01.10.2010

Myanmar: Die wachsende Krise in den Siedlungsgebieten der ethnischen Minderheiten

Bericht der Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) vom 1. Oktober 2010

Myanmar: Die wachsende Krise in den Siedlungsgebieten der ethnischen Minderheiten

Bericht der Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) vom 1. Oktober 2010

Die Mehrheit der Schätzungen zufolge etwa 2,1 Millionen Christen in Myanmar lebt in den Teilstaaten entlang der Landesgrenzen. In diesen Gebieten sind in der Zeit um die für den 7. November angesetzten Wahlen brutale Übergriffe durch die burmesische Armee in stärkerem Ausmaß zu befürchten, als in anderen Landesteilen.

Das Militärregime, das sich irreführend Staatlicher Friedens- und Entwicklungsrat („State Peace and Development Council“) nennt, gehört weltweit zu den Regierungen, die für die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Das Militärregime regiert Myanmar seit 20 Jahren mit eiserner Faust. Als 1990 die bisher letzte Wahl abgehalten wurde, ignorierten die Militärmachthaber das Ergebnis und nahmen die Leiterin der siegreichen Partei „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD), Aung San Suu Kyi, in Haft.

Bei den Wahlen von 2010 wird sich die seit langem bestehende feindliche Einstellung der Junta gegenüber den pro-demokratischen Kräften und ethnischen Minderheiten voraussichtlich in anderer Weise äußern. Nach Aussage unabhängiger burmesischer Medien und pro-demokratischer Aktivisten, die von den Nachbarländern aus agieren, steht bei den bevorstehenden Wahlen im mehrheitlich buddhistischen Myanmar für die ethnischen und religiösen Minderheiten besonders viel auf dem Spiel.

Zwei bedrohliche Entwicklungen sind zu befürchten. Die neue Regierung könnte eine Militäroffensive gegen ethnische Minderheiten beginnen, insbesondere in den Staaten Karen, Kachin und Chin, wo es auch zahlreiche Christen gibt. Und die Hilfe der internationalen Gemeinschaft für pro-demokratische Kräfte und burmesische Flüchtlinge, von denen viele Christen sind, könnte reduziert werden.

Die Junta wird an der Macht bleiben

Der Hauptgrund für die Befürchtungen ist, dass die Befürworter der Militärherrschaft voraussichtlich eine überwältigende Mehrheit im neuen Parlament haben werden.

Unabhängig von den Wahlergebnissen wird durch die neue Verfassung, die mit der ersten Sitzung des Parlaments nach der Wahl in Kraft tritt, die Kontrolle des Militärs über das Land gefestigt. Die Verfassung garantiert dem Militär mindestens 25 Prozent der Sitze im Parlament und garantiert weiters dessen Befugnis, die bürgerlichen Freiheiten und die demokratische Gesetzgebung im Interesse der „nationalen Sicherheit“ auszusetzen.

Die meisten Menschen hatten keine Gelegenheit, den Entwurf der Verfassung zu lesen, der erst ein Monat vor der Volksabstimmung über ihre Annahme im Mai 2008 freigegeben wurde, stellte Human Rights Watch in einem Bericht fest. Der Text wurde nur in einigen Buchhandlungen verkauft. Es wird weithin vermutet, dass das Ergebnis der Volksbefragung manipuliert wurde. Überdies fand diese kurz nach der durch den Zyklon Nargis verursachten Sturmkatastrophe statt, bei der 140.000 Menschen starben und ca. 2,4 Millionen Menschen im Irawadidelta und in der früheren Hauptstadt Rangoon ihre bisherigen Wohnorte bzw. Häuser verlassen mussten.

Abgesehen von den für das Militär reservierten Parlamentssitzen wird voraussichtlich eine vom Militär unterstützte Partei die meisten der übrigen Mandate erobern. Die Stellvertreterpartei der Junta, die Partei für Einheit, Solidarität und Entwicklung (USDP) ist mit 1.163 Kandidaten die größte Partei und die einzige, die über Kandidaten in allen Wahlkreisen verfügt. Die zweitgrößte Partei, die Partei der Nationalen Einheit mit 980 Kandidaten, steht ebenfalls auf der Seite der Junta.

