10.01.2010

Iran: Verfahren gegen Bahá’í-Führung am 12. Januar

Shirin Ebadi: „In einem rechtsstaatlichen Verfahren würden diese Menschen sofort frei kommen.“

Iran: Verfahren gegen Bahá’í-Führung am 12. Januar

Shirin Ebadi: „In einem rechtsstaatlichen Verfahren würden diese Menschen sofort frei kommen.“

 

 

 

Frankfurt am Main – Teheran (11. Januar 2010) – Am morgigen Dienstag, den 12. Januar, findet die Verhandlung gegen die sieben seit März bzw. Mai 2008 inhaftierten Leiter der iranischen Bahá’í-Gemeinde statt. Darauf wies die in Frankfurt ansässige Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) hin. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hatte die sieben führenden Vertreter der Bahá’í als Anwältin vertreten. Gegenüber der IGFM betonte Shirin Ebadi: „In einem rechtsstaatlichen Verfahren würden diese Menschen sofort frei kommen.“ Nach Einschätzung der IGFM versucht die iranische Regierung, eine Pogromstimmung gegen die Bahá’í zu schüren. Der Prozess diene vor allem zur Einschüchterung der Minderheit.

In der Islamischen Republik Iran ist de facto nicht nur Religionslosigkeit verboten, vielmehr sind alle Religionen, die nach klassischer islamischer Rechtsauffassung nicht „anerkannt“ sind verboten. Anerkannt sind neben dem Islam selbst lediglich das Christentum, Judentum und der Zorastrismus. Opfer dieser Politik sind an erster Stelle die Bahá’í, mit schätzungsweise 150.000 – 350.000 Angehörigen die größte nichtmuslimische Minderheit des Landes. Entstanden ist die Bahá’í-Religion auf dem Gebiet des heutigen Iran im 19. Jahrhundert. Sie ist aus dem Islam hervorgegangen, lehnt aber die Scharia – das islamische Rechtssystem – und Polygamie ab. Sie propagiert die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Die iranische Regierung und radikale muslimische Geistliche im Iran sprechen den Bahá’í das Existenzrecht ab.

Unfairer, politischer Prozess erwartet
Der Vorstandssprecher der IGFM, Martin Lessenthin, erwartet eine unfaire, verkürzte Verhandlung und harte Strafen, um die religiöse Minderheit einzuschüchtern und von Kritik an der Regierung abzulenken. Die IGFM forderte darum nachdrücklich eine faire, öffentliche Verhandlung nach internationalen Standards. Die Angeklagten hätten lediglich ihr Recht auf Religionsfreiheit in Anspruch genommen.

Die jüngsten Ausschreitungen im Iran am Ashura-Fest haben die Lage für die inhaftierten Bahá’í nochmals verschärft: Regierungsnahe Medien wie Fars News und die staatliche Jugendzeitschrift Javan News schreiben den Bahá’í die Verantwortung für die Unruhen gegen die iranische Regierung zu. IGFM-Vorstandssprecher Martin Lessenthin sieht dies mit Sorge und deutet die Medienberichte als Hinweis auf den Prozessausgang: „Die Unterstellungen in der staatlichen Presse legen die Vermutung nahe, dass das Urteil vor der Verhandlung schon feststeht.“ 

Shirin Ebadi erklärte im Gespräch mit der IGFM:
„Leider entbehren sie [die Bahá’í] seit der Revolution alle ihre zivilrechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Rechte. Sie dürfen nicht einmal studieren. Sie dürfen keine staatliche Anstellung bekommen (…). Eineinhalb Jahre lang hat man uns die Akteneinsicht verweigert. (…) Die Staatsanwaltschaft hatte die Anschuldigung erhoben, dass diese Sieben für die USA und Israel spioniert haben. Sie wissen, dass das Zentrum der Bahá’í in Haifa liegt. Der Grund dafür ist, dass der Prophet dieser Religion vor 170 Jahren, als das Gebiet zum Osmanischen Reich gehörte, dort verstorben ist. (…) Außerdem wurden sie beschuldigt, sie hätten Geld nach Israel geschickt und seien nach Israel gereist. Die Bahá’í meinten zu Recht, dass es einen Staat Israel noch gar nicht gab, als ihr Prophet dort lebte und starb. Sie hätten Geld für ihr religiöses Zentrum überwiesen, das hätte mit dem Staat Israel doch nichts zu tun.

