05.11.2010

Algerien: Gefängnis wegen Nicht-Fastens

Mann wegen Nicht-Fastens zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt

Algerien: Gefängnis wegen Nicht-Fastens

Mann wegen Nicht-Fastens zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt

 

In Algerien wurde ein junger Mann wegen Nicht-Fastens zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, vielen weiteren droht eine ähnliches Urteil. Mit einer Versöhnungscharta möchte das Land die Folgen eines jahrelangen blutigen Bürgerkrieges überwinden, allerdings zu Lasten der religiösen Freiheit im Lande.

Von Bodo Bost

WÜRZBURG, 5. November 2010 (Die Tagespost.de/ZENIT.org).- In Algerien ist der Islam zwar Staatsreligion, es gibt jedoch kein Gesetz, das Nahrungsaufnahme während des Fastenmonats Ramadan bei Gefängnisstrafe verbietet. Dennoch wurde am 22. Oktober der Muslim Bouchouta Fares (27), wegen Nahrungsaufnahme während des Ramadans von einem algerischen Gericht in Oum El Bouaghi, 500 Kilometer südöstlich von Algier, zu zwei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von umgerechnet 1.000 Euro wegen „Verletzung einer der fünf Säulen des Islams" verurteilt. Sein Verbrechen war, dass er während des Fastenmonats Ramadan tagsüber ein Sandwich essen wollte.

Am 5. Oktober waren zwei Christen wegen desselben „Deliktes" von einem Gericht in Ain el Hammam ebenfalls im Osten des Landes in der Kabylei freigesprochen worden. In ihrem Fall hatte der Staatsanwalt sogar drei Jahre Gefängnis gefordert. Weitere Prozesse stehen noch aus. Die Menschenrechtsorganisation „Collectif SOS Libertés" hat die „talibanischen Verirrungen" der algerischen „Inquisition" aufs Schärfste verurteilt. Noch vor ein paar Wochen hatte der algerische Ministerpräsident Ahmed Ouyahia im Parlament hervorgehoben: „Dass die Kultfreiheit immer garantiert werde im Rahmen der bestehenden Gesetze". Die Kultfreiheit, wie sie der algerische Ministerpräsident offenbar versteht, bedeutet folglich nicht, dass Religionsfreiheit auch in der Praxis des täglichen Lebens von jedem Bürger gelebt werden kann.

Einige algerische Zeitungen sprachen im Zusammenhang mit dem Fastenurteil von „Inquisition" und „Verfolgung". Der Präsident der Evangelischen Kirche von Algerien, Pastor Mustapha Krim, äußerte sich moderater. Er prangert ein Klima des „Erstickens" an. Krim ist überzeugt, dass die Gesetzgebung aus dem Jahre 2006 verantwortlich ist für die „Demütigungen" und „Belästigungen", deren Opfer Christen in Algerien werden. Offiziell zum „Schutz" der nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften erlassen, hatte der Gesetzestext von 2006 auch die Besorgnis der katholischen Bischöfe Algeriens ausgelöst. Damals hatte eine antichristliche Kampagne von muslimischen Fundamentalisten zur Ausweisung von mehreren afrikanischen und brasilianischen Staatsangehörigen geführt und im Jahre 2008 zur Verurteilung eines Priesters der Diözese Oran, der schuldig befunden worden war, „außerhalb eines Kultortes" mit Zuwanderern aus Kamerun gebetet zu haben. Auch eine Algerierin, die zum Christentum konvertiert war, wurde verhaftet, weil sie zwei Exemplare der Bibel bei sich trug

Fares' Pech war es, dass er mit einem Sandwich während des Ramadans erwischt wurde und nicht mit einer Waffe. Deshalb kam er nicht in den Genuss des vom algerischen Staat eingeführten Gnadenprogrammes „rahma" (arabisch Gnade) für rückkehrwillige Terroristen. Terroristen werden üblicherweise wegen Waffenbesitzes verhaftet und anschließend begnadigt - trotz eines realen Gesetzes das Waffentragen verbietet. Dieses Gesetz ist in den Bestimmungen der Charta für Frieden und nationale Versöhnung enthalten. Bouchouta Fares indessen wurde verurteilt wegen „Mitführen eines Sandwichs" und das im Namen eines fiktiven Gesetzes zum Schutz der fünf Grundsäulen des Islams, das es gar nicht gibt. Zu den fünf Säulen des Islams gehören neben dem Glaubensbekenntnis und dem Beten das Almosengeben, Fasten und die Wallfahrt nach Mekka.

Das Urteil erscheint umso härter, als es beim Fasten der Muslime viele Ausnahmen gibt, etwa für Reisende, Kranke oder Kleinkinder. Gefastet werden muss von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Vielerorts sind diese Zeiten so verschieden, dass nur ein auf die Sonnenlaufbahn ausgerichteter Computer weltweit die exakten Fastenzeiten ausrechnen kann. Allerdings gibt es auch davon Ausnahmen, zum Beispiel in Skandinavien. Der Richterspruch von Oum El-Bouaghi zeigt: Der dortige Staatsanwalt hat lieber eine Rechtsbeugung in Kauf genommen, die offenbar von höheren Stellen gedeckt wurde, als geltendes Recht anzuwenden. Die Botschaft dieses Urteils ist folgende: Im Sinne des algerischen Gesetzes ist es besser, sich einer Gruppe bewaffneter Terroristen anzuschließen, die bei Waffenabgabe straffrei ausgehen, als ein Sandwich im Ramadan mitzuführen. Dem entspricht auch die Art und Weise der Verhaftung von Bouchouta Fares. Nach einer Denunziation wurde das Gebäude, in dem er sich mit einigen Anderen getroffen hatte, von schwerbewaffneten Polizisten umzingelt und Fares mit vorgehaltenem Maschinengewehr verhaftet.

Premierminister Ahmed Ouyahia drückt es so aus: „Die Hand des Staates bleibt ausgestreckt für alle verirrten Bürger, die sich besinnen". Und er fügt hinzu: „Die staatlichen Stellen haben Anweisung, die in der Charta für Frieden und nationale Versöhnung enthaltenen Bestimmungen strikt umzusetzen." Am 8. November findet ein weiterer Prozess gegen acht jugendliche Fastenbrecher statt. Auf das Urteil darf man gespannt sein.

In Algerien hatte nach einem Wahlsieg der Islamistischen Heilsfront (FIS) im Jahre 1991 das Militär die Macht übernommen. Es folgte ein jahrelanger blutiger Bürgerkrieg, an dessen Ende weniger der islamische Extremismus als vielmehr die Demokratie besiegt scheint. Erst nachdem Militärmachthaber und zivile Nachfolgepräsidenten vor einigen Jahren viele der Forderungen der Islamisten erfüllt hatten, flaute der Bürgerkrieg ab. Die vorsichtige Öffnung Algeriens hin zu einer Demokratisierung scheint nur mit massiven Zugeständnissen an die Islamisten möglich zu sein.

 [© Die Tagespost vom 4.11.2010]