15.10.2010

Japans „christliches Jahrhundert“

Hintergründe der Missionierung und anschließender Christenverfolgung im 16. Jahrhundert und die Folgen

Japans „christliches Jahrhundert“

Hintergründe der Missionierung und anschließender Christenverfolgung im 16. Jahrhundert und die Folgen

Die ersten Missionare, die Japan Mitte des sechzehnter Jahrhunderts erreichten, wurden sehr wohlwollend aufgenommen. Insbesondere im Norden der Insel Kyushu fanden sie in lokalen Machthabern wie Ōmura Sumitada Ōmura Sumitada 大村純忠 Erster christlicher Daimyo, 1533–1587, getauft 1563 , Ōtomo Sōrin Ōtomo Sōrin 大友 宗麟 Christlicher Daimyo in Kyushu, 1530–1587 oder Arima Harunobu Arima Harunobu 有馬晴信 Christlicher Daimyo in Kyushu, 1561–1612 mächtige Gönner, die schließlich sogar selbst zum Christentum übertraten. Sie überließen den Portugiesen die Stadt Nagasaki, die bald zu einem neuen Handelszentrum empor wuchs und zugleich auch das Zentrum der jesuitischen Mission darstellte. Von dort aus gelang es zunächst jesuitischen, später auch franziskanischen Missionaren, eine beträchtliche Gefolgschaft in Kyushu aufzubauen. Als nächstes konzentrierte man sich auf die Hauptstadt Kyoto, wo die Christen durch den damals mächtigsten Kriegsfürsten und Reichseiniger Oda Nobunaga Oda Nobunaga 織田信長 Kriegsfürst, Reichseiniger; 1534–1582 wohlwollende Duldung wenn nicht gar Förderung erfuhren.

Verbote und Repressionen

Nach Nobunagas Ermordung im Jahr 1582 übernahm sein Gefolgsmann Toyotomi Hideyoshi Toyotomi Hideyoshi 豊臣秀吉 Feldherr, Reichseiniger; 1537–1598 (1537–1598) die Führung seiner Truppen und setzte den Einigungsprozess des Landes zügig fort. Nach­dem er den Erfolg der Christen in Kyushu 1587 mit eigenen Augen erlebte, reagierte Hideyoshi mit Skepsis gegenüber der fremden Religion und verwies die Missionare des Landes. Wie Nobunaga hatte auch er die Erfahrung gemacht, dass gerade diejenigen feindlichen Heere, die von religiösen Gruppierungen geführt wurden, am schwierigsten zu unterwerfen waren. Obwohl die Christen ihm nicht feindlich entgegentraten, sah er in ihnen offenbar aufrührerisches Potential. Da Hideyoshi aber weiter am Handel mit den Portugiesen interessiert war, scheinen seine Verbote des Christentums nicht konsequent umgesetzt worden zu sein. Erst zehn Jahre später, im Jahre 1597 (ein Jahr vor Hideyoshis Tod) kam es zu ersten brutalen Repressionen, denen auch die bekannten 26 Märtyrer von Nagasaki zum Opfer fielen.

Tokugawa Ieyasu Tokugawa Ieyasu 徳川家康 1. Tokugawa Shogun, 1543–1616; Reichseiniger (1543–1616), der dritte der „Drei Reichseiniger“, betrieb nach seiner Machtergreifung (1600, bzw. 1603) vorübergehend eine tolerantere Politik – noch war auch er am Handel mit den Portugiesen interessiert. Als aber immer mehr europäische Protestanten (Holländer, Engländer) nach Japan kamen, verloren die Portugiesen ihr Handelsmonopol. Zugleich wurde auch der europäische Religionsstreit zwischen Katholiken und Protestanten in Japan sichtbar. Ieyasu sah sich daraufhin nicht länger genötigt, die von ihm als potentiell gefährlich eingestufte fremde Religion zu dulden. 1613 kam es neuerlich zu einem totalen Verbot (Bateren tsuihōrei), Missionare, japanische Christen und sogar christliche Daimyō Daimyō 大名 japanischer Titel, Territorialfürst wurden des Landes verwiesen oder hingerichtet. Unter Ieyasus Nachfolgern verstärkten sich die Repressionen, Christen wurden systematisch ausgeforscht. Da sie für ihren unbedingten Glauben bekannt waren, ließen sie sich identifizieren, indem man sie zwang, auf Bildern von Jesus oder Maria oder auf Kruzifixen herumzutrampeln. Wer dies verweigerte, entlarvte sich als Christ und wurde zumeist gekreuzigt. Diese Praxis wurde als fumie fumie 踏み絵 „Bildertreten“ (zur Entlarvung von Christen), wtl. „Bildertreten“ be­zeichnet. 1622 kam es neuerlich zu öffentlichen Hin­richtungen in Nagasaki, denen 51 Christen zum Opfer fielen.