Ich habe bei einer Begegnung mit dem Staatsanwalt gesagt, dass ein Spion doch in der Regel Geld erhält und nicht Geld zahlt. Wo in der Welt gibt es dass denn, das jemand spioniert und dann auch noch Geld dafür bezahlt. In einem rechtsstaatlichen Verfahren würden diese Menschen sofort frei kommen.“

 

Gezielte Verfolgung der religiösen Minderheit
Seit der Verhaftung der sieben Bahá’í-Führer hat der Druck auf die religiöse Minderheit weiter zugenommen. Derzeit sind nach Angaben der IGFM 48 Mitglieder der Bahá’í-Gemeinde im Iran unter einem Vorwand inhaftiert. 75 sollen auf Kaution auf freiem Fuß sein, aber auf ihren Prozess warten. Zudem sorgt die iranische Regierung dafür, dass Bahá’í durch die Verwehrung von Geschäftslizenzen ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen wird. Viele Bahá’í werden von den Behörden beobachtet und mit Gewalt dazu gezwungen, sich von ihrem Glauben zu distanzieren.

Die Unterstellung der „Spionage“ dient seit über einem dreiviertel Jahrhundert der Verfolgung der Bahá'í im Iran. Seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden sie von Extremisten und Regierungsvertretern als „politische Sekte imperialistischer Regierungen“ bezeichnet, die die Schwächung des Islams zum Ziel habe. So wurden die Bahá'í nacheinander als „Werkzeuge“ mal der russischen, dann der britischen oder amerikanischen Expansionspolitik angeklagt, nun werden sie als „Instrument des Zionismus“ verunglimpft.

 

Hintergrund: Die Bahá’í
Die Bahá’í sind mit schätzungsweise 150.000 – 350.000 Angehörigen die größte nichtmuslimische religiöse Minderheit im Iran. Die iranische Regierung und konservative muslimische Geistliche im Iran sprechen den Bahá’í das Existenzrecht ab. Die Religion der Bahá’í entstand im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des heutigen Iran. Sie versteht sich als Offenbarungsreligion, die frühere Religionen, einschließlich des Islam, anerkennen. Nach klassischer islamischer Rechtsauffassung werden die Bahá’í als häretische Gruppe abgelehnt. In der Islamischen Republik Iran sind sie Opfer systematischer Diskriminierung und Verfolgung. Die Bahá’í lehnen Gewalt und die Scharia – das islamische Rechtssystem – ab, ebenso die Polygamie. Die Frauen der Bahá’í haben die gleichen Rechte wie die Männer.
Mit der islamischen Revolution 1979 verschlechterte sich für viele religiöse Minderheiten die Lebenssituation. Die Bahá’í waren schon zuvor diskriminiert und zum Teil verfolgt worden. Ihre Verfolgung in der Islamischen Republik war und ist allerdings noch systematischer als zuvor. Vor der Revolution existierten im Iran ca. 600 Geistige Bahá’í-Räte, die sich um die Belange der Gemeinden kümmerten. Diese wurden verboten und zerschlagen. Seit 1980 wird jungen Bahá’í der Zugang zu staatlichen und privaten Hochschulen und Universitäten verwehrt. Seit März 1981 wurde die Mitgliedschaft in einem Bahá’í-Verwaltungsgremium oder einer Bahá’í-Gemeinde als Kapitalverbrechen verfolgt. Am 29.8.1983 wurden alle Bahá’í-Verwaltungsgremien offiziell verboten. Anstelle des gewählten aber durch Hinrichtungen dezimierten "Nationalen Geistigen Rates" der Bahá’í, bildete sich inoffiziell eine landesweite Koordinierungsguppe, mit deren Mitgliedern iranische Behörden jahrelang in Kontakt standen.