01.01.2010

Kirgistan: Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Religionsfreiheit

AKREF/BS – 2.01.2010 - Kurz vor dem Länderüberprüfungsverfahren durch den UN Menschenrechtsrat im Mai 2010 musste Forum 18 feststellen, dass Kirgistan seinen internationalen Verpflichtungen, z.B. zur Achtung der Religions- und Glaubensfreiheit, nach wie vor nicht nachkommt. Im Gegenteil: Seit der Machtübernahme des Präsidenten Bakiev im Jahre 2005 haben in dem Land, dessen 5,5 Millionen Einwohner überwiegend muslimischen Glaubens sind, die Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Grundfreiheiten stark zugenommen. So trat im Jahre 2009 trotz internationaler Kritik ein neues, höchst restriktives Religionsgesetz in Kraft.

Obwohl das neue Gesetz durch massive Einschränkungen der Religions- und Glaubensfreiheit sowie Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit gegen die Verfassung verstößt, wurde eine Klage beim kirgisischen Verfassungsgerichtshof abgewiesen. Dies ist nur eines von vielen Anzeichen dafür, dass der Staat Kirgistan seinen Bürgern und ihren Rechten und Freiheiten mit großem Misstrauen begegnet. Weitere Indizien sind fehlende Transparenz beim Gesetzgebungsverfahren und unzählige schwammige Formulierungen im Gesetzestext selbst, die den ausführenden Behörden und Beamten viel Spielraum für Willkür einräumen.

Für besondere Kontroverse sorgte ein Passus des neuen Religionsgesetzes, demzufolge nur Religionsgemeinschaften zugelassen werden, die bei der Staatlichen Agentur für religiöse Angelegenheiten (SARA) – jetzt in Staatliche Kommission für religiöse Angelegenheiten (SCRA) umbenannt – registriert sind. Für die Registrierung wurde allerdings eine Mindestanzahl von 200 Mitgliedern festgelegt. Diese „Gründungmitglieder“ sind verpflichtet unzählige persönliche Daten wie z.B. Name, Geburtsdatum, Adresse und Arbeitsplatz bekanntzugeben. Zudem hat die Religionsgemeinschaft auch Informationen über Glaubensausrichtung, Riten, finanzielle Lage und Einstellungen zu Ehe und Familie, Bildung und Wehrdienst preiszugeben. Welche Religionsgemeinschaften bzw. Organisationen sich registrieren lassen müssen und ob und – wenn ja, unter welchen Bedingungen – sich bereits registrierte Religionsgemeinschaften erneut registrieren lassen müssen, ist indes unklar. Das Gesetz besagt, dass die Chartas und Gründungsdokumente von religiösen Gemeinschaften, Organisationen oder Missionen keinesfalls gegen die Verfassung und die Gesetze Kirgistans verstoßen dürfen. Die Frage ist, ob dies eine erneute Registrierung erforderlich macht. Einige Beamte meinten auf Rückfrage „nein“, da das Gesetz nicht rückwirkend gilt, andere „ja“ – zumindest wenn Gründungsdokumente oder Charta geändert werden.

Alles andere als eindeutig sind auch die Definitionen der Gründe, aus denen eine Registrierung verweigert werden kann. Zu den angegebenen Gründen zählen: religiöser Fanatismus und Extremismus; Tätigkeiten, die auf Opposition und Hass zwischen Religionsgemeinschaften ausgerichtet sind; Verweigerung der medizinischen Hilfeleistung; sowie Gefährdung der staatlichen Sicherheit. Diese unklaren Formulierungen geben nicht nur viel Spielraum für Willkür, sie verletzen auch internationale Verpflichtungen, u.a. da der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) „nationale Sicherheit“ als Grund für die Beschneidung der Religions- und Glaubensfreiheit ausschließt.

Doch eben diese Religionsfreiheit wird durch das neue Gesetz in vielerlei Hinsicht verletzt. So verbietet es jegliche missionarische Tätigkeiten und schränkt die Verbreitung von religiösen Texten massiv ein. Alle importierten sowie alle in einer Bibliothek verfügbaren religiösen Texte müssen vom Staat kontrolliert werden. Zudem ist die Verbreitung von religiösen Texten sowie audio-visuellen Materialien in öffentlichen Bereichen (wie z.B. auf der Straße oder in Schulen) verboten.

Besonders schmerzlich für nicht-muslimische Religionsgemeinschaften ist ein Passus, demzufolge Gemeinden und lokale Behörden über die Verwendung der Friedhöfe entscheiden – und damit darüber, ob (und wenn ja, gemäß welchem Ritus) Nicht-Muslime bestattet werden. Auch ist es religiösen Organisationen und Gemeinschaften nur mehr gestattet, über Gebäude, Grundstücke, Geldmittel und Objekte zu verfügen, die für ihre Tätigkeiten „notwendig“ sind. Wobei unklar ist, wie „notwendig“ definiert wird und wer darüber entscheidet, was notwendig ist.