Die NLD - die einzige pro-demokratische Partei, die den Wahlsieg der dem Militärregime nahe stehenden Parteien hätte gefährden können - beschloss, die Wahl zu boykottieren und wurde aus diesem Grund von der unter der Kontrolle der Junta stehenden Wahlkommission aufgelöst. Einige Mitglieder der NLD haben sich abgespalten und die Nationale Demokratische Kraft (NDF) gegründet, die jedoch nur 164 Kandidaten ins Rennen schicken kann. Es wird geschätzt, dass die unabhängigen demokratischen Parteien und die Parteien der ethnischen Minderheiten aufgrund der zu geringen Finanzen und der von der Junta aufgerichteten rechtlichen Hürden nicht einmal in der Hälfte der Wahlkreise kandidieren können werden. Abgesehen davon befinden sich nach wie vor ca. 2.100 Aktivisten, die sich für die Demokratie eingesetzt haben, im Gefängnis.

Minderheiten in Gefahr

Viele der ethnischen Minderheiten in Myanmar, die zusammen etwa 30 % der 53,4 Millionen Einwohner des Landes stellen, verlangen schon seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1948 mehr Autonomie in ihren jeweiligen Teilstaaten. Die Forderungen basieren teils auf Vereinbarungen der ethnischen Gruppen mit der britischen Kolonialmacht, die zur Zeit der Entlassung des Landes in die Unabhängigkeit in Kraft waren, teils sind sie eine Reaktion auf die harte zentralistische Politik der Militärmachthaber und deren burmesischen Nationalismus. Schätzungen zufolge sind knapp 70 % der Gesamtbevölkerung ethnische Burmesen.

Vor diesem Hintergrund sehen die Militärmachthaber die Christen und das Christentum - neben anderen Religionsgemeinschaften und den ethnischen Minderheiten - als Bedrohung ihrer Herrschaft und der „Eine Nation - ein Volk“ Ideologie.

Die Angehörigen des Chin Volkes im Teilstaat Chin entlang der indischen Grenze sind mehrheitlich Christen. Auch unter den Karen und Kachin in den gleichnamigen Teilstaaten entlang der thailändischen Grenze gibt es viele Christen.

Manche ethnischen Minderheiten haben eigene Armeen gebildet, um sich gegen Angriffe des Militärs zur Wehr zu setzen, die oft ohne vorherige Provokation stattfinden. Die meisten Verantwortlichen der ethnischen Minderheiten und Menschenrechtsorganisationen vertreten die Auffassung, dass die ethnischen Minderheiten in Zeiten militärischer Angriffe ohne diese eigenen Armeen schutzlos sind. Es kommt zu Minenexplosionen, zur Vergewaltigung von Frauen, wahllosem Töten von Menschen und Vertreibungen. Einige Minderheiten strebten einen Waffenstillstand mit der Junta an, die jedoch kein Interesse gezeigt hat. Die Zusammenstöße gehen weiter.

Im letzten Jahr forderte die Junta alle unabhängigen Armeen auf, sich als Grenzsicherheitskräfte dem Militär anzuschließen, ohne irgendwelche Zusagen bezüglich Autonomie oder eines Friedensvertrags zu machen. Während sich einige dieser Armeen den Regierungstruppen anschlossen, haben andere dies abgelehnt. Dies erklärt auch, weshalb in der ohne jede Beteiligung der Bevölkerung zustande gekommenen neuen Verfassung die  „Verhinderung des Zerfalls Myanmars“ als eines der vorrangigen Ziele betont wird.

Die meisten Journalisten im Exil glauben, dass das neue von der Junta kontrollierte Regime einen Versuch unternehmen wird, alle Gruppierungen, die sich gegen die Regierung stellen, ein für alle Mal auszuschalten, insbesondere die Karen, Kachin und Chin, wenn diese nicht bereit sind, sich mit dem Militär zu vereinigen und auf alle Forderungen nach Autonomie zu verzichten. Zu einem Angriff kann es jederzeit nach der Wahl im November kommen, wobei auch Opfer unter unbewaffneten Zivilisten, Kindern, Frauen und alten Menschen zu befürchten sind.