Christenverfolgung

Die Repressionen erreichten 1637 und 38, zur Zeit der sog. Shimabara Rebellion in Kyushu, ihren Höhepunkt. Der Grund für diesen Aufstand lag wohl hauptsächlich in der exzessiven Besteuerung der Bauern, doch wurde das Christentum, das ja in Kyushu tatsächlich besonders verbreitet war, als Ursache gebrandmarkt. Die Rebellion wurde niedergeschlagen, 40.000 Aufständische wurden dabei getötet. In der Folge wurde die Verfolgung der Christen auf ganz Japan ausgedehnt. Um zu gewährleisten, dass in keinem japanischen Haushalt mehr Christen lebten, mussten sich alle Japaner in die Gläubigenregister der buddhistischen Tempel eintragen lassen (s. terauke System). Bald getraute sich niemand mehr, sich öffentlich zum Christentum zu bekennen, im Untergrund blieben aber einige Gemeinden (die sog. „Krypto-Christen“, kakure kirishitan kakure kirishitan 隠れキリシタン Krypto-Christen ) bis zur frühen Meiji Meiji 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt Zeit, genauer bis zur Aufhebung des Christenbannes 1873, bestehen. Interessanterweise gibt es bis heute Nachfahren dieser Krypto-Christen, die lieber bei ihrer heimlich überlieferten Version des Christentums bleiben, statt sich der katholischen „Mutterkirche“ anzuschließen. Mit dem absoluten Verbot des Christentums setzte in Japan auch die „Politik der Abschließung des Landes“ (sakoku sakoku 鎖国 Abschließung des Landes in der Edo-Zeit, 1639–1853) ein, die bis zur erzwungenen Öffnung des Hafens von Yokohama durch den amerikanischen Admiral Perry (1853) beibehalten wurde. Einziges Fenster zur europäischen Welt war der niederländische Handelsstützpunkt auf Deshima, eine künstliche Insel im Hafen von Nagasaki, deren Zugang vom Shogunat streng kontrolliert wurde.

Gründe der Christenverfolgung

Das Christentum wurde wohl zunächst für eine exotische Form des Buddhismus gehalten, da sich die ersten Dolmetscher natürlich buddhistischer Termini bedienten. Auch das oben abgebildete Portrait des „Christenfürsten“ Arima Harunobu Arima Harunobu 有馬晴信 Christlicher Daimyo in Kyushu, 1561–1612 zeigt, dass zumindest die religiöse Bildsprache der frühen japanischen Christen stark dem Buddhismus verpflichtet war. Die Jesuiten bemühten sich allerdings konsequent, die Landessprache zu erlernen, den Konvertiten Latein und Portugiesisch beizubringen und schließlich christliche Schriften ins Japanische zu übertragen. Ein berühmtes Beispiel dieser kulturellen Annäherung stellt das 1604 fertig gestellte Portugiesisch-Japanische Wörterbuch Lingoa de Iapam von Joao Rodrigues dar. Es ist nicht nur ein Zeichen für die Ernsthaftig­keit und den missio­narischen Eifer der Jesuiten, es stellt darüber hinaus eine unersetzliche Quelle zur Phonetik und zum Vokabular des damaligen Umgangs­japanisch dar 

Trotz dieser durchaus ernst gemeinten Bemühungen um einen Dialog mit der japanischen Kultur im Dienste der Mission blieb das Christentum den meisten japanischen Machthabern doch in derselben Weise verdächtig, wie einzelne fundamentalistisch-buddhistische Sekten: Es war nicht bereit, den grundsätzlichen Konsens zu teilen, dass letztlich alle (tolerierbaren) Religionsformen die gleiche Wahrheit ausdrücken. Diese Grundhaltung des Buddhismus wurde auch von weltlichen Herrschern geteilt. Die japanischen Christenverfolgungen sind daher nicht unbedingt als Ausdruck von besonderer Fremdenfeindlichkeit oder Anti-Christianismus zu sehen, vielmehr wurden alle religiösen Gruppen, die mit dem Anspruch auftraten, allein seligmachend zu sein, auf ähnliche Weise behandelt. Ähnlich wie die Christen wurden auch einzelne radikale Fraktionen der Nichiren und Amida-Sekten als Häretiker gebrandmarkt und verfolgt. Im übrigen offenbaren jesuitische Quellen, dass das Misstrauen in Japan durchaus nicht ohne Berechtigung war. Unter den Jesuiten gab es auch eine Fraktion in den Mönchstand getretener Hidalgos, die ernsthaft darüber nachdachten, Japan mit militärischer Gewalt zu unterwerfen.

Abgesehen von Bedenken gegenüber der fremden Religion waren sich Hideyoshi und Ieyasu sehr wohl der Rolle bewusst, die der Handel, bzw. neue, aus Europa importierte Technologien bei der Reichseinigung gespielt hatten: Dank neuer Kriegstechnologien gelang es den „progessiveren“ unter den Kriegsherren, die existierende militärische Pattstellung zu kippen und mehr und mehr Verbündete auf ihre Seite zu ziehen. Als dieser Prozess der Einigung abgeschlossen war, trachtete das Tokugawa Shogunat danach, die Vorteile, die ihm zur Macht verholfen hatten, potenziellen Gegnern zu verwehren. Da aber Daimyo, die das Christentum förderten, zweifellos privilegierte Beziehungen zum europäischen Handel hatten, standen die neuen Herrscher über kurz oder lang vor der Wahl, entweder selbst das Christentum zu fördern oder es zu verbieten, und entschieden sich für das letztere.

Literatur

= Michael Cooper 1965: They Came to Japan: An Anthology of European Records on Japan, 1543-1640. London: Thames & Hudson.

= George Elison 1973: Deus Destroyed: The Image of Christianity in Early Modern Japan. Cambridge, Ma: Harvard University Press. Quelle: www.univie.ac.at entnommen aus: koptisch.wordpress.com