21.11.2010

Irak: Sie jagen die Christen in allen Stadtteilen

Eine Serie von Anschlägen auf Wohnbezirke der christlichen Minderheit erschütterte am Mittwoch Bagdad. Die Bombenexplosionen forderten mindestens fünf Tote und mehr als 20 Verletzte.

Bei einer Anschlagsserie gegen Christen in Bagdad sind am Mittwoch mindestens fünf Menschen getötet worden. Wie die Polizei mitteilte, explodierten in der Früh innerhalb von einer Stunde elf Sprengsätze in überwiegend von der christlichen Minderheit bewohnten Bezirken der irakischen Hauptstadt. Mehr als 20 Menschen erlitten nach Angaben der Sicherheitskräfte Verletzungen. Erst am Dienstagabend war im Westen der Stadt eine ähnliche Anschlagsserie gegen drei Häuser von Christen verübt worden. Weil die Gebäude leer standen, wurde dabei jedoch niemand verletzt. In der vergangenen Woche waren zudem in Bagdad bei einer Geiselnahme in einer katholischen Kirche Dutzende Christen ums Leben gekommen.

„Was können wir tun“? Sie jagen die Christen in allen Bagdader Stadtteilen“, klagte der aufgewühlte chaldäisch-katholische Patriarch Kardinal Emmanuel III. Delly am Mittwoch im Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. Die Christen könnten die Angreifer nicht aufhalten. „Wir können nur zu Gott beten, dass er diese Verbrechen beendet“. Der christliche Abgeordnete Jonadam Kanna sagte, es sei ganz offensichtlich das Ziel der Terroristen, die letzten Christen aus dem Irak zu vertreiben. „Das darf nicht passieren“. Die christliche Gemeinde im Irak, eine der ältesten der Welt, ist bereits seit Jahren mit einem andauernden Exodus ihrer Mitglieder konfrontiert, die von Anschlägen und Entführungen angeheizt wird. Mehr als die Hälfte der irakischen Christen hat seit dem US-Einmarsch 2003 bereits ihre Heimat verlassen. {Quelle: DiePresse.com}

Überfall in Bagdad: „Es gibt keinen Schutz für Christen im Irak“

„Die schlimmste Katastrophe seit der amerikanischen Invasion“, nennt Pfarrer Moussalli den Überfall auf Christen in Bagdad. Europa müsse mehr Flüchtlinge aufnehmen.

Frage: Ein Al-Qaida-Kommando hat in Bagdad die Sayidat al-Nejat Kathedrale überfallen und ein Blutbad unter den Gläubigen und ihren Priestern angerichtet. Was bedeutet das für die Lage der Christen im Irak?

Raymond Moussalli: Das ist die schlimmste Katastrophe für uns seit der amerikanischen Invasion. So etwas hat es noch nie gegeben in unserer Heimat. Ausgerechnet während der Sonntagsmesse sind bewaffnete Terroristen in unser Gotteshaus eingedrungen und haben Beter und Priester ermordet. Es gibt keine Sicherheit und Stabilität im Irak. Es gibt keine stabile Regierung und keinen Schutz für die christliche Minderheit.

Raymond Moussalli (44) stammt aus Mossul im Norden des Irak. Der chaldäische Geistliche hat in Syrien und Rom studiert und leitet seit sieben Jahren die irakisch-christliche Flüchtlingspfarrei in der jordanischen Hauptstadt Amman. Seiner Notgemeinde gehören über 5000 Gläubige an.

Frage: Mehr als zwei Drittel aller Christen sind in den letzten Jahren bereits aus Mesopotamien geflohen. Werden die Übrigen jetzt auch aufgeben?

Moussalli: Ich fürchte ja. Jede Woche kommen neue Flüchtlinge in Jordanien und Syrien an. Ich rechne damit, dass die Zahl der christlichen Flüchtlinge rapide zunehmen wird. Viele Christen werden von al-Qaida bedroht, am Arbeitsplatz, in ihren Wohnungen, sogar in ihren Gotteshäusern. Wir wollen unser Land nicht verlassen. Wir Christen leben seit vielen Hundert Jahren hier und sind tief verwurzelt. Wir lieben den Irak, wir beten, dass wir irgendwie einen Weg finden können zu bleiben. Denn unsere Heimat ist auch die Heimat von Abraham, dem Urvater von Judentum, Christentum und Islam.

Frage: Vergangene Woche ging in Rom die Sondersynode über die Kirchen des Orients zu Ende, ein Krisentreffen, was sich in erster Linie mit dem Schicksal der irakischen Christen beschäftigt hat. Ist dieser Überfall die Antwort von al-Qaida an die katholische Kirche?

Moussalli: Die Synode hat an die muslimische Welt appelliert: Wir wollen mit euch zusammenleben. Wir wollen keine Konflikte, wir wollen Frieden und Miteinander. Die Geiselnahme war die brutale Antwort. Die Terroristen wollen der ganzen Weltkirche demonstrieren: Wir möchten die Christen im Irak nicht mehr haben. Al-Qaida sagt zu uns, ihr seid die Brüder der Amerikaner, ihr seid die Feinde der Muslime. Ihr habt hier nichts mehr zu suchen.

Moussalli: Wir appellieren eindringlich an Europa, macht eure Türen nicht zu, nehmt mehr Flüchtlinge als bisher auf. Ich wende mich mit dieser Bitte vor allen auch an Deutschland. Die Christen können nicht zurück in den Irak. Wir können uns zu Hause nicht mehr schützen. Wir haben keine andere Wahl mehr, als in der Fremde weiterzuleben. Quelle: www.zeit.de und koptisch.wordpress.com