20.11.2010

Islam: Warum sind gerade Christen immer wieder Zielscheibe?

Interview mit Dr. Keith Roderick

Islam: Warum sind gerade Christen immer wieder Zielscheibe?

Interview mit Dr. Keith Roderick

 

Fredericksburg, Virginia: Das irakische Mädchen Viviane wurde gekidnappt, als sie im Irak von der Schule nach Hause gehen wollte. Ihre Entführer riefen die besorgte Mutter an und erklärten ihr: „Wir wollen euer Geld nicht. Wir wollen euer Herz brechen“. Keith Roderick Pastor, Generalsekretär einer US-amerikanischen Einrichtung zur Verteidigung der Menschenrechte (Coalition for the Defense of Human Rights) und Pastor der Episkopalkirche erzählt in der wöchentlichen Sendung „Where God weeps“, die von CRTN zusammen mit Kirche in Not produziert wird, die Geschichte des 15 Jahre alten irakischen Mordopfers. Darin spricht er nicht nur über den Fall von Viviane, sondern über die fundamentalen Probleme für Christen, die im Irak leben.

= Wie lange schon arbeiten Sie in diesem Bereich? Warum arbeiten sie für die verfolgte und unterdrückte Kirche.

Keith Roderick: Nun sind es bald 23 Jahre vielleicht auch ein bisschen länger. Die Zeit geht schnell vorbei. Ich arbeitete mit einer Einrichtung in England. Dort kümmerte ich mich um Gefangene, die aus religiösen Gründen in der Sowjetunion festgehalten wurden. Wir organisierten die Aussendung von Paketen zu den Familien der Gefangenen. Wir schrieben Briefe in die Gefängnisse, denn dort wurden sie über Jahre gehalten und mussten jede Art von Arbeit tun. Kurz vor dem Niedergang der Sowjetunion bekamen wir Anfragen, diese Arbeit auch für Gefangene in der islamischen Welt zu tun. So weiteten wir unser Einsatzfeld aus und wurden erst in Ägypten und Pakistan, dann im Libanon und schließlich im Irak, Iran und Sudan aktiv.

= Können Sie uns die Umstände näher beschreiben? Was sind die grundsätzlichen Probleme für Christen, die in der islamischen Welt leben?

Keith Roderick: An erster Stelle kommt die Tatsache, dass sie eine Minderheit sind. Und so wie es allen Minderheiten geschieht, bedeutet dies auch konsequente Benachteiligung bei der Arbeitssuche, aber auch bei den sozialen Rechten. Als Minderheit in einer islamischen Welt tragen sie auch das Stigma, die „Dhimmi“ zu sein.

= Was bedeutet das?

Keith Roderick: Diese Bezeichnung verwendet man für einen Bürger zweiter Klasse. Ein „Dhimmi“ ist in der islamischen Sprache ein Ungläubiger, der eine Steuer zahlen muss, um überhaupt toleriert zu werden. Natürlich sind Sie auch vom Militärdienst ausgeschlossen. Das ist auch das einzige Privileg für sie. Es ist ein demütigender Status und eine Form, diese Minderheit unter Kontrolle zu halten. Langfristig wird dies unmenschlich und zermürbend. Man versucht so, ihre Rechte als Einzelne zu unterminieren. So wird die Bahn frei für Gewaltakte und auch andere Formen von ethnischer Säuberung.

Was haben die Islamisten damit langfristig vor?

Keith Roderick: Die Islamisten wollen ihre Gesellschaft islamisieren. Das bedeutet die Einrichtung der Scharia und anderer islamischer Gesetze innerhalb der Bevölkerung. Manchmal wird die Scharia auch bei Nichtmuslimen angewandt und das schafft viele Schwierigkeiten. Das grundsätzliche Ziel ist der Versuch eine orthodoxe islamische Weltsicht einzuführen und dies aus einer sehr konservativen Perspektive her zu tun.

= Vor 100 Jahren stellten die Christen 20% der Bevölkerung im Mittleren Osten. Jetzt sind sie weniger als zwei%. Was ist der Grund für diesen Bevölkerungsschwund?

Keith Roderick: Ich denke, dass die Minderheiten dem dauernden Druck und der damit verbundenen Belastung nicht gewachsen sind. Sie spüren vor allem, dass sie von der Mehrheit der Bevölkerung ausgeschlossen werden, obwohl sie oft zu den Urbevölkerungsgruppen gehören. Das Christentum hat in diesem Gebiet eine sehr lange Tradition. Wenn du dich aber als Fremder in deinem eigenen Land fühlst, bist du bald in Schwierigkeiten. So denke ich, ist dies einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Gewalt, die von Zeit zu Zeit aufflackert. Wie wir es im Irak gesehen haben, wird ja dort durch die Diskriminierung seitens der Regierung und Gesellschaft auch eine entsprechende Politik durchgesetzt. Sie schafft Außenseiter. Mit dem neuen Erwachen des Islams haben diese Praktiken zugenommen.

= Welche Beispiele können Sie uns für diese Form von Diskriminierung geben?

Keith Roderick: In Ägypten haben wir zum Beispiel eine Form von religiösem Pass, auf dem auch die religiöse Identität vermerkt ist. Das heißt: Sobald jemand weiß, zu welcher religiösen Gruppe du gehörst, kann es bei der Jobsuche oder auch bei dem Besuch von Studieneinrichtungen zu Schwierigkeiten kommen. Dasselbe gilt für die Hochzeit. Du musst deine religiöse Überzeugung offen legen. Für Christen und Muslime bedeutet das ein religiöses Kontrollsystem.

= Woran müssen Sie denken, wenn das Thema religiöse Verfolgung zur Sprache kommt?

