11.11.2010

Irak: Anschlagserie auf Christen

Im Visier von Extremisten: Mindestens sechs Menschen kamen bei Anschlägen gegen Christen in Bagdad  ums Leben. Mehr als 30 Personen wurden verletzt. Das irakische Inneministerium vermutet al-Qaida hinter den Attentaten.

Bagdad - Die irakischen Christen bleiben weiterhin im Fokus sunnitischer Extremisten. "Seit Dienstagabend sind 13 Bomben und zwei Mörsergranaten gegen Häuser und Geschäfte gefeuert worden, die Christen gehören", sagte ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums. "Insgesamt wurden sechs Menschen getötet und 33 verletzt."

Erst vor zehn Tagen endete eine Geiselnahme in einer katholischen Kathedrale blutig - 52 Menschen starben. Die Angriffe verstärken Befürchtungen in der christlichen Minderheit, dass sunnitische Extremisten versuchen könnten, sie aus ihrer angestammten Heimat zu vertreiben. "Was können wir tun? Sie jagen die Christen in allen Bagdader Stadtteilen", klagte Emmanuel III. Delly, Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche. Die Christen könnten die Angreifer nicht aufhalten. "Wir können nur zu Gott beten, dass er diese Verbrechen beendet."

Das irakische Innenministerium sieht in den nächtlichen Angriffen eine Fortsetzung der gewaltsamen Geiselnahme vor zehn Tagen. Extremisten hatten die Gläubigen in ihre Gewalt gebracht und Sprengsätze gezündet, als die Polizei das Gebäude stürmte. Al-Qaida hatte sich zu der Tat bekannt und weitere Angriffe angekündigt.

Geistliche rufen zum Schutz der Minderheit auf

Immer mehr Christen erwägen inzwischen, den Irak zu verlassen. "Seit zwei Jahren versucht mich meine Frau zu überzeugen, dass wir das Land verlassen sollen", berichtete Rajed Wissam der Nachrichtenagentur AFP. "Jetzt bin ich auch überzeugt, dass sie Recht hat." Der 42-Jährige schlief nach eigenen Angaben gerade in seinem Haus im Viertel Dora im Süden der Stadt, als er um 06.00 Uhr durch eine Explosion aus dem Schlaf gerissen wurde. "Ich bin aufs Dach gerannt, um zu gucken, was los ist. Dann gab es noch drei weitere Explosionen. Drei Häuser von Christen waren getroffen. Meine Kinder haben geschrien."

Der Erzbischof der syrisch-katholischen Kirche, Athanase Matti Schaba Matoka, rief die Weltöffentlichkeit auf, die Christen im Irak zu schützen. Es sei kriminell, die Gläubigen im Stich zu lassen. Der Vatikan fordert unterdessen die irakischen Behörden auf, den Schutz der Christen "ernsthaft zu überdenken".

Christen bilden im Irak eine Minderheit - obwohl sie das Land seit 2000 Jahren besiedeln. Noch eine halbe Million lebt dort, eine weitere halbe Million hat das Land bereits aus Angst vor weiteren Anschlägen verlassen haben. Mit dem Einmarsch der US-Truppen begannen auch die religiösen Auseinandersetzungen.

dis/AFP/Reuters/ www.spiegel.de