21.12.2010

Pakistan: Tod für Beleidigung Mohammeds

Islamisten in Pakistan machen den Fall der Christin Asia Bibi zur Machtprobe zwischen Fundamentalisten und der Regierung

Pakistan: Tod für Beleidigung Mohammeds

Islamisten in Pakistan machen den Fall der Christin Asia Bibi zur Machtprobe zwischen Fundamentalisten und der Regierung

 

Asia und ihre Familie schweben so lange in Lebensgefahr.

Wie ein Dieb huscht Ashiq Masih ins Zimmer, ein altes Wolltuch tief ins Gesicht gezogen, damit man ihn nicht erkennt. „Es ist sicherer nach Einbruch der Dunkelheit“, hatte der 50-Jährige gesagt.

Wir treffen uns in einem christlichen Slumviertel, am Rande einer der gesichtslosen Provinzstädte Pakistans. Von der dunklen Gasse geht man direkt in den einzigen Raum, der zugleich als Wohn-, Ess- und Schlafzimmer dient. Durch die Ritzen zieht die Winterkälte. Auf dem Fernseher steht ein Holzkreuz, an den nackten Wänden hängen Bilder von Jesus Christus und der Jungfrau Maria. In der Ferne hört man den Ruf des Muezzins.

Unruhig blickt Ashiq um sich. Er sieht gehetzt aus. Seit Monaten versteckt er sich mit seinen Kindern. Alle paar Tage wechseln sie den Unterschlupf. Anonyme Anrufer beschimpfen und bedrohen sie. Ashiq ist der Mann von Asia Bibi – jener Christin, die Anfang November zum Tod am Galgen verurteilt wurde, weil sie anstößige Sätze über den Propheten Mohammed gesagt haben soll. Blasphemie lautet die Anklage. Ein Mullah hat ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. „Die Situation ist kritisch“, sagt ihr Anwalt. „Sehr, sehr kritisch.“ Die ganze Familie sei in Lebensgefahr. Und alle, die ihnen helfen.

Die Geschichte beginnt im Juni 2009 mit einem banalen Zwist zwischen Nachbarinnen. Asias Ziege büxt aus und zerstört den Futtertrog auf dem Nachbaranwesen. Asia und die Nachbarin zanken sich deswegen. Tage später wird Asia von ihrem Landherrn zum Wasserholen geschickt. Die Nachbarin und andere Frauen weigern sich, das Wasser zu trinken. Es sei „verseucht“, weil eine Nicht-Muslimin es angerührt habe, sagen sie.

Bei einem erneuten Streit soll Asia die verhängnisvollen Sätze gesagt haben: Der Prophet habe seine erste Frau Chadidscha nur wegen ihres Geldes geheiratet. Und der Koran sei kein heiliges Buch, sondern eine menschengemachte Idee. Vielleicht hat sie aber auch nur referiert, was als überliefert gilt: Dass Mohammed arm gewesen sei, bevor er die reiche Witwe Chadidscha, heiratete. Vielleicht hat sie auch gar nichts von alledem gesagt, wie sie nun vor Gericht beschwört.

18 Monate Einzelhaft 

Fünf Tage nach dem Vorfall klagt der Dorf-Mullah Asia über Lautsprecher der Blasphemie an. Ein Mob rottet sich zusammen und verprügelt sie, die Polizei nimmt die Frau fest, der Mullah erstattet Anzeige. Seit 18 Monaten sitzt Asia in Einzelhaft. Anfang November verurteilt ein Richter sie zum Tod. Er zieht nicht einmal in Betracht, dass die Nachbarin sie fälschlich beschuldigt haben könnte. Asia ist nun ein Aktenzeichen. „Kaste: Christ“ steht dahinter. Vielleicht ist es ein Versehen – Christ ist keine Kaste.

Die Großeltern von Asia und Ashiq waren Hindus und unter den Briten zum Christentum konvertiert, um dem Kastensystem zu entfliehen. Viele Christen sind Dalits („Unreine“), wie die Unberührbaren heute heißen. Das bedeutet: Christen – 2,4 Millionen leben in Pakistan – stehen in der Hackordnung oft ganz unten.

Vor einigen Wochen gab es Berichte, dass Pakistans Präsident Asif Ali Zardari die 45-jährige Asia begnadigen werde. Doch das Gericht von Lahore blockierte diese Möglichkeit. Asias Fall müsse erst den Weg durch die Instanzen gehen, befanden die Richter.