Keith Roderick: Ich denke an so viele Menschen, die ihr Leben für ihren Glauben gegeben haben. So viele, die nicht darauf verzichtet haben, als Christen zu leben. Ich denke da an den Irak. An eine junge Frau. Sie war 15 Jahre alt, als sie eines Tages von der Schule nach Hause gehen wollte, wurde sie gekidnappt. Die Schulkinder kamen zu den Eltern und sagten: Ihre Tochter wurde entführt. Die Eltern warteten gespannt auf den ersten Telefonanruf. Als es Abend wurde, dachten sie, nun wird ein Lösegeld verlangt. Es war ein junges Mädchen, die einfach nur von der Schule nach Hause gehen wollte. Schließlich kam der erwartete Anruf. Die Mutter sagte zu der andern Stimme: „Sagen Sie mir doch bitte, was sie wollen. Wir zahlen ihnen alles, was sie von uns verlangen. Die Stimme am anderen Ende erklärte ihr: „Wir wollen ihr Geld nicht, wir wollen ihr Herz brechen“. Wie traumatisch und schrecklich ist das für die Familie. Einige Tage später fand man ihren verstümmelten Körper. Sie war mehrmals vergewaltigt worden. Sie wurde einfach auf die Straße geworfen und man rief die Familie an, um ihren leblosen Körper abzuholen. Das ist pervers. Das ist nicht eine Entführung, sondern hier werden Menschen verstümmelt. Gibt es irgendwo eine Lehre, die einen Menschen erlaubt, einem anderen Menschen so etwas anzutun?

= So etwas steht nicht im Koran!?!

Keith Roderick: Nein so etwas gibt es nicht im Koran. Aber trotzdem geht das weiter. In Ägypten ist es oft der Staatssicherheitsdienst, der die Gefangenen in den ersten Tagen im Gefängnis foltert. Sie haben zwei Abteilungen in Polizeisystem. Eins um islamische Fundamentalisten zu beobachten und ein anderes um Christen zu beobachten. Da sind zum einen die Christen, besonders muslimische Konvertiten, die gefangen genommen werden, um die Folgen zu erleiden, die man andererseits islamischen Fundamentalisten zufügt. Nach schrecklichen Folterungen in den ersten drei Tagen verschwinden sie oft auf Nimmerwiedersehen in den Gefängnissen. Das passiert gerade weil oft auch niemand da ist, der sich für sie einsetzt.

= Lassen Sie uns noch ein wenig über den Irak sprechen. Dort wird die Christenverfolgung sehr deutlich. Die irakische christliche Bevölkerung ist um die Hälfte geschrumpft. Glauben Sie, dass diese Gewaltakte das Land von Christen reinigen sollen?

Keith Roderick: Ja, ich bin davon überzeugt. Viele dieser Handlungen sind opportunistisch und auch kriminell orientiert. Die meisten Gewaltakte haben ein klares Ziel. Sie wollen Druck auf die Bewohner machen und sie dazu zwingen, das Land zu verlassen. In einem Stadtviertel in Bagdad lebten im Jahr 2004 rund 20.000 christliche Familien, aber im Jahr 2006 waren es nur noch diejenigen, die dort trotz sehr schlechter Lebensbedingungen ausgehalten haben. Das war ganz offensichtlich ein Programm ethnischer Säuberung. Man hat den Militärs gestattet, genau dieses Viertel als Ausgangsbasis ihrer Operationen gegen die Milizen in Bagdad zu nehmen. Nun haben sich diese Probleme Richtung Mossul oder Kirkuk verlagert. Auch in Ninive finden wir ein ähnliches Problem. Ganze Dörfer wurden einfach besetzt und Al-Kaida hat jetzt dort seine Lager aufgeschlagen. Man benutzt einfach die christliche Bevölkerung als ein Schutzschild.

= Warum sind gerade Christen immer wieder die Zielscheibe solcher Angriffe?

Keith Roderick: Sie werden zur Zielscheibe, weil man nach der Befreiung alle Milizen aufgefordert hat, ihre Waffen niederzulegen. Die einzige Truppe, die dieser Bitte nachgab, war die assyrische Miliz. So haben sie jetzt keinen Schutz mehr. Es gibt keine unabhängige Polizei, die den Bewohnern der Dörfer Schutz gewähren könnte. Das sind alles die Konsequenzen der neuen politischen Strategien und die Christen sind schließlich und letztlich die Leidtragenden dieser Vorgänge.

= Die Christen die jetzt im Irak bleiben sprechen von einer Ghetto-Kirche. Was ist eine Ghetto-Kirche?

Keith Roderick: Eine solche Kirche ist abgeschlossen. Sie kann überleben, aber sie ist keineswegs frei, sich innerhalb der Gesellschaft zu bewegen. So wird es immer mehr zur Gewohnheit, dass aus diesen Ländern wie etwa der Irak, ganze Bevölkerungsgruppen abziehen. Ich denke als Christen ist es sehr wichtig, dass wir Druck auf die Politiker ausüben. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Politiker sie unterstützen… und was sie von uns erwarten, ist sicherlich, dass wir auch eine Beziehung zu den verfolgten Christen aufbauen. Gerade die Christen im Westen müssen damit beginnen, Druck auf das amerikanische, britische, französische und Europäische Parlament auszuüben. Sie müssen nun diesen Druck weitergeben, damit all das, was nicht mehr toleriert werden kann, ein Ende findet.

Quelle: www.zenit.org – Dieses Interview wurde von Mark Riedemann für die wöchentliche Fernseh- und Radiosendung „Wo Gott weint“ des katholischen Radio- und Fernsehsenders CRTN in Verbindung mit dem internationalen katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ geführt. –

(Coalition for the Defense of Human Rights)
Übersetzung aus dem Englischen von Iria Staat, entnommen: koptisch.wordpress