Dass die Junta gegen das Christentum eingestellt ist, ist in Myanmar allgemein bekannt. Im Januar 2007 erlangten die Medien Kenntnis von einem Geheimdokument aus Regierungsquellen, aus dem hervorgeht, dass das Regime das Christentum im Land auslöschen will. Die britische Tageszeitung „Telegraph“ titelte am 21. Januar 2007 „Programm zur Ausrottung der christlichen Religion in Burma“. Laut Angaben der Tageszeitung enthielt das Regierungsdokument detaillierte Anweisungen, wie die Christen aus dem Land zu vertreiben wären. Weiters heißt es in dem Bericht, dass in dem Dokument, das mit den Worten „Es soll kein Heim mehr geben, in dem die christliche Religion praktiziert wird“ beginnt, auch eine Aufforderung enthalten ist, jede Person, die bei der Verkündigung des Evangeliums angetroffen wird, ins Gefängnis zu bringen.

In der neuen Verfassung wird die Regierung angewiesen, den Menschen einen „patriotischen Geist“ und „das richtige Denken“ zu vermitteln. Weites heißt es darin: „Die Union anerkennt die besondere Stellung des Buddhismus als Glaube, zu dem sich die überwiegende Mehrheit der Bürger der Union bekennt.“

Während die Verfassung (Artikel 34) die Gewissensfreiheit und das Recht auf freies Religionsbekenntnis und freie Religionsausübung (nicht aber Verbreitung) garantiert, heißt es in Artikel 360 „durch die garantierte Freiheit der Religionsausübung wird die Union nicht daran gehindert, Gesetze zum Zwecke der öffentlichen Wohlfahrt und Reform zu erlassen.“ In Artikel 364 heißt es: „Der Missbrauch der Religion für politische Zwecke ist verboten. Überdies ist jede Handlung, die darauf ausgerichtet oder geeignet ist, Gefühle des Hasses, der Feindschaft oder Uneinigkeit zwischen rassischen oder religiösen Gemeinschaften oder Konfessionen zu erzeugen, verfassungswidrig. Ein Gesetz zur Bestrafung solcher Aktivitäten kann erlassen werden.“

Diese Bestimmungen können bei oberflächlicher Betrachtung unbedenklich und legitim erscheinen, doch mangels eindeutiger Definitionen und im Hinblick auf die antichristliche Einstellung des Militärs ist davon auszugehen, dass diese zur Verfolgung von Christen und anderen Minderheiten missbraucht werden.

Legitimität nach der Wahl

Ein Ansteigen der Spannungen in den Teilstaaten der ethnischen Minderheiten kann zu einem Ansteigen des Flüchtlingsstroms in die Nachbarländer wie Thailand, Indien, Bangladesch und Malaysia führen. Da diese Länder jedoch an guten Beziehungen zu Myanmar interessiert sind, um ihre strategischen Interessen zu wahren, könnten sie ihre Politik gegenüber den Flüchtlingen aus Myanmar verschärfen. Schätzungen zufolge leben bereits etwa 150.000 Bürger Myanmars in grenznahen Flüchtlingslagern in Thailand. In Indien leben über 100.000 Flüchtlinge aus Myanmar. Um Myanmar dabei zu unterstützen, sein Image als „neue Demokratie“ zu verbessern, könnten diese Nachbarstaaten die Flüchtlinge ausweisen oder die Einreise neuer Flüchtlinge erschweren, denn die Präsenz von Flüchtlingen deutet auf eine Krise in ihrem Ursprungsland.

Da viele Nationen und regionale Blöcke strategischen Interessen höhere Bedeutung einräumen als den Menschenrechten, könnten sich viele von ihnen dafür entscheiden, bezüglich der offensichtlichen Untergrabung demokratischer Prinzipien bei den Wahlen in Myanmar wegzusehen und dem neuen Regime Legitimität zu verleihen. Andrerseits gibt es einige verantwortungsbewusste Nationen, Blöcke, Organisationen und Einzelpersonen, die eine Hoffnung für Myanmar darstellen.

Leider kann man die Junta nicht daran hindern, nach der Wahl an die Macht zu kommen. Doch die Notwendigkeit von Frieden und Versöhnung durch einen Dreiparteiendialog zwischen der Regierung, den demokratischen Kräften und ethnischen Minderheiten muss im Blickfeld bleiben. Die internationale Meinung richtet sich zunehmend gegen die Junta in Myanmar.

Übersetzung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Ö