Auch der Bildungsbereich ist betroffen. Das Religionsgesetz erfordert eine Registrierung aller religiösen Bildungseinrichtungen, seien es Universitäten, Koranschulen, Seminare, Sonntagsschulen oder Waisenhäuser, wobei nur registrierte Religionsgemeinschaften derartige Einrichtungen gründen können. Zudem werden religiöse Organisationen von öffentlichen Bildungsstätten verbannt und wird es Kindern verboten, in religiösen Organisationen oder Gemeinschaften tätig zu werden. Diese Einschneidungen in die Religionsfreiheit im Bildungswesen könnten sogar noch weiter verschärft werden, wenn ein von der SCRA entworfenes neues Gesetz über religiöse Erziehung und Bildungseinrichtungen in Kraft tritt, demzufolge Menschen z.B. eine staatliche Erlaubnis benötigen würden, um im Ausland eine religiöse Erziehung zu erhalten. Ob und in welcher Form das Gesetz in Kraft tritt, ist allerdings ungewiss, v.a. auch da es international heftig wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird.

Seit das neue Religionsgesetz im Jänner 2009 in Kraft trat, ist von der SCRA kaum eine Religionsgemeinschaft registriert worden. Dies hat mehrere Gründe: vielen Gemeinschaften ist es unmöglich, 200 Gründungsmitglieder aufzutreiben oder die vielen anderen bürokratischen bzw. willkürlichen Hürden zu überwinden (wie z.B. dass das Gelände einer Religionsgemeinschaft mindestens 1 km von einer Schule und 10 km von einer Moschee entfernt sein muss); einige Glaubensgemeinschaften, wie z.B. viele protestantische Kirchen, weigern sich, das Gesetz anzuerkennen und sich registrieren zu lassen; aber es liegt auch an der ungeklärten Gesetzeslage und daran, dass es bis dato noch keine Regelungen zur Umsetzung des Gesetzes gibt (wobei vom Staat angesichts der internationalen Kritik angekündigt wurde, die Zeit bis zur Veröffentlichung der Regelungen zu nützen, um einige Stellen des Gesetzes zu entschärfen).

Die Konsequenzen einer nicht erfolgten Registrierung könnten schwerwiegend sein. Bisher ist unklar, wie die Behörden vorgehen werden bzw. könnten. Aber das Religionsgesetz verbietet jegliche nicht registrierte Aktivität und sieht strafrechtliche Verfolgungen vor. Einen ersten Vorgeschmack darauf gaben bereits erste Razzien und gerichtliche Vorladungen sowie Besuche von Staatsanwaltschaft, Polizei, Geheimpolizei, Behörden und SCRA bei nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften.

Ein weiteres Anzeichen dafür, dass der Staat auch in Zukunft hart (oder gar noch härter?) gegen Religionsgemeinschaften vorgehen wird, ist die Schaffung eines staatlichen Koordinierungsrates im Kampf gegen religiösen Extremismus. Derzeit ist noch unklar, wie religiöser Extremismus definiert wird und wie der Rat tätig werden wird. Fest steht nur, dass er von der SCRA, dem Innenministerium und der Geheimpolizei geleitet wird und aus Vertretern der Regierung sowie des Muslimischen Rates und der russisch-orthodoxen Kirche bestehen wird. Zudem wurde im Oktober 2009 der Entwurf eines Strategiepapiers zu religiösen Angelegenheiten für den Zeitraum 2009-2015 präsentiert. Ziel ist, externer und interner Bedrohungen durch Religion Herr zu werden. Die Strategie enthält eine Reihe von Maßnahmen, wie z.B. ein neues Gesetz über religiöse Bildung und ein neues Gesetz über traditionelle Religionen, sieht aber auch vor, eine Liste aller verbotenen religiösen Organisationen erstellen und ausländische Missionare jährlich von der Geheimpolizei überprüfen zu lassen.

Obwohl Kirgistan mit dieser Politik – zumindest offiziell – das Ziel verfolgt, den Extremismus einzuschränken, entsteht der Eindruck, dass Extremismus dadurch nur gefördert wird, da die Glaubwürdigkeit radikaler Gruppierungen im Vergleich zur Regierung steigt. In der Tat wirkt es, als wären die Handlungen der Regierung v.a. vom Bestreben geleitet, (auch gegen den Willen des Volkes) an der Macht zu bleiben. Dies haben auch die jüngsten Präsidentschaftswahlen im Juli 2009, die laut OSZE von Behinderungen und Einschüchterung der Opposition sowie zahlreichen Ungereimtheiten gekennzeichnet waren, gezeigt.

All dies macht deutlich, dass Kirgistan kaum gewillt scheint, internationale Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte umzusetzen, ungeachtet dessen, dass wahre Sicherheit nur durch Achtung der Menschenrechte möglich ist. Und so bleibt am Ende nur die Frage, warum in Kirgistan – einem Land, das mit so schwerwiegenden Problemen wie Armut, AIDS, Kriminalität und Korruption zu kämpfen hat – die Regierung so viel Kraft dafür aufwendet, Gläubigen das Leben zu erschweren.

Quellen: Forum18