Umstrittene US-Strategie

US-Militärführer wollen nach einem Bericht der New York Times häufiger amerikanische Kommandotruppen im unruhigen pakistanischen Grenzgebiet einsetzen. Diese „riskante Strategie“ sei ein Zeichen für die Unzufriedenheit mit den Regierungsbemühungen, die Aufständischen dort zu bekämpfen. Die Nato dementierte den Times-Bericht.

Die Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan gelten als Rückzugsgebiet der Taliban und des Terrornetzwerkes Al-Kaida. US-Drohnen der CIA fliegen in dieser Region Angriffe gegen Extremisten. Der Plan, die Einsätze zu intensivieren, ist bisher noch nicht abgesegnet.

Die Befürworter betonen, dass Spezialeinheiten am Boden Extremisten fangen und in Afghanistan verhören könnten. Die Strategie sei umstritten, schrieb die Times. Der Schaden könne größer sein als der taktische Gewinn. dpa

Die Islamisierung Pakistans begann unter dem Militärdiktator Zia ul-Haq, der von 1977 bis 1988 das Land mit seinen 172 Millionen Einwohnern regierte. Aus dieser Zeit stammen die Blasphemie-Gesetze, von Menschenrechtlern „Schwarze Gesetze“ genannt. Sie verbieten, den Propheten Mohammed zu beleidigen, definieren allerdings nicht, was als Beleidigung gilt. Insofern bedrohen sie jeden mit dem Tod, der gegen die vage gehaltenen Bestimmungen verstößt. Die Gesetze werden missbraucht, um Minderheiten zu terrorisieren, um sich unliebsamer Nachbarn zu entledigen und ihnen ihr Land zu nehmen.

Menschenrechtler und internationale Organisationen fordern seit langem, die Blasphemie-Gesetze abzuschaffen oder zumindest zu entschärfen. Doch die zivile Regierung wagt nicht, sie anzutasten. Sie ist schwach und die Mullahs werden stärker. 96 Prozent der Pakistanis sind Moslems, der Islam ist Staatsreligion in Pakistan.

In Pakistan werden alle religiösen Minderheiten verfolgt, nicht nur Christen. Auch muslimische. Moscheen der Ahmadis sind Ziel blutiger Anschläge, heilige Schreine der Sufis werden in die Luft gesprengt. Laut der Zeitung Express Tribune sitzen derzeit in der Provinz Punjab 130 Menschen wegen Blasphemie-Vorwürfen hinter Gittern – nur acht davon seien Christen, der Rest Moslems. Zwar wurde noch nie jemand wegen Blasphemie hingerichtet, aber mehr als 30 Menschen wurden von Fanatikern gelyncht.

Die Islamisten wollen den Fall Asia Bibi zur Machtprobe eskalieren lassen. An ihre Spitze hat sich der berüchtigte Hardliner Maulana Yousuf Qureshi gesetzt, der 2006 bereits eine Mordprämie auf den dänischen Mohammed-Cartoonisten Flemming Rose ausgesetzt hatte. Er versprach jedem 50.000 Rupien (rund 4400 Euro) Kopfgeld, der Asia tötet. Bis heute wurde gegen den Hassprediger nicht einmal ein Strafverfahren eingeleitet, so groß scheint die Angst der Regierenden vor den Fundamentalisten.

Zum Abschuss freigegeben

Ashiq hofft nun auf die nächsthöheren Gerichte. Doch das Berufungsverfahren kann sich noch Monate, gar Jahre, hinziehen. Selbst wenn Asia am Ende freigesprochen oder begnadigt wird, ist der Alptraum nicht vorbei. Die Familie wird in Pakistan nie wieder sicher sein. Die Mullahs haben sie zum Abschuss freigegeben. „Wir erwarten, dass sie gehängt wird. Und wenn sie nicht gehängt wird, dann werden wir die Mudschaheddin und die Taliban bitten, sie zu töten“, geifert Iman Qureshi.

„Es gibt großen Grund zu der Befürchtung, dass Asia Bibi oder ihre Familie getötet werden“, warnt auch die Asiatische Menschenrechtskommission. In ähnlichen Fällen etwa in Afghanistan sorgten westliche Regierungen oder Kirchen in aller Stille dafür, dass freigelassene Christen Asyl erhielten. Die Frage ist, wer sich im Westen für Asia Bibi zuständig fühlt.

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