02.11.2010

Irak: Die Geiselnehmer von Bagdad

IGFM: Ehedrama wahrscheinlich Hintergrund des Verschwindens von Christin Von Michaela Koller

Irak: Die Geiselnehmer von Bagdad

IGFM: Ehedrama wahrscheinlich Hintergrund des Verschwindens von Christin

Von Michaela Koller

 

FRANKFURT, 2. November 2010 (ZENIT.org).- Die für das jüngste Geiseldrama in einer chaldäisch-katholischen Kirche in Bagdad verantwortlichen Terroristen haben die Freilassung zweier christlicher Ägypterinnen gefordert. Bei dem blutig verlaufenden Befreiungsversuch waren am Sonntagabend mehr als fünfzig Menschen getötet worden. Alles deutet darauf hin, dass die Täter persönliche Schicksale im fernen Ägypten dazu benutzten, um ihren „mörderischen Fanatismus" zu rechtfertigen, von dem der deutsche Bischofskonferenzvorsitzende Erzbischof Robert Zollitsch am Montag sprach.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main setzt sich bereits seit Jahren mit dem Phänomen von Christinnen auseinander, die in Ägypten vermisst werden. Nach umfangreichen Recherchen im Zusammenhang mit dem zeitweiligen Verschwinden von Kamilia Shehata Zakher, deren Freilassung die Attentäter von Bagdad ausdrücklich forderten, glaubt Max Klingberg, Ägyptenreferent der IGFM, dass die 24-Jährige mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit geflohen ist, um einer für sie als schrecklich empfundenen Ehe zu entkommen.

Bei seinen Nachforschungen arbeitete er eng mit ägyptischen Frauenrechtlerinnen zusammen, die im Umfeld der Christin recherchierten und dabei zu ganz anderen Ergebnissen kamen, als die muslimischen Fanatiker. Die Sprengstoffattentäter von Bagdad verbreiteten die Version ihrer ägyptischen Gesinnungsgenossen, derzufolge die Frau an einem geheimen Ort von koptisch-orthodoxen Christen in Ägypten versteckt werde, um sie vor dem Übertritt zum Islam abzuhalten.

Es sieht aber so aus, als sei sie zunächst aus eigenem Antrieb untergetaucht. Dafür spricht vor allem der Umstand, dass sich die 24-Jährige bei ihrem Arbeitgeber in den Urlaub abgemeldet hatte, bevor sie nicht mehr gesehen ward. Kamilia Shehata Zakher Lehrerin in Deir Mawas, Mittelägypten, und verheiratet mit Tadros Samaan, einem koptisch-orthodoxen Priester aus Minya, verschwand am 18. Juli dieses Jahres. Nur fünf Tage später spürte sie die ägyptische Staatssicherheit im Haus eines Freundes in Kairo auf; von einer Entführung wollte die junge Ehefrau nichts wissen. Die Beamten führten sie Erkenntnissen der IGFM zufolge gegen ihren Willen zu ihrem Ehemann zurück. Seither ist sie nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden, was weiteren Spekulationen sowohl auf christlicher als auch auf muslimischer Seite Nahrung gibt.

Ihr Mann hatte als Erster behauptet, sie sei während der fünf Tage ihres Aufenthaltes in Kairo gekidnappt worden, um sie zur Konversion zu zwingen. Die Behauptung, die einigen Tumult auslöste und die interreligiösen Spannungen anheizte, rief die Sicherheitskräfte auf den Plan. Der Ehemann hatte sogar eine Demonstration zu ihrer Befreiung aus angeblich muslimischer Hand organisiert. „Angeblich hat er mit seiner Kirche daraufhin Probleme bekommen", berichtet Max Klingberg, der selbst vor Ort über die Situation der Christen wie auch der Frauen recherchierte.

Der Hintergrund für ein mögliches freiwilliges Untertauchen liegt in der ägyptischen Rechtslage begründet, die koptischen Christen die Ehescheidung verbietet. Ägypten kennt keine Zivilehe. Bislang können Ehen nur nach islamischem Schariarecht oder nach christlichem bzw. jüdischem Familienrecht geschlossen werden. Für muslimische Frauen bedeutet dies unter anderem, dass ihr Ehemann sie jederzeit ohne Angabe von Gründen verstoßen kann. Für die christlichen Kopten ist eine Scheidung dagegen praktisch unmöglich, außer sie treten zum Islam über - mit allen rechtlichen Konsequenzen. Aus einem christlichen Botros wurde schon manchmal ein muslimischer Mohammed.

Der Grund zum Religionswechsel ist weithin bekannt in Ägypten, wird aber nicht gerne gehört, könnte das Thema doch die Überzeugung der Mehrheit am Nil erschüttern, dass allein die Ausstrahlungskraft des Koran zum Übertritt veranlasst. Sowohl islamische als auch koptische Autoritäten in Ägypten lehnen die Einführung von zivilen Ehen entschieden ab. Das rein religiöse Eherecht enthält eine Reihe hochgradig problematischer Regelungen. Muslimischen Ehemännern ist es offiziell erlaubt, ihre Ehefrauen mit körperlicher Gewalt zum sexuellen Gehorsam zu zwingen, denn das entspricht der Rechtsauffassung der islamischen Autoritäten in Ägypten. In Ehen nach christlichem Familienrecht sollen die Frauen ihrem Mann zwar ebenfalls „gehorsam" sein - ein Recht zur Züchtigung ihrer Ehefrauen haben koptische Männer jedoch nicht. Falls sie ihre Frauen dennoch schlagen, sind häusliche Gewalt oder Vergewaltigung in der Ehe aber keine Scheidungsgründe.

Gegenwärtig arbeitet die ägyptische Regierung an einem Gesetz zur Vereinheitlichung des christlichen Eherechtes für alle christlichen Denominationen. Für die Ausarbeitung des Gesetzestextes hat die ägyptische Regierung die Koptisch-Orthodoxe Kirche zu Gesprächen eingeladen, wie Klingberg berichtet. Andere Kirchen in Ägypten aber trotz Nachfrage unberücksichtigt gelassen. Die Koptisch-Orthodoxe Kirche repräsentiert die Mehrheit der ägyptischen Christen. Schätzungen über den Bevölkerungsanteil der Christen in Ägypten schwanken zwischen sechs und zehn Prozent.

Permalink: www.zenit.org/article-21742