d. Red.) als Richtschnur ihres Handelns. Die türkischen Regierungstheologen lehnen eine Reform des Islam ab, obwohl es dort auch internen Streit um Interpretationen gibt.“ Am reaktionärsten jedoch, sagt die Soziologin, seien die Wahabiten, die Salafisten und die Muslimbrüder, die den Koran wörtlich leben wollten. „Diese Gruppierungen und Sekten werden vor allem aus Saudi-Arabien un­terstützt und finanziert.

Aber auch im Zentralrat der Muslime, der sich nach außen als liberal gibt, finden sich Islamisten, das heißt Vertreter des politischen Is­lam.“ Und sie stellt fest: „Die Is­lamverbände reden, was man von ihnen hören will, aber in den Mo­scheen und Koranschulen vermitteln sie unkontrolliert eine Weisheit, die alles andere als demokratiefreundlich ist.“

Marginaler Einfluss

Auch Rauf Ceylan, der neue Lehrstuhl-Inhaber an der Universität in Osnabrück, der die künftigen Imame ausbildet, die Islam-Unterricht an öffentlichen Schulen geben sollen, hält den Einfluss von streng konservativen Islam-Gelehrten auf Muslime in Deutschland für marginal. „Man darf die religiöse Kompetenz der Muslime nicht überschätzen“, empfiehlt er. „Die Bertelsmann-Studie hat zwar ergeben, dass Muslime religiös sind“, sagt der Islam-Professor, „aber es gibt keinen Automatismus zwischen religiös und kompetent. Die meisten Muslime haben einen Volks-Islam. Das ist ein Mix aus Bräuchen, Überlieferung und vielleicht einer Portion Aberglauben. Nur in Kreisen der Eliten gibt es einen in­tellektuellen Diskurs über die Theologie.“ Gerade deshalb sei es wichtig, Islam-Lehrstühle in Deutschland einzurichten. „Wir haben keine systematische Auseinandersetzung oder wissenschaftlichen Dis­kurs über den Is­lam“, bedauert der Islam-Forscher. Denn eine Theologie, die einen aufgeklärten Islam oder einen Islam im europäischen Kontext lehre, müsse erst etabliert werden.

Der Geschäftsführer der Arbeitsstelle für den christlich-islamischen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz (Ci­bedo), Peter Hünseler, schätzt den Anteil der Muslime hier, die sich an einer dogmatischen Richtung des Islam orientieren, auf etwa 15 Prozent. „80 bis 85 Prozent aller Muslime versuchen jedoch einen Islam zu leben, der nicht im Konflikt mit den Verhältnissen hier steht“, so die Ergebnisse seiner Untersuchungen.

Diese Größenordnung stimme mit den Schätzungen des Bundesinnenministers überein. „80 bis 85 Prozent unserer Muslime orientiert sich an Werten wie, Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht lügen’. Von unserem Staat werden Religionsgemeinschaften sehr positiv be­trachtet. Die genannten Werte der Muslime zeigen, dass auch der Islam staatstragend sein und die Integration unterstützen kann.“

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