10.10.2010

Afghanistan: Berichte über Gespräche mit Taliban

Stimmen die Berichte, wonach Afghanistan mit den Taliban geheime Gespräche führt? Zwar bestätigt die Regierung Karsai, über Vermittler Kontaktversuche aufgenommen zu haben. Aber Experten bezweifeln deren Erfolgsaussichten. Auch früher gab es Gespräche - ohne greifbare Ergebnisse. Von Sabina Matthay, ARD-Hörfunkstudio Südasien

Afghanistan: Berichte über Gespräche mit Taliban

Stimmen die Berichte, wonach Afghanistan mit den Taliban geheime Gespräche führt? Zwar bestätigt die Regierung Karsai, über Vermittler Kontaktversuche aufgenommen zu haben. Aber Experten bezweifeln deren Erfolgsaussichten. Auch früher gab es Gespräche - ohne greifbare Ergebnisse.

Von Sabina Matthay, ARD-Hörfunkstudio Südasien

 

Bisher nur schwache Friedenssignale

Es klang nach einer neuen Qualität auf der Suche nach Frieden für Afghanistan: Vertreter der afghanischen Regierung und der Taliban würden an einem Tisch sitzen, berichtete eine amerikanische Tageszeitung diese Woche. Der Sprecher von Präsident Hamid Karsai, Waheed Omar, allerdings wiegelte ab: Zeichen und Signale habe es gegeben, Kontaktversuche, Kontakte zwischen Vermittlern auf unterschiedlichen Ebenen - aber keine formellen Verhandlungen.

Es wäre verständlich, wenn die afghanische Regierung solche Kontakte nicht hoch reden wollte, wenn sie weiterführen sollen. Doch auch die amerikanischen Berichte sprechen nur von vorbereitendem Charakter der Gespräche. Die anonymen Gewährsleute sind sich nicht einig, wer daran beteiligt ist, wo die Treffen stattgefunden haben, worüber geredet wurde.

Weit auseinanderliegende Interessen

Ohnehin gab es über die Jahre immer wieder Kontakte von internationalen Vertretern und afghanischen Politikern zu Teilen der Aufständischen. Bisher hätten die aber nichts Greifbares erbracht, sagt der ehemalige US-Botschafter Zalmay Khalilsad in Afghanistan, dem immer wieder politische Ambitionen in seiner Heimat nachgesagt werden. "Damit eine Vereinbarung zustande kommt, müssen die USA und die afghanische Regierung einerseits sich mit Pakistan und den Taliban, die ja ihre Hochburgen in Pakistan haben, andererseits verständigen." Bisher seien die Signale schwach.

Vier Parteien also, deren Positionen miteinander vereinbart werden müssen - und selbst die Positionen innerhalb der Parteien sind nicht unbedingt klar. Zwar soll der einstige UNO-Sondergesandte Kai Eide 2009 und 2010 in Dubai Gespräche mit Taliban aus dem Umkreis von Mullah Omar geführt haben. Doch sprechen die möglicherweise nicht für die jüngeren, radikaleren Teile des Aufstands.

Pakistan, Schutzmacht der Taliban, wird vielleicht sogenannte moderate Aufständische an Gesprächen teilnehmen lassen, um die USA zu beschwichtigen. Der Geheimdienst ISI machte jedoch im Februar durch die Verhaftung von Vertrauten von Mullah Omar klar, dass er eigenmächtige Kontakte nicht billigt, sondern solche Kontakte in seinem Sinne steuern wird.

Unattraktiver Friedensrat

Der afghanische Präsident Hamid Karsai will den kriegsmüden Bürgern seines Landes Hoffnung machen und vor allem seinen Machterhalt nach der absehbaren Reduzierung der ausländischen Truppen vorbereiten, die ihn bisher stützen. Er hat gerade einen hohen Friedensrat eingerichtet, der Verhandlungen mit den Aufständischen anbahnen soll. Ein Rat, der kaum repräsentativ für die afghanische Bevölkerung ist und keine attraktiven Gesprächspartner für die Taliban enthält.

Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft betrachten Verhandlungen mit den Extremisten ohnehin mit Skepsis. Seema Samar, Vorsitzende der Unabhängigen Menschenrechtskommission, fürchtet, dass die Regierung Karsai verfassungsmäßig verbriefte Freiheitsrechte zur Disposition stellen könnte: "Das ist kein Frieden, wenn ich meine grundlegenden Rechte nicht ausüben kann. Ich will Frieden in Würde. Ich will Frieden mit Respekt für meine Rechte."

Taliban greifen im Süden nach der Macht

Offiziell heißt es, der hohe Friedensrat solle die Taliban dazu bewegen, die Waffen niederzulegen, die afghanische Verfassung anzuerkennen und in die jetzige afghanische Regierung einzutreten. Doch warum sollten die Aufständischen sich solchen Bedingungen beugen? Sie haben die Initiative und treiben vor allem im Süden des Landes die Machtübernahme voran.

Der Sicherheitsexperte Nic Lee beobachtete beispielsweise, dass die Taliban sich inzwischen mit Hilfsorganisationen gut stellten, weil sie deren Dienstleistungen brauchen werden: "Das muss man langfristig im Rahmen des geplanten ausländischen Truppenabzugs sehen. Die Aufständischen verstehen, dass die Präsenz von Hilfsorganisationen einen bedeutenden Einfluss auf die Nachhaltigkeit ihrer Aktivitäten haben wird."

Lee ist überzeugt, dass die Taliban sich auf lange Sicht in weiten Teilen Afghanistans etablieren werden. Schon jetzt haben die Aufständischen in vielen Provinzen Schattenregierungen eingerichtet. Auf den angekündigten ausländischen Truppenrückzug 2014 können sie sich in aller Ruhe vorbereiten, ohne Zugeständnisse an eine ohnehin weitgehend machtlose Regierung in Kabul.

Quelle: ARD Tagesschau